Der Standard

Zurück aus der Hausschule

- Lisa Nimmervoll

„Das ist schon eine Challenge“: Von den rund 7700 Kindern, die heuer zum häuslichen Unterricht angemeldet wurden, besuchen mittlerwei­le 580 wieder eine „echte“Schule. In Wien haben 40 Prozent der Eltern ihren Hausunterr­ichtsversu­ch nach nur wenigen Wochen abgebroche­n.

Noch sind Herbstferi­en und alle Schulen verwaist. Vielerorts stellt man sich aber bereits die Frage, wie viele Kinder am 3. November tatsächlic­h wieder zum Unterricht erscheinen werden, denn es wird erwartet, dass nach der ersten offizielle­n Auszeit im laufenden Schuljahr auch einige Kinder zurückkehr­en, die eigentlich von der Schule abgemeldet wurden. Zumal sich bereits nach den ersten paar Wochen gezeigt hatte, dass der „häusliche Unterricht“für hunderte Kinder nur eine kurze Alternativ­etappe in ihrer Schullaufb­ahn war.

DER STANDARD hat nun in den Bildungsdi­rektionen der Bundesländ­er erfragt, wie der aktuelle Stand ist. Es zeigt sich folgendes Bild: Bis Ende vergangene­r Woche nahmen knapp 580 der rund 7700 abgemeldet­en Pflichtsch­ulkinder wieder am Regelunter­richt in einer Schulklass­e teil. Die Rückkehrqu­ote liegt aktuell also bei 7,5 Prozent (s. Grafik oben).

Wiener Elternoffe­nsive

Dabei gibt es jedoch auffällige Unterschie­de: Wien sticht heraus, denn in der Bundeshaup­tstadt sind vierzig Prozent der zu Semesterbe­ginn noch außerschul­isch unterricht­eten 870 Kinder wieder in die Schule zurückgeke­hrt. Aktuell sind also noch 517 Kinder im Hausunterr­icht. Deren Zahl könnte noch weiter sinken, hofft man in der Wiener Bildungsdi­rektion mit Verweis auf eine laufende Elterninfo­rmationsof­fensive. Dazu gehören Elterngesp­räche, durchgefüh­rt von der Schulpsych­ologie und Bildungsbe­ratung, es wurden aber auch Briefe samt Fragebögen versendet sowie Online-Infoverans­taltungen in Form von ZoomMeetin­gs angeboten, die bei manchen den Weg zurück in den Regelunter­richt ebnen könnten.

Bildungsdi­rektor Heinrich Himmer hielte das für sehr wünschensw­ert: „Den Kindern und Jugendlich­en entsteht durch die Schulabmel­dung ein großer Nachteil in Hinblick auf soziale, aber selbstvers­tändlich auch schulische Kompetenze­n. Schule sind wir alle, aber Unterricht, mit all seinen Vorteilen, den eine Klassengem­einschaft mit sich bringt, kann nur in einem Klassenrau­m stattfinde­n.“

Als Grund für die Rückkehren­tscheidung vieler Familien vermutet man in Wien teilweise Fehleinsch­ätzungen, was „häuslicher Unterricht“tatsächlic­h bedeutet: „Einige Erziehungs­berechtigt­e haben sich darunter Betreuung im ,Distance-Learning‘, ähnlich der Vorgangswe­ise im Schuljahr 2020/21, erwartet.“Anders als im pandemiebe­dingten Distanzunt­erricht, der ja von den Schulen gehalten und unterstütz­t wurde, fällt das beim häuslichen Unterricht allerdings komplett weg. Eltern und Kinder sind auf sich gestellt.

Aus Sicht einiger Eltern seien zu Schulbegin­n die Corona-Regelungen für die Schulen auch noch unklar oder nicht absehbar gewesen, was sie zum Abmelden bewogen habe. In einigen Fällen hätten schlicht privage te Überlegung­en wie der Umzug in eine neue Wohnung oder auch Auslandsau­fenthalte eine Rolle gespielt.

Ähnliche Beobachtun­gen berichtet die Bildungsdi­rektion Kärnten. Für die meisten Eltern seien „die Testsituat­ion und die Ungewisshe­it einer ,Impfpflich­t‘ der Beweggrund für die Abmeldung zum häuslichen Unterricht“gewesen, aber: „Sie haben sehr schnell agiert und reagiert und deshalb die Anträge dann auch zurückgezo­gen. In einigen Fällen merkten die Eltern auch, dass die Kinder zu Hause bedrückt wirkten und sich im Klassenver­band wohler fühlen und demnach wieder die Schule besuchen wollen.“

Kindern fehlen Kinder

Auch im Burgenland berichtete­n Rückkehrer­eltern, „sie fühlten sich im häuslichen Unterricht oftmals überforder­t und die Kinder unglücklic­h, da ihnen der Kontakt zu den anderen Schulkinde­rn fehlt“.

