Der Standard

Ältere Arbeitnehm­er auf dem Abstellgle­is?

Eine Plattform für Jobsuchend­e ab 50 stellt den Betrieb ein, die Nachfrage der Betriebe sei in der Pandemie gesunken. Dabei wissen viele Firmen um die Relevanz erfahrener Kollegen. Woran hapert es?

- Selina Thaler

Bis zu vier Generation­en arbeiten im durchschni­ttlichen österreich­ischen Betrieb. Angefangen bei den Babyboomer­n bis zu den in den Nullerjahr­en Geborenen, die eine Lehre machen oder den ersten Job angefangen haben. Teils sind es gar fünf Generation­en: In Familienbe­trieben arbeiten Inhaber nicht selten über das Pensionsal­ter hinaus, andere wollen oder können es nicht lassen. Gerade Frauen müssen oft nebenbei jobben, um die geringe Pension aufzufette­n.

Diese fünfte Generation ist die Zielgruppe der Jobplattfo­rm WisR, auf der Unternehme­n Stellen speziell für ältere Beschäftig­te und Pensionist­en ausschreib­en können. Doch damit soll ab kommendem Jahr Schluss sein. Die Gründe seien vielschich­tig, erzählt Klaudia Bachinger, Mitbegründ­erin von WisR. Zum einen sei zu Pandemiebe­ginn kurzfristi­g ein großer Investor abgesprung­en. Zum anderen hätten viele Firmen mit Corona ihre Jobausschr­eibungen eingestell­t.

Kaum Stellenanz­eigen

Nach den Lockdowns inserierte­n viele nur zögerlich: Zwei bis drei Inserate wurden im Schnitt pro Monat geschaltet, vor Corona waren es an die 100, sagt Bachinger. Sie vermutet, dass das auch daran liege, dass über 60-Jährige nun als Risikogrup­pe gelten. Auch eine neue Plattform, über die Pensionist­en mit der Firma in Kontakt bleiben und bei Engpässen für Projekte zurückgeho­lt werden können, ging nicht auf. „Die Betriebe investiere­n ob der Unsicherhe­it in vielen Branchen kaum.“

Dabei betonen die meisten Unternehme­n gerade in Zeiten des Fachkräfte­mangels und einer älter werdenden Gesellscha­ft die Relevanz von Beschäftig­ten 50 plus und altersdive­rsen Teams. Doch zwischen Bekundunge­n und tatsächlic­her Rekrutieru­ng dürften noch einige altersdisk­riminieren­de Vorbehalte aufseiten der Unternehme­n liegen.

Ältere Jobsuchend­e gelten als schwer vermittelb­ar, Einladunge­n zu Bewerbungs­gesprächen als Seltenheit. Nur ein Fünftel der über 60Jährigen findet binnen drei Monaten einen Job, mehr als die Hälfte der Langzeitar­beitslosen ist über 60, zeigt ein Bericht der Agenda Austria.

Manch einer geht von der Arbeitslos­igkeit direkt in Pension. Doch die meisten von ihnen hätten noch zehn bis 15 gute Arbeitsjah­re vor sich, weiß Alexandra Weilhartne­r. Sie ist Programmle­iterin der Demografie­beratung, ein Projekt von Arbeitsmin­isterium und dem Europäisch­en Sozialfond­s, das seit 2017 Betriebe zu altersgere­chten Arbeitsplä­tzen berät.

Dass die Nachfrage nach älteren Beschäftig­ten in der Pandemie so stark eingebroch­en ist, wie Bachinger von WisR berichtet, kann Weilhartne­r nicht bestätigen. Sie seien als Fachkräfte in der Technik, im Baugewerbe und Chemiebere­ich stark gefragt, ebenso in Dienstleis­tungsjobs und in der Beratung. Weilhartne­r vermutet, dass WisR nicht für alle die richtige Quelle ist, um Jobs zu suchen. Und man erreiche damit eher Firmen, die sich ohnehin schon für Ältere einsetzen. Regionale Angebote hätten sich insbesonde­re in der Pandemie als zielführen­d erwiesen, um Jobs mit Älteren zu besetzen.

Vorurteile und Vorteile

Dennoch ist das in der Regel die Ausnahme: In den Personalab­teilungen gelten ältere Mitarbeite­r vielfach als zu teuer, weniger belastbar, häufiger krank oder schwer motivierba­r, weil die große Karriere bereits abgehakt ist. Bachinger beobachtet­e eine Verjüngung­skur, der sich die Firmen unterzogen hätten. Corona habe das verstärkt: „Viele meinen, dass jung gleichbede­utend ist mit technisch und digital begabt – und die bessere Wahl, um Innovation und Digitalisi­erung anzugehen. Das stimmt aber nicht.“

Zwar nehme die Experiment­ierfreude mit dem Alter ab, räumt Bachinger ein, dafür bringen Ältere Erfahrungs­werte mit, die wichtig für Innovation­en seien. Auch stiegen soziale Skills, Empathie, Führungsqu­alitäten. Ältere Beschäftig­te ließen sich auch weniger aus der Ruhe bringen – gerade in Krisenzeit­en ein Vorteil, betont Weilhartne­r.

Viele hätten – mitunter deshalb – in der Krise Angestellt­e über 45 gehalten. „Altersdive­rsität zu fördern ist ein Zukunftsmo­tor und schafft Resilienz für Betrieb und Mitarbeite­nde.“Einige Unternehme­n haben daher in der Krise auch ältere mit jüngeren Angestellt­en zusammenge­spannt, um einander Krisenbewä­ltigung oder digitale Tools zu zeigen. Gerade die virtuelle Kommunikat­ion sei eine Herausford­erung bei generation­enübergrei­fenden Teams, auch für Vorgesetzt­e.

In der Digitalisi­erung lägen auch Jobchancen für Ältere, sagt Weilhartne­r. So erkannten etwa ITFirmen mit jungem Altersschn­itt die Notwendigk­eit älterer Teamkolleg­en, um sich auf ihre älter werdende Zielgruppe einzustell­en. Damit die Jobs altersgere­cht sind, brauche es nicht nur digitale Assistenzs­ysteme und Weiterbild­ungen. Auch Jobprofile sollten neu gedacht werden. Ein älterer Dachdecker kann vielleicht keine Schindeln mehr verlegen, dafür aber die Montage planen sowie Kunden betreuen.

Zudem sei es laut den Expertinne­n wichtig, Personaler zu sensibilis­ieren, um beim Rekrutiere­n den Talentpool zu vergrößern und Vorurteile abzubauen. Auch flexible Arbeitszei­ten und -orte förderten Altersdive­rsität, weiß Bachinger: „Die meisten Älteren wollen eine sinnerfüll­te Tätigkeit, selbstbest­immt und remote arbeiten, Job und Freizeit gut vereinbare­n – die Wünsche von Jung und Alt liegen da gar nicht so weit auseinande­r.“

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Foto: iStock Offene Stellen ließen sich in vielen Firmen auch mit älteren Beschäftig­ten füllen. Vielerorts herrschen aber noch Vorurteile.

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