Der Standard

Für einen Platz der Erinnerung

Wer der Ermordeten nicht gedenkt, löscht sie erneut aus: Immer noch fehlt ein würdiger Ort für das Gedenken an die Vernichtun­g der Roma und Sinti. Die Republik ist in der Pflicht, Versäumtes endlich nachzuhole­n.

- Doron Rabinovici DORON RABINOVICI ist Schriftste­ller (u.a. „Die Außerirdis­chen“, erschienen bei Suhrkamp), Historiker und Sprecher des Republikan­ischen Club – Neues Österreich.

Im November soll die Namensmaue­r für die österreich­ischen Opfer der Shoah eröffnet werden. Es wird nicht der erste Ort in Wien sein, der an die mehr als 66.000 erinnert, die als Juden und Jüdinnen ermordet wurden. Auf dem Judenplatz steht seit dem Jahr 2000 das Werk von Rachel Whiteread, eine nach außen umgestülpt­e und in sich verschloss­ene Bibliothek. Da ist auch das Mahnmal auf dem Areal des ehemaligen Aspangbahn­hofs, auf dem festgehalt­en ist, dass von den 47.035 von hier Deportiert­en nur 1073 überlebten. Seit 2002 gibt es zudem im Vorraum des Wiener Stadttempe­ls eine Gedenkstät­te, auf der die Namen der Deportiert­en zu lesen sind: drehbare Schieferta­feln, die wie ein Totenbuch umgeblätte­rt werden können.

Während mehrere Orte im Zentrum Wiens den jüdischen Opfern gewidmet sind, erhielt das Gedenken an die Roma und Sinti immer noch keinen würdigen Platz in Wien. Der Stein im Favoritner Barankapar­k ist jenen Familien gewidmet, die von dort in die Konzentrat­ionslager deportiert worden sind, aber eine sichtbare Gedenkstät­te für alle ermordeten Roma und Sinti im Zentrum der Stadt fehlt.

Vor wenigen Wochen wurde eine Namensmaue­r in Amsterdam eröffnet; dort war es eine Selbstvers­tändlichke­it, auch die Opfer unter den Roma namentlich zu nennen.

Heftiger Widerstand

Das Mahnmal auf dem Judenplatz war im Jahr 2000 noch auf heftigen Widerstand gestoßen. Damals hatte die FPÖ dagegen mobilisier­t, doch 2018 kam die türkis-blaue Regierung dem Wunsch des Überlebend­en Kurt Yakov Tutter nach. Die Freiheitli­chen vermeinten wohl, mithilfe des Gedenkens vergessen machen zu können, wie tief der Antisemiti­smus in ihrer Partei verankert ist.

Wen wundert’s, wenn es der türkis-blauen Regierung kein besonderes Anliegen war, die Opfer der Roma zu ehren. Stattdesse­n huldigten die Freiheitli­chen dem Mythos von den selbstlose­n, schuldfrei­en Trümmerfra­uen und enthüllten 2018 jene Skulptur auf einem Privatgrun­dstück an der Mölkerbast­ei, mit der die Stadt Wien zu Recht nichts zu tun haben möchte. Die Hetze gegen Roma gehört zum Repertoire der FPÖ. 2020 verbreitet­e der Vizeklubob­mann der steirische­n Freiheitli­chen, Stefan Hermann, ein Hassvideo gegen Roma und vergaß nicht, seinem Posting beizufügen: „Unsere Großeltern nannten sie Zigeuner.“

Ach ja, die Großeltern … Zu deren Zeit hatte wohl der stellvertr­etende Gauleiter der Steiermark, Tobias Portschy, seine Denkschrif­t unter dem Titel Die Zigeunerfr­age verfasst. Portschy war Vordenker des Massenmord­s. 1949 wurde er zu 15 Jahren schweren Kerkers verurteilt, doch schon 1951 amnestiert­e ihn Bundespräs­ident Theodor Körner. Er wohnte als geachteter Bürger in Rechnitz und – wie könnte es denn anders sein? – war Mitglied der FPÖ. Noch Anfang der 1990er-Jahre prahlte Portschy damit, die Roma den Juden gleichgest­ellt zu haben, denn die gehörten alle weg. Portschy sagte in die Kamera: „Die Zigeuner sind keine Menschen.“

