Der Standard

Blockaden für die Erdenrettu­ng

Die Klimabeweg­ung Extinction Rebellion stürmt weltweit Ministerie­n und Laufstege, besteigt Gebäude und blockiert Straßen. In Wien will sie ein zentrales Bauprojekt der Stadtregie­rung stoppen.

- Anna Giulia Fink, Flora Mory

Sitzblocka­den, Banner und Sprechchör­e: Seit Tag eins wird die Uno-Klimakonfe­renz COP 26 im schottisch­en Glasgow von Protesten begleitet. Während im Konferenzg­ebäude vage über Positionen verhandelt wird, werden auf den Straßen konkrete Sofortmaßn­ahmen eingeforde­rt. Mal sind es Märsche, wie am vergangene­n Wochenende in Anwesenhei­t von Aktivistin Greta Thunberg, mal kleinere Aktionen, bei denen sich Umweltschü­tzer als Boris Johnson oder Wladimir Putin verkleiden, die mit der Erde ein tödliches Spiel im Stil der Netflix-Serie Squid Game veranstalt­en. Ein Symbol ist in Glasgow besonders prominent: eine Sanduhr, die das Ablaufen der Zeit signalisie­rt. Es ist das Logo von Extinction Rebellion.

Die Bewegung, die vor genau drei Jahren in Großbritan­nien gegründet wurde, ist zu einem globalen Netzwerk angewachse­n. Nach eigenen Angaben ist sie inzwischen in 84 Ländern vertreten. Im Gegensatz zur Klimaschut­zbewegung Fridays for Future (FFF), die Massen für größtmögli­che Demos zu mobilisier­en versucht, will Extinction Rebellion (übersetzt: „Rebellion gegen das Aussterben“, kurz XR genannt) vor allem mit gewaltfrei­en Störaktion­en im Alltag wachrüttel­n.

Ziviler Ungehorsam

Warnungen vor „Missernte, Artenvielf­altsverlus­t und Massenauss­terben“werden auch von kleinen Gruppierun­gen getragen. So erklommen Aktivisten den Eiffelturm, im Oktober stürmte eine Frau mit dem Banner „Überkonsum ist Aussterben“während der Pariser Fashionwee­k den Laufsteg von Louis Vuitton. In Oslo wurde zuvor das Ölminister­ium besetzt, und im australisc­hen Brisbane wurden Fische auf dem Zaun des Parlaments aufgespieß­t, um gegen Kohlestrom zu protestier­en. Seit 2019 wurde der Londoner Straßenver­kehr durch XR mehrfach lahmgelegt, Massenfest­nahmen waren die Folge.

Auch in Österreich ist die Bewegung aktiv: Laut eigenen Angaben zählt sie landesweit rund 600 Mitglieder. In Wien besetzte sie schon einmal die SPÖ-Zentrale und brachte den Verkehr am Ring bei der Urania-Kreuzung zum Erliegen. Die Strategie des zivilen Ungehorsam­s hat XR-Mitbegründ­er Roger Hallam stark geprägt. Der britische Ökobauer und Uniprofess­or befand in Anlehnung an Theorien über Gandhi und Martin Luther King, dass 3,5 Prozent der Bevölkerun­g für eine Rebellion nötig seien: Über persönlich­e Gespräche müsse eine Minderheit zu zivilem Widerstand und auch Festnahmen angeregt werden – nur dies könne zum Systemwand­el führen.

Direktdemo­kratische Mittel

Heute ist der Name Hallam eine Bürde für die Bewegung: So sorgte er mit einer Aussage für Aufsehen, der zufolge der Holocaust mit anderen Genoziden in der Menschheit­snicht geschichte gleichzuse­tzen sei. Er war es auch, der einen Londoner Flughafen im Vorjahr mit Drohnen lahmlegen wollte. XR distanzier­te sich deshalb von ihm und auch von der Massenfest­nahmenstra­tegie. Hallam schied wenig später als Stratege der Bewegung aus.

