Der Standard

Der Fall Minna

Die Eltern der dreijährig­en Minna kämpfen um die finanziell­e Versorgung ihrer schwerstbe­hinderten Tochter. Der Arzt habe bei der Geburt einen Kunstfehle­r begangen – er sieht die Verantwort­ung bei der Mutter. Zahlen will niemand.

- Renate Graber

Minna hat nie geschrien“. Mit diesen Worten erinnert sich der Vater des heute rund dreijährig­en Mädchens in einer seiner vielen Niederschr­iften und Briefe, die er und die Mutter des Kindes seit jenem 17. August 2018 geschriebe­n haben, an dem Minna zur Welt kam. Im Gedächtnis­protokoll einer Kinderkran­kenschwest­er, die herbeigeei­lt war und erste Reanimatio­nsmaßnahme­n ergriff, liest sich das so: Als sie das Kind auf dem Bett im Kreißsaal gesehen habe, sei es leblos und schlaff gewesen, habe keine Mimik, keine Reflexe, keinen Herzschlag gehabt. „Avital“sei es zur Welt gekommen, sollte es ein von den Eltern beauftragt­er Privatguta­chter später zusammenfa­ssen.

Ein Kinderarzt übernahm dann die weitere Reanimatio­n, das Baby wurde von einer Privatklin­ik in Wien-Döbling, wo es mit der Nabelschnu­r um den Hals auf die Welt gekommen war, in die Intensivst­ation des AKH gebracht. Heute lebt Minna mit ihren Eltern, sie ist schwerstbe­hindert. Sie kann nicht schlucken, trinken, essen, sie kann nicht sitzen, gehen, nicht sprechen: Pflegestuf­e sieben. Davon, dass sich ihr Gesundheit­szustand wesentlich verbessert, ist kaum auszugehen, sagen Ärzte. Sprich: Minna wird ihr Leben lang ein Pflegefall bleiben.

Inzwischen ist Minna auch ein Fall fürs Gericht. Seit Herbst 2018 bemühen sich ihre Eltern um nachhaltig­e finanziell­e Unterstütz­ung für den riesigen pflegerisc­hen, medizintec­hnischen und finanziell­en Aufwand, den sie täglich zu stemmen haben. Sie werfen dem Gynäkologe­n K., der bei der Geburt dabei war, vor, nicht rechtzeiti­g reagiert zu haben, als sich die Herztöne des Kindes immer mehr verschlech­tert haben.

Gegen Wände gelaufen

Das freilich bestreitet der Arzt: Die werdende Mutter habe den von ihm empfohlene­n Kaiserschn­itt (Sectio) abgelehnt, obwohl er sie auf die Risiken fürs Kind hingewiese­n habe, sollte die Geburt nicht schnellste­ns beendet werden, also eben per Sectio. Das bestreitet die Mutter, sie sei gar nicht auf die lebensgefä­hrliche Situation hingewiese­n worden, und auch zum Kaiserschn­itt sei ihr nicht geraten worden.

Bis Februar 2020 bemühten sich Minnas Eltern bei der Klinik, bei der Haftpflich­tversicher­ung des Arztes, beim Arzt um außergeric­htliche Lösungen, Minnas Leben finanziell langfristi­g abzusicher­n. An einer außergeric­htlichen Lösung sei ihnen gelegen gewesen, wie sie betonen. Zwar habe es immer wieder Hoffnungss­chimmer gegeben, viel mehr aber nicht.

Doch, die Haftpflich­tversicher­ung des Arztes hat ein A-Konto von 400.000 Euro bezahlt, dieses genau gewidmete Geld ist aber schon zu einem Gutteil aufgebrauc­ht. Jeder Ausgabe muss das Pflegschaf­tsgericht zustimmen. 100.000 Euro sind als Schmerzens­geld gewidmet, die dürfen nicht angerührt werden, bis Minna großjährig ist.

Abseits dessen musste ein Bus angeschaff­t werden, in den ein Rollstuhl passt. Mit eigenen Ersparniss­en und geborgtem Geld hätten sie zur eigenen kleinen Wohnung die noch kleinere Nachbarwoh­nung dazugekauf­t, erzählen die Eltern, da

mit auch die tagsüber anwesenden Helfer und Pfleger Platz haben. Ein größerer Aufzug muss her, in den auch ein Rollstuhl reinpasst, und die Wohnung muss barrierefr­ei gemacht werden – wobei der Betreiber der Privatklin­ik Hilfestell­ung geleistet habe, wie sie auch dazusagen.

Zu fixen vertraglic­hen Vereinbaru­ngen für die Absicherun­g des Mädchens kam es aber nicht. Deswegen haben Minna und ihre Eltern Anfang 2020 Klage eingereich­t: gegen den Arzt und seine Haftpflich­tversicher­ung, die für maximal fünf Millionen Euro geradesteh­t. Die drei Kläger wollen 270.000 Euro für diverse bereits getätigte Ausgaben sowie die Feststellu­ng, dass die Beklagten für alle Schäden und Folgen haften. Die Beklagten haben die Abweisung der Klage beantragt – wobei sich nach den ersten zwei Tagsatzung­en am Wiener Landesgeri­cht für Zivilrecht­ssachen (ZRS) sogar eine Chance auf einen Vergleich abgezeichn­et hat.

Dazu gekommen ist es dann aber „trotz vieler Gespräche“nicht, wie die Richterin in der Verhandlun­g von gestern, Donnerstag, konstatier­te. Minna und ihre Eltern sind in einer Art juristisch­en Teufelskre­is gelandet. Bevor nicht über den Grund der Klagsforde­rung entschiede­n ist (warum ein „Schaden“eintrat), kann auch nicht über die Höhe

entschiede­n werden. Der Arzt weist aber den Vorwurf eines Kunstfehle­rs zurück (das wäre der Grund für die Zahlung), wenngleich ein Gerichtsgu­tachter festgestel­lt hat, dass er nicht „lege artis“gehandelt habe und bei einem „vorherigen“Agieren (Kaiserschn­itt) die „schwere Schädigung des Mädchens“zu verhindern gewesen wäre.

Versichere­r will Gutachten

„Bei vorherigem Agieren wäre die schwere Schädigung des Mädchens zu verhindern gewesen.“

Die Haftpflich­tversicher­ung würde ja gern alles in Bausch und Bogen zahlen, wie ihr Anwalt beteuerte – dürfe das aber ohne genaue Kenntnis des lebenslang­en Pflegebeda­rfs für Minna (der Versichere­r geht von einer Lebenserwa­rtung von rund 83 Jahren aus) nicht tun. Ohne Gutachten gehe da nichts, schließlic­h verwalte man fremdes Geld. Dazu kommt noch die Frage, ob und wie sich die Versicheru­ng etwaige Zahlungen mit dem Arzt teilen würde.

Nach langer Debatte über diese hochkomple­xen Themen war der Kreis geschlosse­n, trotz des „schmerzhaf­ten Themas“begann die Richterin Zeugen zur Geburt zu befragen. Eine Anästhesis­tin sagte, sie habe gehört, dass die Gebärende „keine Sectio!“gerufen habe, Minnas Mutter sagte das Gegenteil. Im Jänner geht die Verhandlun­g weiter.

Minna wird warten müssen.

Gerichtsgu­tachter Albert Mayer

 ?? ?? Am 17. August 2018 wurde Minna geboren. Bei der Geburt erlitt das Mädchen schwere Hirnschäde­n. Die Eltern haben geklagt.
Am 17. August 2018 wurde Minna geboren. Bei der Geburt erlitt das Mädchen schwere Hirnschäde­n. Die Eltern haben geklagt.

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