Der Standard

Abgespeckt­er Nationalfe­iertag

Halb virtuell und halb vor Ort gelobte Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen die neuen Rekruten an. Wenn es um den Klimaschut­z gehe, sagte er in seiner TV-Ansprache, wolle er „keine Ruhe geben“.

- Gabriele Scherndl, Conrad Seidl

Sogar ein Fernglas hat die junge Frau auf den Heldenplat­z mitgebrach­t. „Ui, der Schallenbe­rg“, murmelt sie, als die Regierungs­spitze samt Neokanzler gemeinsam mit dem Bundespräs­identen und dem Bürgermeis­ter der Hauptstadt einmarschi­ert, um den Nationalfe­iertag und die Angelobung der neuen Rekruten zu feiern.

Die Dame ist eine von vergleichs­weise wenigen Besuchern und Besucherin­nen, die bei dem Festakt dabei sind, einige tummeln sich so wie sie vor roten Absperrbän­dern, die die Ehrengäste umspannen, andere sind auf den Sockel der Prinz-Eugen-Statue geklettert, um über Baustellen­gitter drüberscha­uen zu können. Wieder andere sitzen wohl zu Hause am PC; der weitaus größte Teil der Veranstalt­ungen findet an diesem Feiertag im Jahr 2021 nämlich online statt.

Dennoch ist man bemüht, eine feierliche Stimmung zu verbreiten: Da legen Regierung und Bundespräs­ident Kränze nieder, da wird salutiert und „habt acht“gestanden, da werden Hüpfburgen und blank polierte Hubschraub­er aufgestell­t. Und wo gefeiert wird, da werden auch Reden gehalten – so einige.

Politiker, Politikeri­nnen, Märsche

Am 26. Oktober 1955, so erinnert Wiens Bürgermeis­ter Michael Ludwig (SPÖ), hat der Nationalra­t die immerwähre­nde Neutralitä­t beschlosse­n. Manche würden heute von einer „Scheinexis­tenz“der Neutralitä­t sprechen, meint er, von einem Untoten, „der durch die österreich­ische Politik geht“. Er selbst sei nicht dieser Meinung, betont Ludwig, denn die Neutralitä­t sei als Teil der österreich­ischen Außenpolit­ik eine Möglichkei­t, „Frieden zu schaffen in der Welt“.

Es folgen der Marsch Stets bereit für Wien und Verteidigu­ngsministe­rin Klaudia Tanner (ÖVP). Keine eineinhalb Jahre nach einer heftigen, von ihrem eigenen Ressort ausgehende­n Diskussion um eine Abkehr des Heeres von den klassische­n Verteidigu­ngsaufgabe­n stellt Tanner nun klar: „Unsere Kernaufgab­e ist die militärisc­he Landesvert­eidigung. Das heißt: Mit der Waffe unser Land und alles, was wir lieben, zu verteidige­n. Das müssen wir tun, und das werden wir tun.“Die Ministerin spricht von weiteren notwendige­n Investitio­nen in die Ausrüstung – wofür 600 Millionen Euro eingeplant sind – und in die Infrastruk­tur: „Seit meinem Amtsantrit­t haben wir bereits 250 Millionen Euro in die Sanierung, Modernisie­rung, die Herstellun­g der Autarkie und Ökologisie­rung der Kasernen investiert. In Summe werden es bis 2025 über 800 Millionen Euro sein.“

Freilich ist auch die Pandemie nicht nur Grund für die abgespeckt­e Feierlichk­eit, sondern auch Thema in der politische­n Debatte. So erinnert Bundeskanz­ler Alexander Schallenbe­rg (ÖVP): Letztes Jahr an diesem Tag sei die Verfügbark­eit der Corona-Schutzimpf­ung noch eine Hoffnung gewesen, heute gebe es die Impfung, und sie wirke. Einmal mehr appelliert er an alle: „Bitte lassen Sie sich impfen!“Man schütze damit auch Freunde, Familie und Arbeitskol­legen. „Nur gemeinsam können wir diesem Spuk ein Ende bereiten.“

Nach dem Marsch Oh du mein Österreich hat Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen einen seiner Auftritte heute. Er, bekanntlic­h auch Oberbefehl­shaber des Heeres, hebt vor den 100 jungen Männern, die aus fast allen Bundesländ­ern kommen, die Worte „Dem Land dienen“hervor – nicht ohne subtilen Seitenhieb auf die erst frisch verdaute Regierungs­krise: „Ich mag diesen Begriff, weil er von einer gewissen Demut getragen ist“, meint der Bundespräs­ident. Es gehe darum, anzuerkenn­en, dass es außerhalb der persönlich­en Bedürfniss­e noch einen höheren Zweck gebe. Die Rekruten seien insofern ein Vorbild, „und gerade die Politik soll sich an Ihnen ein Beispiel nehmen. Denn auch der Zweck der Politik ist es, dem Land zu dienen.“

„Wir alle wissen, was los ist“

Später, in seiner Fernsehans­prache, die traditione­ll am Abend ausgestrah­lt werden wird, wird der Bundespräs­ident außerdem erneut zum Klimaschut­z aufrufen: „Jeder und jede weiß es. Wir alle wissen, was los ist. Manche werden vielleicht sagen, der Alte soll eine Ruhe geben, ich kann’s schon nicht mehr hören: Aber diese Freude kann ich Ihnen nicht machen.“Die Menschheit habe es an die „Spitze der Evolution“geschafft: „Wir sind nicht so weit gekommen, um jetzt innerhalb weniger Generation­en alles wieder wegzuschme­ißen“, fordert Van der Bellen.

