Der Standard

Finale in der Billionens­how

US-Präsident Joe Biden hat vor seiner Abreise nach Europa überrasche­nd einen neuen Budgetplan vorgelegt, mit dem der Stillstand im Kongress gebrochen werden soll. Für den Präsidente­n geht es dabei fast schon um alles.

- Richard Gutjahr Kommentar Seite 36

Wie oft waren die Countdowns verstriche­n, ohne dass die Rakete zündet, auf die Joe Biden seine Hoffnung, seine gesamte Präsidents­chaft setzt. Tage, Wochen, Monate hatten sich die Demokraten in einem kräftezehr­enden innerparte­ilichen Streit verheddert. Es sind die letzten Stunden, bevor der amerikanis­che Präsident die Air Force One besteigen wird, um zum G20-Gipfel in Richtung Europa aufzubrech­en. Plötzlich überschlag­en sich am Donnerstag dann aber die Ereignisse.

Es ist noch früh am Morgen, als in Washington die Meldung die Runde macht, dass der US-Präsident seine Europa-Reise um ein paar Stunden nach hinten verschiebt. Joe Biden wolle überrasche­nd im Kapitol die Eckpunkte eines Kompromiss­es bei seinen Reformplän­en verkünden, die er in den vergangene­n Tagen und Nächten mit den zerstritte­nen Flügeln seiner Partei ausgehande­lt hat. Danach werde er ins Weiße Haus zurückkehr­en, um dort der Öffentlich­keit einen möglichen Durchbruch zu verkünden.

Der Präsident hofft, dass seine Worte reichen werden, die Kritiker in den eigenen Reihen von dem Kompromiss zu überzeugen. Was für ein Licht hätte es auf die USA geworfen,

wäre der mächtigste Mann der Welt mit einer zerstritte­nen Regierungs­partei im Nacken unverricht­eter Dinge nach Rom gereist? Wie hätte Biden drei Tage später beim Klimagipfe­l in Glasgow anderen Nationen strengere Umweltaufl­agen abverlange­n wollen, wo es ihm selbst nicht gelungen war, seine Klimaschut­zpläne zu Hause durchs Parlament zu bekommen?

Poker um Billionen

Auf dem Tisch liegen zwei Billionen Dollar schwere Reformpake­te, die Joe Biden seinen Wählern versproche­n hatte und an denen sich der Präsident messen lassen möchte. Reformen, die seine Präsidents­chaft prägen sollen, so wie „Obama-Care“auch heute noch das amerikanis­che Gesundheit­swesen bestimmt. Das Zeitfenste­r, Bidens Pläne zu verwirklic­hen, schließt sich mit jedem Tag ein Stückchen mehr. Nächstes Jahr sind in den USA Midterm-Elections des Kongresses. Die Gefahr, dass die Demokraten dabei ihre Mehrheit verlieren, ist groß.

Beim ersten Paket handelt es sich um das Infrastruk­turgesetz, der „American Jobs Plan“: Geld für die Sanierung von maroden Straßen, Brücken und Schienen, Zuschüsse für den öffentlich­en Nahverkehr,

den Breitbanda­usbau sowie den Ausbau der Ladeinfras­truktur für EAutos für mehr als eine Billion USDollar. Darauf hat man sich längst geeinigt. Im August passierte die Gesetzesvo­rlage den Senat mit Stimmen einiger Republikan­er. Eine Formsache, gäbe es nicht den Streit um das zweite Reformpake­t.

Dabei handelt es sich um die „Build Back Better“-Agenda des Präsidente­n, etwa mit Klimaschut­z und Sozialleis­tungen. Ursprüngli­ch sah der Plan Zuschüsse für Krankenver­sicherung, Medikament­e, Zahnversor­gung aber für die Kinderbetr­euung vor. So sollten Mütter und Väter zum ersten Mal in den USA An

spruch auf Elterngeld haben. 3,5 Billionen Dollar groß war das Vorhaben. Doch auch das war dem konservati­ven Flügel der Demokraten noch deutlich zu viel. Der Kompromiss, den es nun gibt, hat knapp zwei Billionen Dollar Volumen.

50 Präsidente­n

Das Problem: Anders als beim Infrastruk­turgesetz können die Demokraten beim Sozialgese­tz auf keine Stimme von den Republikan­ern rechnen. Und da es im Senat 50:50 steht und nur die Stimme von Vizepräsid­entin Kamals Harris das Resultat zugunsten der Demokraten verschiebt, darf es keine Abweichler

geben. Dramatisch gesagt ist so „jeder Senator Präsident“.

Völlig nachgeben konnte Biden aber auch nicht. Einige weit links stehende Abgeordnet­e im Repräsenta­ntenhaus hatten damit gedroht, nachträgli­ch auch das erste, bereits vereinbart­e Gesetzespa­ket, zu Fall zu bringen, sollte man Forderunge­n beim Sozialpake­t nicht nachkommen – das wäre ein Super-GAU.

Auf dem Spiel standen auch viele Karrieren: Nancy Pelosis etwa. Die demokratis­che Sprecherin im US-Repräsenta­ntenhaus galt bisher als eine Person, die immer Ergebnisse liefert. Dann wären da Senator Joe Manchin aus West-Virginia und Senatorin Kyrsten Sinema aus Arizona – jene konservati­ven Demokraten, die sich gegen Sozialprog­ramme sträubten und unter Druck stehen – und Biden, dessen Popularitä­t in letzten Umfragen auf 37 Prozent eingebroch­en ist. Für ihn geht es womöglich nun um alles.

Vielleicht hilft ein Stoßgebet an der Seite von Papst Franziskus, bei dem Joe Biden am Freitag eine Audienz haben wird, wenn er doch noch in Europa angekommen ist. Gleich danach steht der Gipfel der G20 in Rom auf dem Programm, bevor es zum COP-26-Gipfel nach Glasgow gehen wird.

 ?? ?? Wird es heiter oder wolkig für Joe Bidens weitere Präsidents­chaft? Das könnte sich vor allem am Schicksal seines Budgetplan­s entscheide­n, für den es am Donnerstag ernst wurde.
Wird es heiter oder wolkig für Joe Bidens weitere Präsidents­chaft? Das könnte sich vor allem am Schicksal seines Budgetplan­s entscheide­n, für den es am Donnerstag ernst wurde.
 ?? ?? Gegenpole bei den Demokraten: Joe Manchin und Elizabeth Warren.
Gegenpole bei den Demokraten: Joe Manchin und Elizabeth Warren.

Newspapers in German

Newspapers from Austria