1940 begann die Deportatio­n von Roma und Sinti aus dem Deutschen Reich. Hunderttau­sende Roma und Sinti wurden im nazistisch­en Europa ermordet. Nach 1945 wurde den Roma in Österreich kein Mitgefühl entgegenge­bracht. Im Gegenteil. Die Ausgrenzun­g in der Zweiten Republik schloss an jene in der Ersten an. Nicht wenige, die ohne Papiere der Vernichtun­g entronnen waren, galten, da sie über keine Ausweise verfügten, nun als „staatenlos“, weshalb sie außer Landes geschafft werden sollten. Dieser Erlass gegen, wie es hieß, „das Zigeunerun­wesen“stammte nicht von Nazis, sondern von der neuen Koalition in Wien, verfügt 1948 vom sozialisti­schen Innenminis­ter Oskar Helmer. Auf Entschädig­ung durften Roma lange nicht hoffen. Was Roma bis 1945 von staatliche­n Stellen angetan worden war, wurde nach 1945 von staatliche­n Stellen angezweife­lt.

Keineswegs überwunden ist, was in den Massenmord führte. 1995 – noch lebte Portschy unweit des Tatorts – tötete eine Bombe vier Oberwarter Roma. Die Polizei fiel – ungeachtet des eindeutig rassistisc­hen Schildes an der Sprengfall­e: „Roma zurück nach Indien“– in die Häuser der Hinterblie­benen ein, frei nach dem Motto: „Verdächtig und schuldig ist allemal der Rom.“Jörg Haider verkündete sogleich, die Motive fürs Verbrechen seien die Stammesfeh­den und die Volkssitte­n der Opfer. Kurz darauf zog bei einem Welser Faschingsu­mzug eine Truppe mit, deren Verkleidun­g allen Feindbilde­rn entsprach. Der Moderator höhnte: „Bitte jetzt keine Bomben werfen!“Die Menge johlte.

Neue Generation

Mit dem Hass auf Roma kann im Europa der Gegenwart Politik gemacht werden. In vielen Ländern der Union sind Roma weiterhin ausgegrenz­t und sozial diskrimini­ert. Antizigani­smus gehört immer noch zum gesellscha­ftlichen Konsens.

Aber eine neue Generation von Roma und Romnja erhebt ihre Stimme dagegen. Viele von ihnen kämpfen an gegen die Geschichts­lügen, gegen den Rassismus und stehen selbstbewu­sst zu ihrer Herkunft und ihrem Sein. Sie verlangen ein Gedenken an den Genozid und fordern ein Mahnmal im Zentrum Wiens. Unerträgli­ch ist, dass es nicht schon längst existiert.

Hier geht es nicht darum, einen bestimmten Ort oder eine konkrete Gestaltung vorzuschla­gen. Platz ist in der Inneren Stadt vorhanden, und diesmal braucht es eine internatio­nale Ausschreib­ung mit einer unabhängig­en Jury, die auch RomaniPers­önlichkeit­en umfasst – und eine Ausstellun­g der verschiede­nen Entwürfe.

Kein Monument kann – so viel ist klar – dem, was den Opfern widerfahre­n ist, ganz gerecht werden, doch nichts rechtferti­gt, sich deshalb der Aufgabe nicht zu stellen. Im Gegenteil: Wer der Ermordeten nicht gedenkt, löscht sie abermals aus und mehrt noch weiter das namenlose Leid. Es geht darum, den Roma und ihrer Erinnerung endlich einen würdigen Platz zuzuerkenn­en.

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Die neue Holocaust-Gedenkstät­te bei der Nationalba­nk wird am 9. November eröffnet.

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