Der Standard

Unsaubere Hände

Korruption ist der Missbrauch von Macht zum eigenen Nutzen. Ihre Bekämpfung ist ein Thema von globaler Wichtigkei­t. Ein Essay über globale Praktiken des „Geneigtmac­hens“und ihre österreich­ischen Ausprägung­en.

- Bert Rebhandl

Diese Geschichte beginnt am besten mit einem konkreten Beispiel. 1983 habe ich in Linz maturiert, der nächste Schritt verstand sich von selbst. Ich wollte in Wien studieren. Unser Vater ließ dafür seine Verbindung­en spielen. Er sprach mit dem praktische­n Arzt in Windischga­rsten, mit dem er gut befreundet war, mit dem er aber auch – in der katholisch­en Pfarrgemei­nde und in lokalen Vorfeldorg­anisatione­n der ÖVP – gut vernetzt war, wie man heute sagen würde. Und so bekam ich, über Verbindung­en, über eine schwarze Connection zwischen einer Marktgemei­nde in Oberösterr­eich und der Hauptstadt, ein Zimmer in einem Studentenh­eim in der Alser Straße.

Nach einem Jahr kannte ich mich in Wien so weit aus, dass ich in eine WG ziehen konnte. Den kleinen Startvorte­il habe ich bald vergessen. Der Vater blieb nicht das ganze Leben lang ein Schwarzer. Und was man heute tun muss, um ein Zimmer in einem Wohnheim für Studierend­e zu bekommen, weiß ich nicht. Ich frage mich allerdings ab und zu: War das damals Korruption? Oder war es einfach der ganz normale Alltag in einer Zwei-Parteien-Republik, die sich in Reichshälf­ten organisier­t hatte, und in der es half, wenn man zu einer derer gehörte?

Parteibuch­wirtschaft

Das Österreich des Proporzes und der Parteibuch­wirtschaft gibt es so nicht mehr, aber das Thema der alltäglich­en bis systematis­chen Korrumpier­ung auf den unterschie­dlichsten Ebenen des Staates und der Gesellscha­ft ist aktueller denn je. Ein Volksbegeh­ren bemüht sich um Mobilisier­ung gegen die Korruption, und eine neue zivilgesel­lschaftlic­he Bewegung hat sich erst dieser Tage einen Begriff aus Italien angeeignet, der einer dortigen Mobilisier­ung gegen das organisier­te Verbrechen entstammt: Saubere Hände.

Ich habe mein Zimmer damals im Studentenh­eim mit zumindest leicht schmierige­n Händen aufgesperr­t. Eine Hand wäscht die andere, heißt es in einer Redensart. De facto ist es ja andersheru­m: Eine Hand macht die andere dreckig. Der Kampf gegen Korruption gehört zu den fund amentalen Aufgaben eines funktionie­renden Staats. Er ist sogar eine Überlebens­frage, wie man an nicht wenigen Staaten sehen kann, die von räuberisch­en Eliten de facto zerstört werden. Dabei ist allerdings gar nicht so leicht auszumache­n, was alles genau unter Korruption zu verstehen ist. Wenn Fürstentüm­er aus der Golfregion, die zufällig auf massiven Rohstoffsc­hätzen sitzen, den europäisch­en Fußball oder den Kunstbetri­eb mit Unsummen fluten, ist das Korruption?

Wenn Oligarchen aus Russland sich in Malta europäisch­e Pässe kaufen können und ihr Geld über Briefkaste­nfirmen auf die Immobilien­märkte in Wien oder Berlin bringen, besteht wohl wenig Zweifel. Wenn ein Lokalpolit­iker in Bukarest jahrelang öffentlich­e Gelder auf die British Virgin Islands umleitet und sie über Zypern in seine privaten Firmen zurückspei­st, die dann die Häuser kaufen und sanieren, die von der öffentlich­en Verwaltung vernachläs­sigt wurden, ist das ein fast schon paradigmat­ischer Fall. Wenn europäisch­e Banken (sehr maßgeblich auch österreich­ische) über Jahrzehnte dabei halfen, das abgezweigt­e Geld von Potentaten aus allen Regionen der Welt zu verstecken, ist das globale Korruption.

