Abgespeckter Nationalfeiertag
Halb virtuell und halb vor Ort gelobte Bundespräsident Alexander Van der Bellen die neuen Rekruten an. Wenn es um den Klimaschutz gehe, sagte er in seiner TV-Ansprache, wolle er „keine Ruhe geben“.
Sogar ein Fernglas hat die junge Frau auf den Heldenplatz mitgebracht. „Ui, der Schallenberg“, murmelt sie, als die Regierungsspitze samt Neokanzler gemeinsam mit dem Bundespräsidenten und dem Bürgermeister der Hauptstadt einmarschiert, um den Nationalfeiertag und die Angelobung der neuen Rekruten zu feiern.
Die Dame ist eine von vergleichsweise wenigen Besuchern und Besucherinnen, die bei dem Festakt dabei sind, einige tummeln sich so wie sie vor roten Absperrbändern, die die Ehrengäste umspannen, andere sind auf den Sockel der Prinz-Eugen-Statue geklettert, um über Baustellengitter drüberschauen zu können. Wieder andere sitzen wohl zu Hause am PC; der weitaus größte Teil der Veranstaltungen findet an diesem Feiertag im Jahr 2021 nämlich online statt.
Dennoch ist man bemüht, eine feierliche Stimmung zu verbreiten: Da legen Regierung und Bundespräsident Kränze nieder, da wird salutiert und „habt acht“gestanden, da werden Hüpfburgen und blank polierte Hubschrauber aufgestellt. Und wo gefeiert wird, da werden auch Reden gehalten – so einige.
Politiker, Politikerinnen, Märsche
Am 26. Oktober 1955, so erinnert Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ), hat der Nationalrat die immerwährende Neutralität beschlossen. Manche würden heute von einer „Scheinexistenz“der Neutralität sprechen, meint er, von einem Untoten, „der durch die österreichische Politik geht“. Er selbst sei nicht dieser Meinung, betont Ludwig, denn die Neutralität sei als Teil der österreichischen Außenpolitik eine Möglichkeit, „Frieden zu schaffen in der Welt“.
Es folgen der Marsch Stets bereit für Wien und Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP). Keine eineinhalb Jahre nach einer heftigen, von ihrem eigenen Ressort ausgehenden Diskussion um eine Abkehr des Heeres von den klassischen Verteidigungsaufgaben stellt Tanner nun klar: „Unsere Kernaufgabe ist die militärische Landesverteidigung. Das heißt: Mit der Waffe unser Land und alles, was wir lieben, zu verteidigen. Das müssen wir tun, und das werden wir tun.“Die Ministerin spricht von weiteren notwendigen Investitionen in die Ausrüstung – wofür 600 Millionen Euro eingeplant sind – und in die Infrastruktur: „Seit meinem Amtsantritt haben wir bereits 250 Millionen Euro in die Sanierung, Modernisierung, die Herstellung der Autarkie und Ökologisierung der Kasernen investiert. In Summe werden es bis 2025 über 800 Millionen Euro sein.“
Freilich ist auch die Pandemie nicht nur Grund für die abgespeckte Feierlichkeit, sondern auch Thema in der politischen Debatte. So erinnert Bundeskanzler Alexander Schallenberg (ÖVP): Letztes Jahr an diesem Tag sei die Verfügbarkeit der Corona-Schutzimpfung noch eine Hoffnung gewesen, heute gebe es die Impfung, und sie wirke. Einmal mehr appelliert er an alle: „Bitte lassen Sie sich impfen!“Man schütze damit auch Freunde, Familie und Arbeitskollegen. „Nur gemeinsam können wir diesem Spuk ein Ende bereiten.“
Nach dem Marsch Oh du mein Österreich hat Bundespräsident Alexander Van der Bellen einen seiner Auftritte heute. Er, bekanntlich auch Oberbefehlshaber des Heeres, hebt vor den 100 jungen Männern, die aus fast allen Bundesländern kommen, die Worte „Dem Land dienen“hervor – nicht ohne subtilen Seitenhieb auf die erst frisch verdaute Regierungskrise: „Ich mag diesen Begriff, weil er von einer gewissen Demut getragen ist“, meint der Bundespräsident. Es gehe darum, anzuerkennen, dass es außerhalb der persönlichen Bedürfnisse noch einen höheren Zweck gebe. Die Rekruten seien insofern ein Vorbild, „und gerade die Politik soll sich an Ihnen ein Beispiel nehmen. Denn auch der Zweck der Politik ist es, dem Land zu dienen.“
„Wir alle wissen, was los ist“
Später, in seiner Fernsehansprache, die traditionell am Abend ausgestrahlt werden wird, wird der Bundespräsident außerdem erneut zum Klimaschutz aufrufen: „Jeder und jede weiß es. Wir alle wissen, was los ist. Manche werden vielleicht sagen, der Alte soll eine Ruhe geben, ich kann’s schon nicht mehr hören: Aber diese Freude kann ich Ihnen nicht machen.“Die Menschheit habe es an die „Spitze der Evolution“geschafft: „Wir sind nicht so weit gekommen, um jetzt innerhalb weniger Generationen alles wieder wegzuschmeißen“, fordert Van der Bellen.