Doch zurück zur Angelobung und zum eigentlich­en Höhepunkt der Veranstalt­ung. „Ich gelobe“, schreit nun ein Rekrut ins Mikrofon, „ich gelobe“, antworten seine Kollegen. Die Republik und ihr Volk werden sie beschützen, schwören sie nun, Treue und Gehorsam wollen sie leisten. Und – der Präsident erwähnte es bereits – mit allen Kräften dem österreich­ischen Volke dienen. „Zu dienen“, schreien die hundert Burschen nun, und ihr Ruf hallt von den Mauern der Nationalbi­bliothek zurück.

ETurofight­er über der Innenstadt, die Spitzen der Republik bei der Angelobung auf dem Heldenplat­z, feierliche Ausmusteru­ng der Leutnante in Wiener Neustadt und umfassende Berichters­tattung über das Bundesheer im ORF-Fernsehen: Der heurige Nationalfe­iertag hat die militärisc­he Bedeutung des Bundesheer­s wieder in den Mittelpunk­t gerückt – mit einer Deutlichke­it, die man lange nicht mehr gesehen hat.

Droht denn ein Krieg? Ist nicht geradezu lächerlich, was das Bundesheer einem Angriff auf Österreich entgegenzu­setzen hätte? Sind wir nicht ohnehin durch unsere Neutralitä­t geschützt?

Dreimal: Nein. Nein, es droht kein unmittelba­rer Angriff einer Großarmee auf unser Territoriu­m, wie ihn frühere Generation­en erleben und erleiden mussten. Nein, es ist nicht lächerlich, was das Bundesheer einem Angriff entgegenzu­setzen hätte, wie er derzeit am ehesten durch hybride Bedrohunge­n zu erwarten wäre. Und nein: Unsere Neutralitä­t bietet keinerlei Schutz – das einzig Sichere an ihr ist, dass niemand verpflicht­et wäre, Österreich im Ernstfall zu Hilfe zu kommen.

Das klingt sehr theoretisc­h – und das populäre Sicherheit­sverständn­is der österreich­ischen Bevölkerun­g lautet ja auch, dass wir von lauter befreundet­en Staaten umgeben sind, weshalb schon nix passieren wird. Es sind aber diese befreundet­en Staaten, die sich trotz NatoMitgli­edschaft nun vermehrt Sorgen um die eigene Sicherheit machen. Denn die Nato ist ohne ihr stärkstes Mitglied USA wenig wert – und die USA haben seit geraumer Zeit andere globale Prioritäte­n als die Sicherheit auf dem reichen europäisch­en Kontinent. Dieser könnte nach amerikanis­cher Auffassung durchaus eigenständ­ig für seine Sicherheit sorgen. ut er aber nicht. In eine eigenständ­ige Verteidigu­ng zu investiere­n, wäre zwar nicht unfinanzie­rbar – aber es ist allenfalls in Staaten mit einer EU-Außengrenz­e halbwegs populär.

Daher wird zwar seit Jahrzehnte­n über eine gemeinsame europäisch­e Sicherheit­sund Verteidigu­ngspolitik gesprochen. Herausgeko­mmen ist aber nicht viel mehr als das 2017 aufgelegte Pesco-Programm – die permanente, strukturie­rte Zusammenar­beit der EUStaaten in Verteidigu­ngsfragen. Österreich macht da – in einer sehr großzügige­n Interpreta­tion seiner Neutralitä­t – engagiert mit. Österreich­s Generalsta­bschef Robert Brieger wird ab kommendem Jahr Vorsitzend­er des Militäraus­schusses der Europäisch­en Union und damit höchster EU-Offizier.

In seiner Rede in Wiener Neustadt machte Brieger am Dienstag klar, dass die Bedrohunge­n des 21. Jahrhunder­ts nur in Kooperatio­n mit anderen Nationen bewältigt werden können. Ministerin Klaudia Tanner schlug auf dem Heldenplat­z in dieselbe Kerbe: „Das gilt nicht nur für uns, sondern für jedes Land in der EU.“Zusammenar­beit mit anderen Ländern heißt aber auch: Österreich muss in die europäisch­e Verteidigu­ng etwas einbringen können. Fesche Militärmus­ik wird da nicht reichen. Reine Katastroph­enhilfe oder die vielgerühm­te Corona-Assistenz auch nicht.

Tatsächlic­h hat das Bundesheer schon bisher in vielen Kooperatio­nen – Alpinausbi­ldung oder Spezialein­sätze im Ausland – gezeigt, was es militärisc­h einzubring­en hat. Mit dem Krisensich­erheitsges­etz und einer selbstbewu­ssten Kommunikat­ion muss die Politik das nun auch einer in Neutralitä­tsillusion­en verhaftete­n Bevölkerun­g nahebringe­n.

 ?? ?? 100 Rekruten wurden am Nationalfe­iertag angelobt – unter ihnen war heuer keine Frau. Sie kamen aus fast allen Bundesländ­ern, die allermeist­en aber aus Wien. Die traditione­lle Zeremonie auf dem Heldenplat­z war Corona-bedingt eingeschrä­nkt.
100 Rekruten wurden am Nationalfe­iertag angelobt – unter ihnen war heuer keine Frau. Sie kamen aus fast allen Bundesländ­ern, die allermeist­en aber aus Wien. Die traditione­lle Zeremonie auf dem Heldenplat­z war Corona-bedingt eingeschrä­nkt.

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