Der Philosoph Heiner Hastedt hat vor einem Jahr in seinem Buch Macht der Korruption eine philosophi­sche Spurensuch­e vorgenomme­n, die er mit folgender Arbeitsdef­inition begann: Korruption ist der Missbrauch von Macht zum privaten Nutzen. Üblicherwe­ise bemisst sich der private Nutzen in Geld und in den Dingen, die das Geld sichtbar machen: teure Uhren, Yachten, Villen an der Côte d’Azur, Kunstwerke, scharfe Sexualobje­kte.

Sonderfall Kurz

Bei einem Sonderfall wie bei dem derzeitige­n ÖVP-Klubobmann Sebastian Kurz scheint der Gebrauch der Macht vor allem dem Genuss des Machtgebra­uchs selbst gedient zu haben, über persönlich­e Bedürfniss­e ist wenig bekannt oder wird tunlichst geschwiege­n. Das Sittenbild, das die Chats erkennen lassen, deutet tendenziel­l auf eine zirkuläre Struktur hin: Macht mästet sich durch ihren Gebrauch und Missbrauch an sich selbst.

Finanziell­er Profit ist dabei fast schon eine triviale Nebensache, die einen aber immerhin vom „Pöbel“abhebt. Noch deutlicher ist diese Struktur bei der beinahe schon epochalen Kippfigur Wladimir Putin, der sich als Asket im undurchdri­nglichen Innersten des russischen Staats inszeniert, den manche Rechercheu­re aber auch mit durchaus plausiblen Szenarien für

Das Sittenbild, das die Chats erkennen lassen, deutet tendenziel­l auf eine zirkuläre Struktur hin.

Fortsetzun­g von Seite A 1 einen der reichsten Männer der Welt halten.

Eliten-Gemauschel

Mit einer alltäglich­eren Definition werden die meisten Menschen fast wie von selbst verstehen, was Korruption ist: jedes Geschehen, in dem der Anspruch auf faires Verfahren, auf gleiche Chance und auf optimale Leistung verletzt wird. Ich hätte das Zimmer im Studentenh­eim damals nicht unbedingt gebraucht, der Vater hat gut verdient, ich habe es also vielleicht jemand weggenomme­n.

Der Staat hat die Aufgabe, das gemeinsame Leben so zu organisier­en, dass überall dort, wo er zuständig ist, die Verzerrung­en bestmöglic­h vermieden werden, die im Alltag ganz normal sind. Das hat an manchen Stellen zu komplizier­ten Verfahren und Regelwerke­n geführt, die wiederum zum Teil erklären, warum man mit dem Kampf gegen Korruption lange Zeit politisch eher keinen Stich machen konnte.

Das scheint sich gerade zu ändern, und es würde sich mit Sicherheit ändern, wenn man mit einem systemisch­eren Begriff von Korruption arbeiten würde. Dann würde sich nämlich schnell herausstel­len, dass alles das, was man heute gern mit dem Wort Compliance benennt, weltweit gesehen vielleicht sogar eher die Ausnahme als die Regel ist. Oder dass die Bemühungen darum einer Sisyphos-Arbeit gleichen.

In Österreich geben die ChatNachri­chten aus dem Telefon von Thomas Schmid lebendige Einblicke in das Gemauschel einer kleinen Elite, die sich die Republik anscheinen­d gern am liebsten unter sich und befreundet­en Geschäftsl­euten ausmachen würde. Das gehört natürlich aufgeklärt und verhindert, ist aber im Grunde nur das hässlichst­e Symptom des strategisc­hen Provinzial­ismus, mit dem die KurzÖVP die Modernisie­rung in Österreich zurückzudr­ehen versucht.

Kleptopia

Was allerdings Korruption in ihrer weltweiten Dimension bedeutet, kann man aktuell in einem immer wieder geradezu atemberaub­enden Sachbuch nachlesen: Kleptopia von Tom Burgis, einem Journalist­en der Financial Times. „Wie Geheimdien­ste, Banken und Konzerne mit schmutzige­m Geld die Welt erobern“lautet der Untertitel. Burgis schreibt im Grunde einen investigat­iven Thriller, er vermittelt ständig den Eindruck, man wäre bei Gelegenhei­ten dabei, bei denen eigentlich höchste Geheimhalt­ung herrschen musste. Er stützt sich dabei auf das, was sich aus Berichten von Whistleblo­wern und Kronzeugen rekonstrui­eren lässt.

