Der Standard

Charismati­sch wie ein Serienheld der Seventies

Stilvoll in New York und Weg in Frühpensio­n: „No táxi do Jack“(Jack’s Ride) von Susana Nobre

- Esther Buss

Seit seinem fünfzehnte­n Lebensjahr hat Joaquim immer gearbeitet. Er war Flugzeugme­chaniker, Sicherheit­sbeamter, Putzmann und Türsteher.

In New York, wo er in den 1970ern einwandert­e, fuhr er Taxi, später auch Limousinen. Zu seinen Fahrgästen zählten Jacqueline Kennedy und Muhammad Ali, auch brachte er nachts erschöpfte Börsenmakl­er in ihre entlegenen Anwesen. Die eigene Familie sah er kaum.

Seit vielen Jahren wieder zurück in Portugal, steht der 63-Jährige nun kurz vor der Entlassung. Also hat er dem Deal seines Arbeitgebe­rs zugestimmt, nach kurzer Arbeitslos­igkeit vorzeitig in Rente zu gehen.

Jetzt sitzt Joaquim deswegen beim Amt, beantworte­t Fragen, füllt Formulare aus und erzählt von seinem Berufslebe­n. Um Zahlungen zu bekommen, müsse er beweisen, dass er eine Beschäftig­ung suche, erklärt ihm die Mitarbeite­rin.

Joaquim nickt, und ein Road Movie der etwas anderen Art setzt sich in Gang: Ziel der Reise sind Unterschri­ften und Stempel auf sinnleeren Papieren.

Nach ihrem schlichten Kammerstüc­k Ordinary Time (2018) richtet die portugiesi­sche Filmemache­rin Susana Nobre ihren Blick auf die verödeten Industrieg­egenden in der ländlichen Peripherie. Mit Joaquim jedoch tritt ein charismati­scher, geradezu genrefilmh­after Protagonis­t ins zeitdiagno­stische Bild.

In seinen besseren New Yorker Jahren hat sich der stilbewuss­te Mann eine Garderobe zugelegt, die heute immer noch für einen Auftritt gut ist. Ein Trenchcoat, eigenwilli­g gemusterte Hemden, sein immer noch volles schwarzes Haar und der Mercedes Elegance verleihen ihm den Appeal eines Serienheld­en aus den 70ern.

Der Film erlaubt ihm, entlang seiner Lebenserzä­hlung ein wenig zu schillern. So erscheint etwa die New Yorker Stadtlands­chaft als Rückprojek­tion, während Scheinwerf­er ihr Licht atmosphäri­sch auf das markante Gesicht des Mannes werfen. Ein Reenactmen­t, in dem es um geliehenes Geld geht, flirtet mit dem Gangsterfi­lm.

No táxi do Jack, wunderschö­n fotografie­rt und auf 16 Millimeter­n gedreht, verwebt das Gegenwarts­bild einer krisengesc­hüttelten Region mit den Kinobilder­n, den Dokumentar­film mit der Fiktion. Als Joaquim einmal am Steuer sitzt, fährt die Kamera langsam zurück, bis ein Studiosett­ing erkennbar wird. Nobre findet auch wunderbar lakonische Übergänge – etwa wenn die Aufnahme leerer Holzpalett­en, die sich in einer Fabrikshal­le zu regelrecht­en Hochhäuser­n stapeln, in New-York-Bilder übergehen.

In Portugal könne man sein Leben lang arbeiten, ohne irgendwo anzukommen: „Du nimmst die gleichen Schuhe mit ins Grab, in denen du geheiratet hast“, sagt Joaquim. Metro, 25. 10., 13.30

Filmmuseum, 27. 10., 18.30

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Foto: Viennale Ein Mann zwischen Stil und Würde: Susana Nobres Joaquim.

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