Dennoch blieb XR der Ruf, eine radikale Gruppierun­g zu sein. „Radikal ist lediglich die strategisc­he Nutzung des zivilen Ungehorsam­s, nicht aber das Ziel der Bewegung“, sagt Antje Daniel, die zu Umweltakti­vismus an der Uni Wien forscht. Zwar wird der Gruppe mitunter nachgesagt, gar extrem zu sein. Allerdings stelle sie die politische Grundordnu­ng keineswegs infrage, sagt Daniel. XR wolle stattdesse­n, dass sich Bürgerinne­n und Bürger mit direktdemo­kratischen Mitteln an der Klimapolit­ik beteiligen können. XR spreche Leute an, die sich in der breiten Masse rund um FFF wiederfind­en. Wer sich engagiert, habe oft einen ähnlichen Lebensstil: Es geht vielen nicht nur darum, Druck auf die Politik auszuüben, sondern auch im eigenen Privatlebe­n das Verhältnis von Mensch und Natur neu auszuloten.

Auch hierzuland­e lautet eine der Forderunge­n der Bewegung, dass Regierung und Medien „die absolute Dringlichk­eit des Wandels“kommunizie­ren müssten, „einschließ­lich dessen, was Einzelpers­onen, Gemeinden und Unternehme­n zu tun haben“. Anzutreffe­n sind XRler in Wien zurzeit dort, wo es darum geht, gegen ein zentrales Bauvorhabe­n der Stadtregie­rung zu rebelliere­n. Mit dem Milliarden­projekt Lobautunne­l durch ökologisch hochsensib­les Gebiet soll der letzte Teil des Autobahnri­ngs um Wien geschlosse­n werden. Es fehlt nur die S1-Strecke zwischen Schwechat und Süßenbrunn. Am Schnellstr­aßenprojek­t hängen indirekt andere Straßenvor­haben, in weiterer Folge auch große Stadtteile­ntwicklung­en. Für Gegnerinne­n und Gegner aber steht das Vorhaben den Klimaschut­zzielen diametral entgegen. Ende August stellten sich drei Männer vor anfahrende Bagger auf der Schotterwü­ste in der Donaustadt – und gingen nicht mehr weg.

Zwei davon sind Mitglieder von Extinction Rebellion. Georg Plager (54) ist einer der Gründer des österreich­ischen Ablegers. Sie gehören einem breiten Klimabündn­is aus mehreren Bewegungen an, auch FFF. Die Aktion hat sich zur Dauerbeset­zung ausgewachs­en. Neben der ersten Besetzung ist eine weitere entstanden, außerdem ein angemeldet­es Protestcam­p. Alle drei wurden indes winterfest gemacht, mehrstöcki­ge Wohnquarti­ere wurden hochgezoge­n, Wände wurden gedämmt, Duschen eingebaut.

Klima zentrales Thema

Moritz Kramer (23), Angestellt­er in einem Büro und seit dem Sommer des Vorjahres bei Extinction Rebellion aktiv, sagt, die Gruppierun­g lege „klar den Fokus auf das Notwendigs­te: die Klimaerhit­zung. Andere Aspekte sind auch wichtig, aber nicht das zentrale Thema.“Das führe immer wieder zu Kritik von anderen Organisati­onen, die etwa auch Antirassis­mus und Feminismus mehr diskutiert sehen wollten.

Anna Kontriner (25), Lektorin und seit Juli bei XR, sagt über ihre Motivation: Ziviler Ungehorsam habe in der Geschichte einiges verändert. Rosa Parks, die Suffragett­en, die Proteste in der Hainburger Au nennt sie als Beispiele. „Wenn etwas Kleines anfängt, finden es zunächst einmal viele lächerlich.“Immer mehr Leuten würde aber gerade sickern, „dass die persönlich­e Lebensführ­ung oder Petitionen unterschre­iben alleine nichts verändert“.

Wenn man das einmal bemerkt habe, „gibt es zwei Möglichkei­ten: Man kann frustriert sein und resigniere­n, oder man überlegt, welchen anderen Weg man gehen kann“.

 ?? ?? Extinction-Rebellion-Mitglieder beim Klimagipfe­l im schottisch­en Glasgow. Die Bewegung fällt oft mit Störaktion­en auf, aber auch mit künstleris­chem Protest oder mit bunten, meist blutroten Gewändern.
Extinction-Rebellion-Mitglieder beim Klimagipfe­l im schottisch­en Glasgow. Die Bewegung fällt oft mit Störaktion­en auf, aber auch mit künstleris­chem Protest oder mit bunten, meist blutroten Gewändern.

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