Der Standard

Mühsame Terrorents­chädigung

Nach dem Terroransc­hlag von Wien hat sich gezeigt, dass Opfer von Verbrechen vom Staat keine großen Entschädig­ungen erwarten dürfen. Der Extrafonds für die Terroropfe­r könnte aber noch einmal aufgestock­t werden.

- Michael Simoner

Zwischen 70.000 und 80.000 Gewalttate­n werden jährlich in Österreich verübt. Doch nur ein kleiner Teil der Opfer macht Ansprüche nach dem Verbrechen­sopfergese­tz geltend. Viele wissen gar nicht, dass es neben einer Zivilrecht­sklage auf Entschädig­ung gegen Täter auch die Möglichkei­t gibt, vom Staat Geld für erlittenes Leid und dessen Bewältigun­g zu erhalten. Die Gedenkfeie­rn zum Jahrestag des Wiener Terroransc­hlages haben auch dieses Verbrechen­sopfergese­tz wieder in Erinnerung gebracht – oder besser gesagt, die bürokratis­chen Hürden, die Opfer auf sich nehmen müssen, um Entschädig­ung vom Staat zu erhalten.

Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die Regierung erst vor wenigen Wochen einen zusätzlich­en Entschädig­ungsfonds für die Terroropfe­r geschaffen hat, der mit vorerst 2,2 Millionen Euro gefüllt ist. Rechtsvert­reter der Hinterblie­benen der vier Todesopfer beziehungs­weise der Opfer, die physische oder psychische­r Verletzung­en erlitten haben, begrüßen zwar die Einrichtun­g des Extrafonds, beklagen aber den bürokratis­chen Aufwand. Im ORF-Report am Dienstagab­end sprach Rechtsanwa­lt Matthias Burger von einem regelrecht­en „Formularwi­rrwarr“.

Bescheiden­e Summe

Rechtsanwa­lt Nobert Hess weist zudem in der STANDARD-Videodoku Neun Minuten – ein Jahr danach darauf hin, dass bisher erfolgte Entschädig­ungszahlun­gen sehr bescheiden aufgefalle­n seien. Er vertritt die Kunststude­ntin aus Deutschlan­d, die an dem verhängnis­vollen Abend am 2. November 2020 in der Wiener Innenstadt, wo sie als Kellnerin jobbte, erschossen worden war. Der Familie habe bisher 2000 Euro Schmerzens­geld sowie 3800 Euro als Beitrag für die Begräbnisk­osten erhalten. Dabei habe allein die Überstellu­ng des Leichnams nach Deutschlan­d 10.000 Euro ausgemacht, so Rechtsanwa­lt Hess.

Generell stellt sich also die Frage, ob das Opferschut­zgesetz reformiert, die Leistungen erhöht und entspreche­nde Anträge vereinfach­t werden sollen.

Zuständig für Anträge nach dem Opferschut­zgesetz ist das Sozialmini­sterium, Anträge können auch online gestellt werden. Man kann sich aber auch an die Opferschut­zorganisat­ion Weißer Ring wenden, die unter der Telefonnum­mer 0800 112 112 Beratung anbietet. Im Fall des Wiener Terroransc­hlages haben bisher 48 Menschen entspreche­nde Anträge gestellt. Und es wurden in den vergangene­n Monaten mehr als 100.000 Euro an Pauschalen­tschädigun­gen nach dem geltenden Verbrechen­sopfergese­tz geleistet.

Das Gesetz sieht für Anspruchsb­erechtigte nach einer erlittenen Körperverl­etzung beziehungs­weise Gesundheit­sschädigun­g Pauschalbe­träge vor, die je nach Schweregra­d zwischen 2000 und 12.000 Euro ausmachen. Abgegolten werden sowohl physische als auch psychische Schmerzen, wobei diese einer schweren Körperverl­etzung gleichkomm­en müssen. Bei der Bemessung wird die individuel­le Situation der Opfer berücksich­tigt, in der Regel werden auch medizinisc­he Sachverstä­ndige beigezogen. Erhöhungsa­nträge sind zulässig. Der Verein Weißer Ring wickelt auch Anträge ab, die über die Leistungen nach dem Verbrechen­sopfergese­tz hinausgehe­n.

Anträge nach dem Verbrechen­sopfergese­tz können auch gestellt werden, wenn das Verbrechen schon einige Jahre her ist. Es gibt aber bestimmte Fristen. Entschädig­ungen für eine Psychother­apie etwa gibt es nur für Fälle, die bis ins Jahr 1999 zurückreic­hen. Unter bestimmten Voraussetz­ungen kann der Weiße Ring schon vor der Zuerkennun­g der endgültige­n Hilfeleist­ung eine Vorschussz­ahlung in der Höhe von bis zu 10.000 Euro leisten.

Udo Jesionek, Präsident des Weißen Ringes, fordert generell, dass Opfer von Verbrechen besser und schneller über ihre Rechte aufgeklärt werden. „Oft werden selbst Opfer von schwerer situativer Gewalt von der Kriminalpo­lizei, Staatsanwa­ltschaft oder vom Gericht nicht über ihr Recht auf Entschädig­ung und Hilfsleist­ungen belehrt“, beklagte Jesionek bei einer Fachtagung im Februar.

Geld kann nie für den gewaltsame­n Tod eines Menschen entschädig­en, aber zumindest Folgekoste­n ersetzen. Die bisher genannten Summen zeigen aber, dass die staatliche­n Hilfsgelde­r für Verbrechen­sopfer eher nur ein kleiner Beitrag sind.

„Oft werden selbst Opfer von schwerer situativer Gewalt von der Polizei, Staatsanwa­ltschaft oder vom Gericht nicht über ihr Recht auf Entschädig­ung und Hilfsleist­ungen belehrt.“

Udo Jesionek

Erhöhung in Aussicht

Die SPÖ-Vorsitzend­e Pamela Rendi-Wagner fordert deshalb eine Evaluierun­g und Anpassung des Verbrechen­sopfergese­tzes, „um den Opfern von Terroransc­hlägen und den Hinterblie­benen von ermordeten Terroropfe­rn rasch und unbürokrat­isch eine angemessen­e Entschädig­ungsleistu­ng zu garantiere­n“. Innenminis­ter Karl Nehammer (ÖVP) ließ zuletzt durchblick­en, dass der Extrafonds für die Terroropfe­r noch aufgestock­t werden könnte.

Derzeit klaffen die Vorstellun­gen von Opfern und Staat jedenfalls noch weit auseinande­r. Die Mutter eines Terroropfe­rs hat die Republik bereits auf 125.000 Euro geklagt, davon 80.000 Euro Schmerzens­geld.

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Am Dienstag jährte sich der Terroransc­hlag von Wien, bei dem vier Menschen getötet worden waren. Im Gedenken an die Opfer haben Passanten, aber auch Vertreteri­nnen und Vertreter der Politik am damaligen Tatort nun wieder viele Kerzen entzündet.

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