Spitze des Bundestags wird weiblich
In Deutschland hat sich der neue Bundestag konstituiert. Neue Präsidentin ist Bärbel Bas (SPD), im Präsidium hat sie mehrere Frauen um sich. Angela Merkel ist nur noch geschäftsführend im Amt, sie war bei der Sitzung Zaungast.
Es ist natürlich vieles neu, wenn sich der Deutsche Bundestag nach einer Bundestagswahl konstituiert. Doch an diesem Dienstag spielt sich auf der Ehrentribüne doch eine ungewöhnliche Szene ab, die auch viele der Abgeordnete mit ihren Handys fotografieren.
Angela Merkel kommt herein, nimmt dort Platz, zeigt sich mit Brille und putzt diese zwischendurch auch mal. Zum ersten Mal seit 31 Jahren hat sie bei der ersten Sitzung nach der Wahl keinen Platz im Plenum mehr. Sie ist jetzt nur noch geschäftsführende Bundeskanzlerin, aber keine Abgeordnete mehr, da sie ja völlig aus der deutschen Politik aussteigen will.
Auch ihre Ministerinnen und Minister sind seit Dienstag nur noch geschäftsführend zuständig – so lange, bis es einen neuen Kanzler gibt. Geplant ist, dass Olaf Scholz (SPD) am 6. Dezember gewählt wird. Noch aber laufen die Verhandlungen über eine Ampelkoalition.
Die erste Sitzung im Bundestag beginnt wie viele andere zuvor: mit einem Aufstand der AfD. Der neue Bundestag hat ja noch kein Präsidium. Also darf der Alterspräsident die Worte zur Eröffnung sprechen. Das ist, nach Lebensalter, der 80jährige AfD-Abgeordnete Alexander Gauland. Doch er kommt nicht zum Zug, denn die anderen Fraktionen definieren Alterspräsident wie schon vor vier Jahren so: jener, der am längsten im Bundestag sitzt.
Und damit ist der 79-jährige, bisherige Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) gemeint, der seit 49 Jahren ununterbrochen im Parlament vertreten ist.
„Das ist keine gute Tradition“, kritisiert der AfD-Abgeordnete Bernd Baumann, doch er dringt nicht durch. Gauland hat das Nachsehen, Schäuble bekommt noch einmal die große Bühne und organisiert dann gleich selbst seine Nachfolge.
Unter seiner Anleitung wählen die Abgeordneten die bisherige SPDVizefraktionschefin Bärbel Bas zur neuen Bundestagspräsidentin. Nach 16 Jahren stellt die SPD die stärkste
Fraktion, die bei der Wahl deutlich geschrumpfte Union liegt nur noch auf Platz zwei.
„Ich hab den Knopf schon mal gefunden“, freut sich Bas, als sie nach der Wahl und der obligatorischen Übergabe von Blumensträußen erstmals auf ihrem Präsidentinnensitz Platz nimmt und das Mikrofon einschaltet,
um die Leitung der Sitzung zu übernehmen.
Sie verspricht, den Bundestag nach innen „überparteilich zu leiten und nach außen selbstbewusst zu repräsentieren“. Doch Bas erinnert auch daran, dass sie seit dem Jahr 1949 erst die dritte Frau an der Spitze des Bundestags ist: „Ruhmreich ist das nicht. Die Verantwortung ist noch lang nicht gerecht auf alle Schultern verteilt.“
Immerhin bekommt Bas nur einen Stellvertreter (Wolfgang Kubicki/ FDP), aber vier Stellvertreterinnen: Aydan Özoğuz (SPD), Yvonne Magwas (CDU), Petra Roth (Grüne), Petra Pau (Linke). Der Kandidat der AfD, Michael Kaufmann, fällt durch – so wie zuvor schon alle AfD-Kandidaten und -Kandidatinnen in der vergangenen Legislaturperiode.
Wenn Bas von ihrem Platz über die Reihen der Abgeordneten blickt, dann hat sie viel zu sehen. 736 Männer und Frauen sitzen dort, 27 mehr als in der letzten Legislaturperiode. Damit ist der 20. Bundestag so groß wie keiner zuvor.
Er hat sich auch verjüngt und ist weiblicher geworden. Im Schnitt sind die Abgeordneten zwei Jahre jünger als jene Kolleginnen und Kollegen,
die von 2017 bis 2021 im Parlament saßen. Mit 50 Abgeordneten ist die Gruppe der unter 30-Jährigen jetzt deutlich stärker vertreten. Nach der Wahl 2017 waren es zwölf.
