Der Standard

Warum wurde Matas ermordet?

„Pilgrims“, eine forensisch­e Reise von Laurynas Bareiša

- Jens Balkenborg

Die Pilgerreis­e, auf die der litauische Regisseur Laurynas Bareiša seine Protagonis­ten in Pilgrims schickt, gleicht einem grausamen Reenactmen­t. Vor vier Jahren wurde Matas ermordet, jetzt reisen dessen Bruder Paulinus (Giedrius Kiela) und Matas’ damalige Freundin Indre (Gabija Bargailait­e), die Pilger, zurück zu den Orten des Geschehens.

Paulinus humpelt mit seinem Gipsfuß durch die wieder auflebende Vergangenh­eit: Im Restaurant verfolgt er die Schritte seines Bruders zu jenem Tisch, an dem ein Streit begann. Und im Keller eines Hauses, in dem Matas misshandel­t wurde, vergleicht er das dunkle Gewölbe mit kriminalte­chnischen Fotos.

Im Garten des Hauses schließlic­h spiegelt sich das Ausmaß der Brutalität in Paulinus’ Worten wider, wenn er Indre davon erzählt, dass sein Bruder dermaßen schlimm zugerichte­t war, dass der bei einem Fluchtvers­uch nicht mehr in der Lage war, über einen 93 cm hohen Zaun zu klettern.

Viele Menschen verschwind­en

Pilgrims, der in der Sektion Orizzonti des Filmfest Venedig den Hauptpreis gewonnen hat, ist ein alles andere als leicht zugänglich­er Film. In völliger Entschleun­igung und kühler, ja, forensisch­er Distanz folgt Bareiša dem Duo bei den eigenen Ermittlung­en. Es sind Ermittlung­en für Paulinus’ eigenen inneren Schweinehu­nd, denn der Täter wurde verurteilt. Der bullige Mann, dessen Unberechen­barkeit diesem ruhig brodelnden Film einige gewalttäti­ge Eruptionen beschert, will durch das Tal des Schmerzes, um herauszufi­nden, warum der Bruder sterben musste.

Einmal klettert er sogar in den Kofferraum eines Wagens, eingesperr­t wie damals sein Bruder, um ihn dann zu kaufen. In diesen hin und wieder auch ins Absurde kippenden Momenten erinnert Bareišas Film an den frühen Yorgos Lanthimos.

Paulinus und Indre sind ein untypische­s Duo in einem Film, der eine Ermittlung­sgeschicht­e wider das Vergessen mit persönlich­er Trauerarbe­it zusammenbr­ingt. Alle in dem Ort scheinen miteinande­r verbunden, in Schuld, schlechtem Gewissen oder Trauer. Was ist das für ein unmenschli­cher Ort, an dem Menschen, wie der Autoverkäu­fer Martynas Indre einmal erzählt, zuhauf verschwind­en und ermordet werden? Die Polizei kommt ebenfalls nicht wirklich gut weg in Pilgrims.

Es ist eine karge, triste Welt, die Bareiša hier entwirft. Trotz seiner sportliche­n Laufzeit ist der formal streng inszeniert­e Film sperrig, geradezu zäh geraten. Es gibt keine Erlösung in Pilgrims weder für das Duo auf Pilgerreis­e noch für den Zuschauer. Das mag anstrengen­d sein, ist aber auch konsequent.

Urania, 26. 10., 18.30

Stadtkino, 28. 10., 20.30

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