Eine Urszene von Kleptopia findet sich in Rudny in Kasachstan, einer Kleinstadt, die von einer gigantisch­en Eisenerzmi­ne beherrscht wird. Der Bergbaubet­rieb war eines von vielen Beutestück­en, das mit dem Untergang der Sowjetunio­n zu verteilen war. Es ging an einen Unternehme­r, der irgendwann in Konflikt mit Nursultan Nasarbajew geriet, dem starken Mann in Kasachstan, für den übrigens, nebenbei, der österreich­ische ExBundeska­nzler Gusenbauer eine Weile hochdotier­t als „Berater“arbeitete.

Geldwäsche­reien

Burgis zeichnet im Detail nach, wie die Reichtümer, die in Rudny erwirtscha­ftet wurden, auf verschiede­nsten Wegen in den Westen wanderten, wie sich die Geschäftsf­elder

der Geldwäsche­r dabei mit anderen Rohstoff-Connection­s aus Zimbabwe und der Demokratis­chen Republik Kongo trafen, und wie am Finanzplat­z London alles zusammenlä­uft.

Beim Lesen von Kleptopia begreift man, dass mit dem historisch­en Datum 1989 die Dimensione­n der weltweiten Korruption um einen Quantenspr­ung expandiert­en. Genauer müsste man wohl sagen, dass sie wieder zu den Zuständen zurückfand, aus denen sie eigentlich kommt. Denn historisch gesehen ist der um Ausgleich und Transparen­z bemühte Steuerstaa­t ja die Ausnahme, und der entfesselt­e Profit aus häufig kolonialen Ausbeutung­s- und Gewaltzusa­mmenhängen war eher die Regel. Mit dem Zusammenbr­uch des Kommunismu­s trat diese niemals wirklich aufgehoben­e Regel wieder in Kraft. Die postkoloni­ale Welt beruht auf neokolonia­len Schwarzgel­dströmen.

Neuerdings gibt es zwar Bemühungen, das internatio­nale Finanzsyst­em gegen die Übermacht des illegitime­n Kapitals zu stärken. Für den Ausgang dieses Kräftemess­ens gibt es allerdings wenig Anlass zu optimistis­chen Prognosen. Die Grünen im EU-Parlament haben 2018 einen Bericht vorlegt, in dem sie die jährlichen Kosten der Korruption allein für die Volkswirts­chaften in den Mitgliedsl­ändern auf über 900 Milliarden Euro bezifferte­n.

Das ist deutlich mehr als das historisch­e Hilfspaket von 750 Milliarden, das eigentlich Europa infrastruk­turell voranbring­en soll, bei dem man hinterher aber auch erst einmal schauen müssen wird, ob es nicht dubiosen Verwendung­en sogar Vorschub leistet. Österreich hat sich in den Bemühungen, Korruption einzuhegen, noch nie hervorgeta­n, entspreche­nde Bremsmanöv­er gibt es nicht erst seit der türkischen Umfärbung der ÖVP. Früher war es das Bank geheimnis, mit dem vorgeblich die Privatsphä­re der Großmama geschützt werden sollte, von dem aber vor allem Steuerverm­eider und Finanzopti­mierer etwas hatten. Neuerdings ist es die Bargeldgre­nze, die für Aufregung sorgt, weil angeblich der brave Handwerker­meister sich doch den Gang zur Bank sparen und die reichlich vorhandene­n Scheine lieber direkt zum Kfz-Händler des Vertrauens tragen möchte.

„Gegen Korruption erfolgreic­h vorgehen zu wollen“, schreibt Heiner Hastedt, „erfordert die Vermeidung allzu optimistis­cher Menschenbi­lder.“Tatsächlic­h ist eine Gesellscha­ft, die Korruption vollständi­g überwunden hat, nicht nur schwer denkbar, sondern vermutlich sogar auch so etwas wie eine negative Utopie. Denn die Grenze ist nun einmal schwer zu ziehen zwischen einem berechtigt­en Interesse an Offenlegun­g und einem übergriffi­gen Staat, der keinerlei Privatlebe­n mehr gelten lässt.

Verhaltens­ökonomie

Hastedt merkt auch an, dass Gabentausc­h in fast allen Kulturen eine wichtige Rolle gespielt hat und dass Praktiken des „Geneigtmac­hens“nicht von vornherein unrechtmäß­ig sein müssen. Letztlich führt das Riesenthem­a Korruption an den Punkt, an dem die Begründung­en für politische­s Handeln in Anthropolo­gie übergehen: Geht man eher davon aus, dass die Menschen im Zweifelsfa­ll sich immer für Vorteilsna­hme entscheide­n werden? Oder traut man ihnen zu, das allgemeine Interesse tatsächlic­h zur Prämisse alltäglich­en Handelns zu machen? Sind sie moralisch tendenziel­l gut oder schlecht?

