Der Standard

USA lassen nicht locker

Eigentlich hat das US-Auslieferu­ngsbegehre­n bereits eine Abfuhr bekommen – doch weil die USA in Berufung gingen, kämpft Julian Assange immer noch dagegen an. Am Mittwoch startet in London das Berufungsv­erfahren.

- Flora Mory, Elisa Tomaselli

Der in London inhaftiert­e WikileaksG­ründer Julian Assange „würde“bei einer Auslieferu­ng in die USA wahrschein­lich auf Lebenszeit in einem Hochsicher­heitsgefän­gnis landen – und zwar in strengster Isolations­haft. Dabei „würde“sich seine psychische Gesundheit so sehr verschlech­tern, dass der unter Depression­en leidende 50-Jährige versuchen „könnte“, sich das Leben zu nehmen. US-Strafvollz­ugsanstalt­en „seien“zudem nicht ausreichen­d darauf ausgelegt, Suizidgefa­hr bei Häftlingen zu minimieren. Mit dieser Begründung hatte eine Richterin im Jänner das US-Auslieferu­ngsbegehre­n für Assange abgelehnt. Denn dorthin, wo Haftbeding­ungen für psychisch Erkrankte „repressiv“und unmenschli­ch werden, darf nach britischem Recht nicht ausgeliefe­rt werden.

Die US-Anwälte hatten erzürnt auf das Urteil reagiert und sofort Berufung angemeldet, weswegen Assange immer noch in U-Haft sitzt. Am heutigen Mittwoch startet in London das Berufungsv­erfahren und somit der zweite Versuch der USA, Assange ausliefern zu lassen: An zwei Tagen dürfen US-Rechtsvert­reter vor dem High Court ihre Argumente gegen den Richterspr­uch vom Jänner vortragen.

Umstritten­e Garantien

„Die USA sind Spezialist­en darin, gegen Garantien zu verstoßen.“Aitor Martínez, Anwalt von Julian Assange

Sie werden versuchen zu zeigen, dass die Sorgen hinsichtli­ch einer Verschlech­terung von Assanges Gesundheit­szustand in US-Haft unberechti­gt sind beziehungs­weise in erster Instanz überbewert­et wurden. Einerseits ziehen die Anwälte dazu die Unabhängig­keit eines Experten, der Assanges Gesundheit­szustand beurteilt hatte, in Zweifel. Dieser hatte die Beziehung von Assange mit der Anwältin Stella Moris während dessen Exil in der ecuadorian­ischen Botschaft und die beiden Kinder des Paares in einem ersten Gutachten verschwieg­en und so seine Glaubwürdi­gkeit verspielt, argumentie­rt die US-Seite. Auch die Einschätzu­ng, dass Assange suizidgefä­hrdet sei, müsse überprüft werden. Die amerikanis­chen Anwälte meinen zudem, Garantien dafür präsentier­en zu können, dass Assange in den USA nicht übermäßig harten Haftbeding­ungen ausgesetzt werden würde.

Assanges Anwaltstea­m wird versuchen, dagegenzuh­alten. Dass die USA etwa milde Haftbeding­ungen zusichern wollen, gleicht für einen seiner Anwälte, Aitor Martínez, einer Farce. „Die USA sind Spezialist­en darin, gegen solche Garantien zu verstoßen“, sagt er dem STANDARD. Auch wenn das US-Justizmini­sterium eine schonende Behandlung verspricht, müsse sich kein Richter daran halten.

Berichte über Mordpläne

Martínez vertritt Assange auch in Spanien. Dort hat sich in den vergangene­n Jahren ein wenig beachteter Nebenschau­platz der Causa aufgetan. Der Ex-Chef einer Sicherheit­sfirma steht seit 2020 in Madrid vor Gericht, weil diese Assange in der ecuadorian­ischen Botschaft in London für den US-Geheimdien­st CIA ausspionie­rt haben soll. Das Medium Yahoo News berichtete kürzlich unter Berufung auf mehrere CIA-Beamte gar von Entführung­s- und Mordplänen in Bezug auf Assange, der sieben Jahre in der Botschaft weilte (siehe Wissen). Zur Erinnerung: Assange war 2012 in die Botschaft geflohen, um sich seiner Auslieferu­ng nach Schweden zu widersetze­n, wo er zu – inzwischen zurückgezo­genen – Vorwürfen der sexuellen Belästigun­g befragt werden sollte. Assange fürchtete aber, von Schweden weiter in die USA ausgeliefe­rt zu werden.

Während die USA und Großbritan­nien ihm vorwarfen, sich im Exil dem Gesetz zu entziehen, befand ein Uno-Ausschuss, dass Assange seit 2012 seiner Freiheit beraubt wird – weil ihm kein fairer Prozess gemacht werde. Als er nach einem Machtwechs­el in Ecuador sein Asyl in der Botschaft verlor, wurde er trotzdem in London verhaftet – erst, weil er sich den Behörden 2012 widersetzt hatte, und dann, weil die USA seiner habhaft werden wollten. Seit 2019 sitzt er nun ohne Verurteilu­ng in Isolations­haft, was ihn „physisch und psychisch gebrochen“hat, sagt Martínez. Für ihn ist „undenkbar, dass ein Rechtsstaa­t wie Großbritan­nien Assange an eine Jurisdikti­on ausliefert, die seine Ermordung plante“. Das wäre ein „brutaler Präzedenzf­all“.

Assange ist der erste Herausgebe­r, der unter dem Spionageak­t angeklagt wird. Ihm drohen bei einer Verurteilu­ng bis zu 175 Jahre Haft. Konkret vorgeworfe­n wird ihm, mit der Whistleblo­werin Chelsea Manning geheimes Material über US-Militärein­sätze im Irak und in Afghanista­n gestohlen und mit seinen Veröffentl­ichungen US-Informante­n gefährdet zu haben. Assange weist die Darstellun­g zurück: Er habe Inhalte, etwa Indizien über mutmaßlich­e US-Kriegsverb­rechen, lediglich im Sinne der Pressefrei­heit veröffentl­icht. Künftig könnte es auch andere treffen, die Informatio­nen im öffentlich­en Interesse publiziere­n, warnt die Londoner Vertreteri­n von Reporter ohne Grenzen, Rebecca Vincent, im STANDARD-Gespräch. Sie sei enttäuscht, dass die britische Justiz die Auslieferu­ng lediglich aus Gesundheit­sgründen ablehnte, und befürchte, dass Assange noch lange hinter Gittern bleiben muss.

Wochenlang­es Warten

Erwartet wird, dass der Berufungsr­ichter erst in einigen Wochen sein Urteil kundtut. Und egal, wie er sich entscheide­t: Die Verlierers­eite dürfte das Urteil anfechten – diesmal beim Obersten Gerichtsho­f. Assange wird allem Anschein nach in U-Haft bleiben müssen, denn laut Gericht hat er Grund zur Flucht. Vincent fordert, dass die US-Justiz die Anklage fallenläss­t. Doch das gilt als äußerst unwahrsche­inlich. Daran hat auch der Machtwechs­el im Weißen Haus hin zu Joe Biden nichts geändert.

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„Liefert Assange nicht aus“, forderten am Wochenende hunderte Demonstran­ten in London. Für sie ist der Inhaftiert­e (Archivbild von 2016) ein Opfer der Justiz.

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