Es gibt auch ein paar Frauen mehr, ihr Anteil stieg von 31 auf 35 Prozent. Allerdings sind das noch immer 1,5 Prozentpunkte weniger als in den Jahren von 2013 bis 2017. Vertreten sind erstmals auch zwei Transfrauen: Tessa Ganserer aus Bayern und Nyke Slawik aus Nordrhein-Westfalen. Beide sind grün.
Apropos: In den grünen Reihen gibt es auch einen prominenten Novizen: Parteichef Robert Habeck. Er zog erstmals, per Direktmandat, in den Bundestag ein, seine Co-Chefin Annalena Baerbock ist schon seit 2013 vertreten.
Auch in den Unionsreihen entdeckt man bald ein neues, prominentes Gesicht: den ehemaligen Kanzlerkandidaten Armin Laschet. Er hat das Rennen um Merkels Nachfolge verloren und kehrt, wie angekündigt, auch nicht mehr als Ministerpräsident nach NordrheinWestfalen zurück. Künftig ist er nur noch einfacher Bundestagsabgeordneter.
Kaum Mitarbeiter zu kriegen, kaum Bauteile zu ergattern, enorm steigende Preise für Grundmaterialien, in die Höhe schnellende Energiepreise – vom großen Leitbetrieb über den Tourismusbereich bis zur lokalen Bäckerei haben derzeit fast alle Unternehmen sehr ähnliche Probleme.
Bei den Rohstoffen greifen marktwirtschaftliche Erklärungsmodelle recht gut: China etwa fährt die Magnesitproduktion zurück, was Aluminium verknappt. Das macht die Not nicht kleiner, aber zumindest erklärlich.
Anders ist die Lage beim Mangel sogenannter „Humanressourcen“. Dass in Spezialbereichen Expertinnen und Experten fehlen, ist noch zu verstehen. Aber: Wie kann es sein, dass Tausende plötzlich bereit sind, zu kündigen, wenn sie nicht örtlich flexibel (also auch im Homeoffice) arbeiten können oder ihre Vollzeitbeschäftigung auf 30 Stunden zurückfahren dürfen? Wo bleiben Bewerbungen für angesehene Berufe – im Handwerk etwa fehlen 35.000 Menschen? Was ist im Tourismus los, was in der Pflege, in der Logistik?
Die Antwort darauf ist noch unangenehmer als die derzeitige Marktlage bei den Rohstoffen: Es ist eine riesige stille Revolution am Arbeitsmarkt im Gange. Gemeint ist nicht die demografische Kurve, laut der in Österreich ab kommendem Jahr mehr Menschen über 64 Jahre alt sind als Menschen zwischen 15 und 64 grundsätzlich am Arbeitsmarkt verfügbar.
Gemeint ist: Verstärkt durch die Pandemie, Kurzarbeit und Homeoffice ist ein neues Selbstbewusstsein entstanden. Viele Menschen haben sich wirklich überlegt, wie sie arbeiten wollen. Rund 30 Wochenstunden sind das laut allen Umfragen – und die am liebsten teilweise zu Hause.
Aber auch das ist erst die halbe Wahrheit. Die globale Beratungsfirma McKinsey hat breit gefragt, warum Leute jetzt ihren Job hinwerfen. Zu wenig Geld und zu wenig Work-LifeBalance? Weit gefehlt. Die Gründe sind: sich nicht wertgeschätzt zu fühlen und kein Gefühl der sinnhaften Arbeit und der Zugehörigkeit zu haben. In den USA heißt das Phänomen „the great resignation“– Millionen haben in den vergangenen Monaten ihre Jobs hingeschmissen, weil sie eine andere Vorstellung von Arbeit haben, als Untergebene eines Managers zu sein. Das bringt Firmen in Existenzkrisen.
Mehr Geld oder eine Prämie helfen, aber nur bedingt. Es geht, vor allem bei den Jungen, um viel, viel mehr: um den Abschied vom industriellen Arbeitsbild einer Ausbildung, einer kontrollierten Arbeit in Präsenz mit anschließender Pension. Es geht um das Einrichten einer menschlichen Arbeitswelt für moderne Lebensentwürfe. Und um Werte, mit denen sich Menschen wirklich identifizieren. Profit und Effizienz sind keine Werte. Beziehungsfähigkeit und Warmherzigkeit der Führungskräfte sind es sehr wohl.
Das kann auch bedeuten, dass Vier-Tage-Wochen die Norm werden. Firmen, die jetzt nicht verstehen, was sich da tut, werden sehr wahrscheinlich den Anschluss verpassen.