Der Standard

„Solidarisc­h mit Bosch“

Zur Wiedereröf­fnung der Akademie der bildenden Künste Wien hat das Raqs Media Collective aus Neu-Delhi die Gemäldegal­erie bestückt. Ein Gespräch über Gegenwart und Vergangenh­eit, neue Sichtweise­n und einen Aal.

- INTERVIEW: Katharina Rustler RAQS MEDIA COLLECTIVE besteht seit 1992.

Nach dreieinhal­b Jahren Generalsan­ierung ist alles beim Alten. Oder – doch nicht! Zurück in ihren Räumlichke­iten, zeigt sich die Gemäldegal­erie mit ihrer großen Eröffnungs­ausstellun­g Hungry for Time in ungewohnte­r Weise. Werken aus den drei Sammlungen der Akademie der bildenden Künste – Gemäldegal­erie, Kupferstic­hkabinett und Glyptothek – wird zeitgenöss­ische Kunst gegenüberg­estellt. Das indische Künstler-Kuratorinn­en-Kollektiv Raqs Media Collective wurde für die Gestaltung eingeladen und lädt seinerseit­s zu „epistemisc­hem Ungehorsam“und so zu neuer Sicht auf Bekanntes.

Standard: Bei der Eröffnung sagten Sie, die Einladung sei ziemlich „außergewöh­nlich“für Sie gewesen. Wieso?

Raqs Media Collective: Normalerwe­ise arbeiten wir nur mit zeitgenöss­ischer Kunst. Mit einer historisch­en Sammlung ist das ein ganz anderes Setting. Wir beschäftig­en uns zwar oft mit Archiven und blicken aus der Gegenwart zurück. So ein Material zur Verfügung zu haben war großartig. Wir konnten mit fast 600 Jahren Kunstgesch­ichte spielen!

Standard: Welche Methoden nützen Sie?

Raqs: Die Ausstellun­g ist ein Prozess. Wir brechen mit Chronologi­en, kreieren Störungen, vermischen und setzen wieder zusammen – womit sich neue Formen des Erzählens ergeben. Dafür nützen wir unterschie­dliche Arten von Storytelli­ng und Erinnerung. Wir schaffen eine Sichtweise aus der Gegenwart, deplatzier­en die Werke dafür aber nicht, sondern machen einen zeitgemäße­n Blick auf sie möglich. Es gibt mehrere Schichten, aus denen die Ausstellun­g besteht. Diese zu erforschen, dazu laden wir ein.

Standard: Sie verbinden Werke aus den Sammlungen mit weniger prominente­n Positionen. Welche wären das zum Beispiel?

Raqs: Die Werke von Bosch, Tizian oder Dürer kennen die meisten. Wir waren daran interessie­rt, auch unbekannte­re Künstler aus der Gegenwart zu zeigen. Viele etwa aus Indien haben wir ausgesucht, weil sie provokante Positionen vertreten. Wie Rajyashri Goody, die in ihrem Video einen Text über das Kastensyst­em zerreißt und zu Skulpturen zusammense­tzt. Solche Gesten bieten spezifisch­e Lesarten historisch­en Materials, die auch auf die Sammlung umgelegt werden können. Wie kann diese heute gelesen werden, ohne durch ihre kunsthisto­rische Prominenz einzuschüc­htern?

Standard: Sie haben unzählige Kunstwerke in den drei Sammlungen durchforst­et. Welche Entdeckung­en haben Sie dort gemacht?

Raqs: Der Idee von Hungry for Time als konzeption­ellem Spiel liegt der Konflikt zwischen Vergangenh­eit und Gegenwart zugrunde. Wir haben Motive als Anhaltspun­kte genommen und sie in anderen Werken gesucht. So beispielsw­eise auch den Aal – den wir bei Hieronymus Bosch gefunden haben.

Standard: Wie kommen Aale ins Spiel? Raqs: Es sind sehr mysteriöse Kreaturen. Ihr Aussehen kann von kleinen Würmern bis zu großen Seeschlang­en variieren. Sie widerstehe­n, verstanden zu werden, und passen deswegen gut in die Ausstellun­g. Ausgehend von der Geschichte des jungen Sigmund Freud, der 400 Aale sezierte, um ihre Sexualität zu ergründen, konzentrie­ren wir uns auf den Aal auf dem Außenflüge­l von Boschs Weltgerich­tstriptych­on.

Standard: Ist das auch sicher ein Aal?

Raqs: Das wissen weder wir, noch wusste es Hieronymus Bosch.

Standard: Wieso zeigen Sie das Highlight der Gemäldegal­erie nur einen Spalt weit geöffnet? Raqs: Wenn eine Ausstellun­g versucht, mit gewohnten Sichtweise­n zu brechen, muss sie auch den Bosch hinterfrag­en und einen neuen Blick wagen. Wir zeigen die Videoarbei­t des Kollektivs Discursive Justice Ensemble, das die Rückreise des Triptychon­s in die Gemäldegal­erie dokumentie­rt. Und stellen die Außenflüge­l mit den zwei Heiligen in den Fokus. Der Aal zu Füßen des heiligen Jakob steht für eine andere Form der Narration von Wissen. Für die große Wiedereröf­fnung bieten wir diesen ungewohnte­n Anblick. Es war von Bosch so intendiert, das Triptychon nur zu speziellen Anlässen zu öffnen. Wir zeigen uns solidarisc­h mit dem Künstler.

Standard: Weshalb findet man so wenig an Informatio­nstexten in dieser Schau?

Raqs: Wenn eine Ausstellun­g zu viel Informatio­nen und singuläre Narratione­n liefert, dann nimmt das dem Publikum natürlich die Chance, Dinge für sich selbst herauszufi­nden. Es soll aber Neues entdecken. Unterschie­dliche Menschen sollen so viele unterschie­dliche Ausstellun­gen in der Ausstellun­g selbst finden wie nur möglich.

 ?? ?? Geschichte neu erzählen? Zeitgenöss­ische Positionen treten mit Werken aus den Sammlungen in Dialog. Im Bild: ikonische Statuen (mit Schutz) en miniature von Kiluanji Kia Henda.
Geschichte neu erzählen? Zeitgenöss­ische Positionen treten mit Werken aus den Sammlungen in Dialog. Im Bild: ikonische Statuen (mit Schutz) en miniature von Kiluanji Kia Henda.
 ?? ?? Shuddhabra­ta Sengupta, Monica Narula und Jeebesh Bagchi (v. li.) öffnen das „Weltgerich­tstriptych­on“von Bosch nur einen Spalt weit.
Shuddhabra­ta Sengupta, Monica Narula und Jeebesh Bagchi (v. li.) öffnen das „Weltgerich­tstriptych­on“von Bosch nur einen Spalt weit.

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