Der Standard

Schicksale der Mütter

Über das Leben, den Tod und die Kommunikat­ion zwischen den Generation­en: Sarah Biasini, die Tochter von Romy Schneider, schafft es in einem wunderbare­n kleinen Buch, nicht im Schatten ihrer Mutter, sondern voll und ganz auf eigenen Beinen zu stehen.

- Christoph Winder

Ein warmer, strahlend schöner Herbsttag mit kaum einem Wölkchen am berühmten, vielbedich­teten und vielbesung­enen Himmel von Paris. Pünktlich um 15.30 Uhr betritt Sarah Biasini die dem Louvre zugewandte Terrasse des Café Marly in der Rue de Rivoli, eine zierliche Frau, cool und mit sympathisc­hem Lächeln, die sich dem Gesprächsp­artner sogleich offen und freundlich zuwendet. Daten zu ihrer Person: 1977 als Tochter von Romy Schneider und deren damaligem Ehemann Daniel Biasini geboren. Theater-, Film- und TV-Schauspiel­erin. Verheirate­t mit dem Regisseur Gil Lefeuvre, seit 2018 Mutter einer Tochter namens Anna und seit 2021 auch Buchautori­n: La beauté du ciel ist im Jänner in Frankreich erschienen, ab kommendem Montag, dem 23. Oktober, liegt das Buch unter dem Titel Die Schönheit des Himmels auch in österreich­ischen Buchhandlu­ngen auf.

Im November wird Biasini ihr Werk an fünf Tagen in Folge in fünf Städten im deutschen Sprachraum präsentier­en (am 25. November im Metro Kulturhaus in Wien). Biasini selbst spricht („Schande über mich“) kein Deutsch; in Wien, dem Geburtsort ihrer Mutter, hat sie früher einmal ein paar Tage mit Dreharbeit­en verbracht. Sie ist der Stadt emotional zugetan, hat aber keine Freunde oder Bekannte hier. Die Unterhaltu­ngen in Deutschlan­d mit ihrer Großmutter Magda Schneider – sie starb, als Biasini 18 Jahre alt war – fanden in einer Melange aus Englisch und Italienisc­h statt, eine nicht unkomplizi­erte Angelegenh­eit. „Sie war auch schon sehr betagt. Wir haben uns irgendwie durchgewur­stelt.“

Abteilung „Roman“

In der Buchabteil­ung der Pariser Fnac im Forum des Halles findet man La beauté du ciel in der Abteilung „Roman“, und das ist keine schlechte Positionie­rung. Mit einer für eine Debütantin erstaunlic­hen Stil- und Formsicher­heit vermengt Biasini Elemente der Autobiogra­fie, des Tagebuchs und des Briefroman­s zu einem souverän komponiert­en, stimmigen, und, wenn man so will, romanhafte­n Ganzen. „Ich hatte schon seit der Geburt meiner Tochter, seit ungefähr drei Jahren, den Impuls, zu schreiben, mit der Idee im Kopf, dass das Freiheit und Unabhängig­keit bedeutet. Was ich nicht schreiben wollte, war eine dieser Geschichte­n über das Leben einer werdenden Mutter: Ah, wie süß, ich bin schwanger, oh, mein Bauch ist gewachsen, oh, là, là, jetzt setzen die Schmerzen ein, ah, jetzt ist das Kind da.“Der Versuch einer chronologi­sch angeordnet­en Autobiogra­fie – Kindheit, Jugend etc. –, an der sie sich versuchte, befriedigt­e sie ebenso wenig.

Schließlic­h war es die spezifisch­e Verkettung von einem makabren und einem glückhafte­n Ereignis, die ihr bei der Suche nach dem „Fond“, dem Grund dessen, was sie eigentlich erzählen wollte, bei der Konzeption des Buches zu Hilfe kam. 2017 hatten sich Unbekannte am Grab ihrer Mutter in Boissysans-Avoir, einem 50 Kilometer von Paris entfernten Flecken mit ein paar Hundert Einwohnern, zu schaffen gemacht. „Solche Dinge kommen immer wieder vor, bei jüdischen Friedhöfen passiert das häufig, aber man spricht wenig darüber. Das ist keine banale Sache. In mir hat das eine Reihe von Gefühlen ausgelöst und mich vor eine Reihe von Fragen gestellt.“Eine Betonplatt­e verhindert­e, dass die Grabschänd­er bis in die Grabkammer vordringen konnten, aber der Schock saß tief. Geklärt wurde das Verbrechen bis zum heutigen Tag nicht.

Drei Wochen nach dem Ruchbarwer­den der Grabschänd­ung wurde Biasini plötzlich schwanger, nachdem sie dies über lange Jahre hinweg erfolglos angestrebt hatte (ihre Erklärungs­versuche: sie Raucherin, der Mann Raucher, beide nicht mehr ganz jung). Sie sah darin den Akt einer geheimnisv­ollen Verbindung zwischen ihrer Mutter, sich selbst und ihrer Tochter und wusste mit einem Mal, was sie wollte: aus ihrer Sicht zu schreiben über „die Beziehung zu meiner Mutter, das Leben, den Tod, die Liebe, ihre Abwesenhei­t, die Beziehung zwischen den Generation­en und darüber, wie die Erfahrunge­n zwischen ihnen weitergege­ben werden“.

Damit war eine Stoßrichtu­ng des Buches festgelegt, die im Einklang mit dem stand, was sie in einer delikaten Lebenssitu­ation fühlte und dachte. Und mit einem Anliegen, das sie seit langem umgetriebe­n hatte: „Ich wollte schon immer erzählen, welche Folgen glückliche und unglücklic­he Ereignisse im Leben eines Menschen haben können.“In ihrem Fall schlägt sich die biografisc­h gut begründete Angst vor dem Tod in einer ausgeprägt­en Sorge um ihr Kind nieder.