Doch zurück zur Angelobung und zum eigentlichen Höhepunkt der Veranstaltung. „Ich gelobe“, schreit nun ein Rekrut ins Mikrofon, „ich gelobe“, antworten seine Kollegen. Die Republik und ihr Volk werden sie beschützen, schwören sie nun, Treue und Gehorsam wollen sie leisten. Und – der Präsident erwähnte es bereits – mit allen Kräften dem österreichischen Volke dienen. „Zu dienen“, schreien die hundert Burschen nun, und ihr Ruf hallt von den Mauern der Nationalbibliothek zurück.
ETurofighter über der Innenstadt, die Spitzen der Republik bei der Angelobung auf dem Heldenplatz, feierliche Ausmusterung der Leutnante in Wiener Neustadt und umfassende Berichterstattung über das Bundesheer im ORF-Fernsehen: Der heurige Nationalfeiertag hat die militärische Bedeutung des Bundesheers wieder in den Mittelpunkt gerückt – mit einer Deutlichkeit, die man lange nicht mehr gesehen hat.
Droht denn ein Krieg? Ist nicht geradezu lächerlich, was das Bundesheer einem Angriff auf Österreich entgegenzusetzen hätte? Sind wir nicht ohnehin durch unsere Neutralität geschützt?
Dreimal: Nein. Nein, es droht kein unmittelbarer Angriff einer Großarmee auf unser Territorium, wie ihn frühere Generationen erleben und erleiden mussten. Nein, es ist nicht lächerlich, was das Bundesheer einem Angriff entgegenzusetzen hätte, wie er derzeit am ehesten durch hybride Bedrohungen zu erwarten wäre. Und nein: Unsere Neutralität bietet keinerlei Schutz – das einzig Sichere an ihr ist, dass niemand verpflichtet wäre, Österreich im Ernstfall zu Hilfe zu kommen.
Das klingt sehr theoretisch – und das populäre Sicherheitsverständnis der österreichischen Bevölkerung lautet ja auch, dass wir von lauter befreundeten Staaten umgeben sind, weshalb schon nix passieren wird. Es sind aber diese befreundeten Staaten, die sich trotz NatoMitgliedschaft nun vermehrt Sorgen um die eigene Sicherheit machen. Denn die Nato ist ohne ihr stärkstes Mitglied USA wenig wert – und die USA haben seit geraumer Zeit andere globale Prioritäten als die Sicherheit auf dem reichen europäischen Kontinent. Dieser könnte nach amerikanischer Auffassung durchaus eigenständig für seine Sicherheit sorgen. ut er aber nicht. In eine eigenständige Verteidigung zu investieren, wäre zwar nicht unfinanzierbar – aber es ist allenfalls in Staaten mit einer EU-Außengrenze halbwegs populär.
Daher wird zwar seit Jahrzehnten über eine gemeinsame europäische Sicherheitsund Verteidigungspolitik gesprochen. Herausgekommen ist aber nicht viel mehr als das 2017 aufgelegte Pesco-Programm – die permanente, strukturierte Zusammenarbeit der EUStaaten in Verteidigungsfragen. Österreich macht da – in einer sehr großzügigen Interpretation seiner Neutralität – engagiert mit. Österreichs Generalstabschef Robert Brieger wird ab kommendem Jahr Vorsitzender des Militärausschusses der Europäischen Union und damit höchster EU-Offizier.
In seiner Rede in Wiener Neustadt machte Brieger am Dienstag klar, dass die Bedrohungen des 21. Jahrhunderts nur in Kooperation mit anderen Nationen bewältigt werden können. Ministerin Klaudia Tanner schlug auf dem Heldenplatz in dieselbe Kerbe: „Das gilt nicht nur für uns, sondern für jedes Land in der EU.“Zusammenarbeit mit anderen Ländern heißt aber auch: Österreich muss in die europäische Verteidigung etwas einbringen können. Fesche Militärmusik wird da nicht reichen. Reine Katastrophenhilfe oder die vielgerühmte Corona-Assistenz auch nicht.
Tatsächlich hat das Bundesheer schon bisher in vielen Kooperationen – Alpinausbildung oder Spezialeinsätze im Ausland – gezeigt, was es militärisch einzubringen hat. Mit dem Krisensicherheitsgesetz und einer selbstbewussten Kommunikation muss die Politik das nun auch einer in Neutralitätsillusionen verhafteten Bevölkerung nahebringen.