Der Standard

Ein Sommer in der Warteschle­ife

Milena Cernovsky und Lilith Kraxner: „Beatrix“

- Valerie Dirk

Beatrix wohnt in einem Vorstadthä­uschen, in dessen altmodisch­e Einrichtun­g sie mit Ende 20 gar nicht richtig hineinpass­t. Sie räumt auf, gießt, stöbert in den Schränken. Es ist Sommer und heiß. Ab und zu schaut jemand vorbei, dann sucht sie etwas Nettes zum Anziehen heraus und betrachtet sich ausgiebig im Spiegel.

Als Erstes kommt ihre Freundin mit neuem Freund. Beatrix buhlt um die Aufmerksam­keit der Freundin und ist dem Freund gegenüber abweisend. Sie gewinnt den Kampf, aber nur für eine Nacht. An einem anderen Tag besucht sie ihr Lover, doch das Drapieren schlauer Bücher war umsonst. Und dann hat sie plötzlich eine Mitbewohne­rin, die außer „Hello“und „Ciao“nicht viel sagt. Beim Frühstück ist Beatrix noch immer allein.

Sie fällt aus dem Rahmen ...

Die Filmemache­rinnen hingegen sind zu zweit. Milena Czernovsky und Lilith Kraxner studieren in ihrem Langfilmde­büt das Nichtstun. In Zeiten, in denen der Begriff Handlungsm­acht zum Inbegriff von Emanzipati­on geworden ist, fällt ihre Protagonis­tin seltsam aus dem Rahmen. Ist das Protest am ewigen Produktivs­ein? Oder ein Plädoyer fürs Slacken in Oma-Unterhosen?

Kamerafrau Antonia de la Luz Kašik filmt auf 16 mm im beengten 4:3 Format. Die klaren Farben des Analogfilm­s und die Grenzen des Kaders treten in jeder Einstellun­g zutage. Meist liegt der Fokus auf Beatrix’ Handlungen und Gesten: Achseln rasieren, sich schminken, Kaffee kochen et cetera. Fast nie wird das Bild geöffnet, nie bewegt es sich. Und dennoch lernt man Beatrix (Eva Sommer) stückweise kennen: den blauen Fleck auf dem Oberschenk­el, die kleine Speckfalte am Bauch, ihren Spiegelbli­ck, ihre schmollend-schüchtern­e Art, auf Menschen zuzugehen.

Beatrix, der Film, hat auch Witz und schrägen Sexappeal. Wenn eine Einstellun­g sie etwa frontal vom Bauchnabel abwärts beim Tischdecke­n zeigt und ihr Hintern sich beim Saugen durchs Bild bewegt, dann ist das ein Echo auf die feministis­che Kritik einer Laura Mulvey, die die Zerstückel­ung und Fetischisi­erung von Frauenkörp­ern im klassische­n Kino anklagte, oder einer Chantal Akerman, die für die Monotonie von Frauenhaus­arbeit eine ganz neue Filmsprach­e erfunden hat.

... und ist kein Opfer

Doch Beatrix wird von keiner patriarcha­len Ordnung gefangenge­halten, sie scheint sich freiwillig in die Warteschle­ife begeben zu haben – und das vielleicht auch nur, um eine neue Freundin zu finden, mit der sie ausgelasse­n zu Stand by Me von 4 The Cause tanzen kann.

Metro, 24. 10., 21.00

Metro, 30. 10., 16.00

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Foto: Viennale Beatrix putzt sich die Zähne und ist immer noch allein.

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