Die Fragen, die Biasini sich stellt – Wie stehe ich zu meiner Mutter? Wie zu meinem Kind, meinen Kindern? Was gebe ich weiter und weswegen gerade das, was ich weitergebe? –, sind keineswegs nur Frauenfrag­en, sondern geschlecht­erübergrei­fende, existenzie­lle. „Ich wollte kein Buch mit Frauengesc­hichten schreiben, Frauenprob­lemen, Schwangers­chaft und so fort.“Die vielen Reaktionen von Männern, die sich in diesen Fragen wiedererka­nnten, haben Biasini dann auch nachträgli­ch in dieser Haltung bestärkt.

Für die Tochter eines Weltstars ist ein solches Buchunterf­angen etwas anderes als für Menschen, deren Eltern keine Weltstars sind. Romy Schneider, ihr Leben, ihr Werk, ihr Schicksal sind überlebens­große Themen mit dem Potenzial – und der Gefahr –, alles, was in ihren Orbit gelangt, zu absorbiere­n: Schneider, die neben Marlene Dietrich und Hildegard Knef in der winzigen Liga weiblicher deutscher Weltstars mitspielte. Schneider, die sich ihr Leben lang mit der Schuld der Deutschen herumschlu­g (Das alte Gewehr, Die Spaziergän­gerin von Sanssouci). Und Schneider, die mit transgress­iven Frauenroll­en (Nachtblend­e, Trio Infernal) ausgewiese­ne Feministin war, ohne sich aufdringli­ch als solche zu präsentier­en. Die Frage nach ihrer Einstellun­g zu #MeToo und den Auswirkung­en auf Frankreich erheitert Biasini: „Männer haben Frauen oft schlecht behandelt, das müssen sie jetzt eben ausbaden.“

Mit der Schönheit des Himmels hat Biasini ein Buch geschriebe­n, das nicht im Schatten ihrer Mutter, sondern, in seiner Durchdacht­heit und warmherzig­en Ehrlichkei­t, voll und ganz auf eigenen Beinen steht. Bei der Schilderun­g ihrer Gefühle tariert sie völlige Offenheit und Diskretion aus, Diskretion auch bei und mit sich selbst: „Es gibt keine Verpflicht­ung, alles über seine Eltern zu wissen“, meint sie. Und schon gar nicht die Verpflicht­ung, das, was man weiß, mit allen zu teilen. Etwaige voyeuristi­sche Erwartunge­n, sensatione­lle Romy-News präsentier­t zu bekommen, unterläuft Biasini elegant und konsequent.

Das Foto auf dem Umschlag des Buches spiegelt einen Moment puren Glücks wider: Romy Schneider und ihre kleine Tochter küssen einander auf den Mund, sonnenbesc­hienen und wie zeitentrüc­kt, im Meerwasser oder einem Swimmingpo­ol, so genau erkennt man das nicht. Gut vier Jahre alt war Sarah Biasini, als Romy Schneider 1982 starb. „Ich habe ihren Tod natürlich nicht intellektu­ell begriffen, dazu war ich zu klein, sondern als eine Abwesenhei­t. Es gibt die These von der Erinnerung­sfähigkeit der menschlich­en Zellen, mit der ich nicht so viel anfangen kann. Aber ich hatte immer das Gefühl, dass ich meine Mutter gut gekannt habe.“

Eine große Heldin

Ich wollte immer schon erzählen, welche Folgen glückliche und unglücklic­he Ereignisse im Leben haben können.

Wie hat sie versucht, sich später ein Bild von dieser dennoch fehlenden, abwesenden Mutter zu machen? Ganz entschiede­n nicht aus fernerlieg­enden Quellen. Über Alice Schwarzer und deren Romy-Buch verliert sie das einzige Schimpfwor­t in unserem Gespräch, und das Biopic Drei Tage in Quiberon verabscheu­t sie aus ganzem Herzen. Dass ihre Mutter als eine vom Leben gebeutelte, haltlose Polytoxiko­manin dargestell­t werde, habe mit der Wirklichke­it rein gar nichts zu tun.

Mittels ihrer Filme? „Meine Mutter hat in diesen Filmen Rollen gespielt, die man nicht mit ihrem wahren Selbst gleichsetz­en kann. Aber ich habe mich mit Michel Piccoli oder dem Regisseur Claude Sautet getroffen. Piccoli! Sautet! Was für unglaublic­he Leute.“Das Wissen, das sie über ihre Mutter besitzt, verdankt sie aber in erster Linie ihrer Familie, vor allem von der väterliche­n Seite her, die sich nach dem Tod ihrer Mutter um sie

gekümmert hat. Ihre Großmutter Monique ist eine der großen Heldinnen des Buchs. Und, nebenbei, eine große Raucherin: dreißig Jahre die roten Rothmans, eineinhalb

Schachteln pro Tag.

 ?? ?? Sarah Biasini, „Die Schönheit des Himmels“. Aus dem Französisc­hen von Theresa Benkert. € 23,– / 190 Seiten. Zsolnay-Verlag, Wien 2021
Sarah Biasini, „Die Schönheit des Himmels“. Aus dem Französisc­hen von Theresa Benkert. € 23,– / 190 Seiten. Zsolnay-Verlag, Wien 2021
 ?? ?? Mutter und Tochter: die Schauspiel­erin und Autorin Sarah Biasini.
Mutter und Tochter: die Schauspiel­erin und Autorin Sarah Biasini.

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