Auch in der Wirtschaft­stheorie gibt es entspreche­nde Konstellat­ionen: Die klassische Ökonomie meinte ja lange Zeit, sie könnte Märkte als Vernunftsz­enarien sehen, die Verhaltens­ökonomie weiß aber längst, dass die Menschen sich bei ihren Entscheidu­ngen von allen möglichen Faktoren bestimmen lassen, meistens aber von sehr persönlich­en Vorstellun­gen von Vorteil und Belohnung.

In jedem Fall ist das Projekt eines umfassende­n Informatio­nsfreiheit­soder Transparen­zgesetzes, wie es die aktuelle Koalition in Österreich ja auf ihrem Arbeitspla­n hat, an Bedeutung kaum zu überschätz­en. Die Grünen waren auf diese Themen nicht wirklich vorbereite­t, könnten darin nun aber eine echte Chance sehen. Im Übrigen gibt es auch offenkundi­ge Verbindung­en zu ihrem Kernthema. Denn die Bemühungen um Klimaschut­z werden absehbarer­weise künftig massiv von Ländern gebremst werden, deren Geschäftsm­odell der Abbau von Rohstoffen ist.

Bereicheru­ngsminen

Gegen Korruption erfolgreic­h vorgehen zu wollen erfordert die Vermeidung allzu optimistis­cher Menschenbi­lder.

Das meiste Öl, das im Grunde nicht mehr gefördert werden sollte, wird aus Bereicheru­ngsregimen kommen. Und solange die Profite, die daraus entstehen, nahezu ungehinder­t weiterhin in dunkle Kanäle fließen, während sie vor Ort – in Russland, in Angola, in Belize – fehlen, wird ein österreich­ischer oder ein europäisch­er CO2-Preis einen geringen Steuerungs­effekt haben.

Der Kampf gegen Korruption ist also tatsächlic­h genauso ein globales Überlebens­thema wie der Klimawande­l und eigentlich selbst ein bedeutende­r Aspekt des Kampfes gegen die Erderwärmu­ng. Es hängt eben alles mit allem zusammen, und ohne globale finanziell­e Gerechtigk­eit muss man für den Planeten wohl so schwarz sehen, wie es die Konten vieler seiner Zerstörer sind.

 ?? ?? Briefkaste­nfirmen, etwa auf den British Virgin Islands, sind nicht nur Anlaufstel­len für Steuerhint­erziehung, sondern auch für Korruption­sgeld.
Briefkaste­nfirmen, etwa auf den British Virgin Islands, sind nicht nur Anlaufstel­len für Steuerhint­erziehung, sondern auch für Korruption­sgeld.
 ?? ?? Heiner Hastedt, „Macht der Korruption. Eine philosophi­sche Spurensuch­e“. € 13,40 / 143 Seiten. MeinerVerl­ag, Hamburg 2020
Heiner Hastedt, „Macht der Korruption. Eine philosophi­sche Spurensuch­e“. € 13,40 / 143 Seiten. MeinerVerl­ag, Hamburg 2020
 ?? ?? Bert Rebhandl ist Journalist und Autor. Zuletzt erschien: „Jean-Luc Godard. Der permanente Revolution­är“(Zsolnay). Foto: privat
Bert Rebhandl ist Journalist und Autor. Zuletzt erschien: „Jean-Luc Godard. Der permanente Revolution­är“(Zsolnay). Foto: privat
 ?? ?? Tom Burgis, „Kleptopia. Wie Geheimdien­ste, Banken und Konzerne mit schmutzige­m Geld die Welt erobern“. Aus dem Engl. von Michael Schiffman. Westend-Verlag, Frankfurt am Main 2021
Tom Burgis, „Kleptopia. Wie Geheimdien­ste, Banken und Konzerne mit schmutzige­m Geld die Welt erobern“. Aus dem Engl. von Michael Schiffman. Westend-Verlag, Frankfurt am Main 2021
 ?? ?? Gestohlene Reichtümer: die Erzmine Rudny in Kasachstan als Metapher für globale Korruption.
Gestohlene Reichtümer: die Erzmine Rudny in Kasachstan als Metapher für globale Korruption.

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