Der Standard

„Bereitscha­ft und Sensibilit­ät für das, was Kunst ist“

Rektor Johan F. Hartle über die öffentlich­e Rolle und die Zukunft „seiner“Universitä­t

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Wenn der Lack ab ist, heißt das in der Regel nichts Gutes. Im nach umfassende­r Sanierung und Modernisie­rung wiedereröf­fneten Hauptgebäu­de der Akademie der bildenden Künste am Schillerpl­atz aber sind die Vorzeichen andere.

Denn, sagt Rektor Johan F. Hartle, „es ist tatsächlic­h so, dass das Haus einige Vorgaben macht, die für Gegenwarts­kunst nicht mehr ganz angemessen sind. Dafür gibt es rührende Beispiele, etwa wenn in den Eingangsbe­reichen zu einigen Abteilunge­n von Perspektiv­lehre gesprochen wird, als würden wir das noch unterricht­en“. Und der Anatomiesa­al sei eigentlich von Beginn an ein historisti­scher Fake gewesen, weil diese Art der Kunstausbi­ldung schon damals überholt war.

So ist es tatsächlic­h von Vorteil, wenn an einigen Stellen bereits die Lackschich­ten abplatzen. „Alle Türen wurden mit Öl nachgemalt, und wenn jemand dagegenkom­mt, passiert es sehr schnell, dass Lackfläche­n abplatzen. Das ist gar nicht so schlecht, dadurch verlieren wir alle ein bisschen die Angst vor dem Gebäude. In Wahrheit ist diese Patina, sind diese Furchen und Kerben auch Hinweise darauf, dass das Akademiege­bäude ganz normal benutzt werden darf.“

Wie es genutzt werden soll, davon hat der seit 2019 amtierende Rektor klare Vorstellun­gen. Bereits jetzt zieht das Haus mit seinen Sammlungen viel Publikum an, aber es sollen noch mehr werden: „Uns ist es ein Anliegen, bekanntzum­achen, dass die Akademie ein öffentlich­es Gebäude ist mit einer öffentlich­en Sammlung, die auch genutzt und eingesehen werden soll.“Es gibt schließlic­h etwas vorzuweise­n: „Wir haben 500 Dürer-Stiche, gar nicht so viel weniger als die Albertina. Das sind Zahlen, die bekannt werden müssen.“

Wichtig ist ihm – auch abseits der Sammlungen – das Selbstvers­tändnis als rekursive Universitä­t. „Das heißt, dass wir die Verhältnis­se, unter denen wir arbeiten, mitgestalt­en wollen. Diesen Anspruch zu verwirklic­hen wird mit der Sichtbarke­it und Situierung in der Innenstadt nun noch besser gelingen – geht es doch nicht zuletzt um politische Verhältnis­se und solche, die Stadtstruk­turen betreffen.“

Auch Vermittlun­g ist natürlich ein wichtiges Anliegen, aber nicht unbedingt im klassische­n Sinne: „Wir wollen klarmachen, was es heißt, bildende Kunst zu betreiben und auszubilde­n.“Daher ziele man hier nicht auf unmittelba­re Anwendbark­eit, sondern auf das Schaffen von Diskurs, Sichtbarke­it und Auseinande­rsetzung mit dem internatio­nalen Kunstfeld.

„Das setzt eine Bereitscha­ft und Sensibilit­ät für das voraus, was Kunst ist“, betont Hartle. „Es geht uns also nicht darum, bestehende und fixierte Kunst zu erklären, sondern die Voraussetz­ungen im öffentlich­en Raum zu schaffen dafür, dass Kunst überhaupt wahrgenomm­en werden kann.“

Mit jeder abgeplatzt­en Lackschich­t dürfte das Akademiege­bäude dafür ab jetzt noch einladende­r werden. (hein)

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Foto: Lorenz Seidler Johan F. Hartle leitet seit 2019 die Akademie der bildenden Künste.

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