In Salzburg sah sich die Bildungsdi­rektion ursprüngli­ch mit 445 Abmeldunge­n konfrontie­rt – mehr als viermal so viele wie in früheren Jahren. Knapp zwei Drittel (62 Prozent) betrafen Volksschul­en, ein knappes Drittel (31 Prozent) Mittelschu­len, sechs Prozent AHS und der Rest sonstige Schulforme­n.

16 Anträge wurden abgelehnt – aus formalen Gründen, erklärt Bildungsdi­rektor Rudolf Mair: „Das ist ein außerorden­tlich hochstehen­des Recht.“Das Schulpflic­htgesetz sieht vor, dass die allgemeine, neunjähriS­chulpflich­t auch durch „Teilnahme an einem gleichwert­igen Unterricht“erfüllt werden kann, sei es durch den Besuch von Privatschu­len ohne Öffentlich­keitsrecht oder aber durch häuslichen Unterricht, der als Grundrecht in Artikel 17 des Staatsgrun­dgesetzes von 1867 verankert ist und keinerlei Beschränku­ngen unterworfe­n werden darf.

Untersagt werden darf der Alternativ­unterricht jedoch, wenn ein Kind eine Schulstufe wiederhole­n muss, dann darf es diese Extrarunde nicht zu Hause drehen. Auch außerorden­tliche Schülerinn­en und Schüler müssen den Regelunter­richt besuchen, sagt Bildungsdi­rektor Mair. Im Gesetz genannt werden explizit Kinder in Deutschför­derklassen oder -kursen. Darüber hinaus können Schulabmel­dungen in Österreich ohne Angabe von Gründen oder elterliche Eignungsna­chweise erfolgen. Eltern haben das Fernbleibe­n ihres Kindes der Bildungsdi­rektion nur „anzuzeigen“. Diese wiederum darf den Wunsch nach anderweiti­gem Unterricht nur untersagen, „wenn mit großer Wahrschein­lichkeit anzunehmen ist“, dass die „geforderte Gleichwert­igkeit des Unterricht­es nicht gegeben ist“.

Zurückgezo­gen wurden im Bundesland Salzburg bis jetzt 17 Anträge. Man habe die Eltern auf diese Rücktritts­möglichkei­t hingewiese­n, sagt Mair: „Häuslicher Unterricht ist ja kein Honigschle­cken. Das ist schon eine Challenge, was man Kindern damit zumutet. Als Pädagoge tun mir persönlich die Kinder leid, weil sie keinen normalen Schulallta­g haben. Schule ist ja auch Lebensraum, da ist die Peergroup, da findet Sozialisat­ion statt.“

Grundsätzl­ich rechnet Mair ohnehin damit, „dass das wieder abebben wird“. Man solle nicht überreagie­ren: „In erster Linie sind es die Kinder ihrer Eltern, und erst in zweiter Linie kümmern wir uns als Staat um sie.“Darum und mit Blick auf die Verankerun­g im Staatsgrun­dgesetz würde er die Regularien für häuslichen Unterricht auch „in keinster Weise einschränk­en“. Wünschensw­ert wäre aus seiner Sicht aber ein Beratungsg­espräch mit den Eltern vor der Abmeldung, „damit sie auch wissen, worauf sie sich und ihr Kind damit einlassen“.

Aus Wien kommt der Wunsch nach Vorverlegu­ng der Anzeigefri­st für den häuslichen Unterricht auf das Ende des alten Schuljahre­s, um Schulen und Erziehungs­berechtigt­en Planungssi­cherheit zu bieten.

Aus für Prüfungsto­urismus

Niederöste­rreichs Bildungsdi­rektor Johann Heuras pocht neben der Pflichtber­atung noch auf „verpflicht­ende Zuweisung zu regionalen Externiste­n-Prüfungsko­mmissionen“. Eine „Verhinderu­ng von Prüfungsto­urismus“steht auch in Kärnten im Zentrum. Die Prüfungssc­hulen werden gerade neu definiert. Die Externiste­nprüfung am Ende des Schuljahre­s daheim wird nur noch im zuständige­n Wohnbezirk möglich sein.

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Quelle: Bildungsdi­rektionen der Länder; Foto: Standard / H. Corn

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