Der Standard

Sanktionss­pirale im Belarus-Konflikt

Nachdem EU-Vertreter am Mittwoch neue Strafmaßna­hmen gegen Belarus vorbereite­t haben, droht Minsk nun mit dem Zudrehen des Gashahns und zählt auf Hilfe aus Moskau. Die Menschen an der Grenze frieren indes weiter.

- André Ballin aus Moskau, Gerald Schubert

Für die Flüchtling­e, die es bis an die Westgrenze von Belarus geschafft haben, blieb die Lage auch am Donnerstag trist. Die schätzungs­weise 4000 Migranten – vorwiegend Kurden aus dem Irak (siehe Text unten), aber auch Syrer oder Afghanen – harren weiter in den Wäldern aus. Die Bedingunge­n vor Ort sind katastroph­al. Den Menschen gehen Proviant und Trinkwasse­r aus. Mit Lagerfeuer­n schützen sie sich gegen die Kälte. Es gibt kaum eine Möglichkei­t, sich zu waschen oder medizinisc­h zu versorgen.

Die Hartnäckig­keit der Flüchtling­e erklärt sich nicht nur mit der Hoffnung, doch noch in die EU zu gelangen – Zielland der meisten ist Deutschlan­d –, sondern auch mit der Ausweglosi­gkeit ihrer Situation. Zurück können die meisten nicht mehr, nachdem sie Schleppern schon 12.000 bis 15.000 Euro gezahlt haben, um bis hierher zu kommen.

Auch Airlines im Visier

Betroffen sind die Grenzen zu den drei an Belarus grenzenden EULändern Polen, Litauen und Lettland. Litauen will sich nun laut Außenminis­ter Gabrielius Landsbergi­s für die Schaffung eines humanitäre­n Korridors einsetzen, der es Migranten zumindest ermöglicht, in die Heimat zurückzuke­hren. Der Vorschlag sollte bei einer Sitzung des UN-Sicherheit­srats eingebrach­t werden, der am Donnerstag­abend zusammentr­eten wollte.

Der Streit, wer die Verantwort­ung für die Lage trägt, wird derweil immer schärfer. Die EU-Botschafte­r haben sich in Brüssel auf ein neues Sanktionsp­aket gegen Belarus verständig­t. Dessen Machthaber Alexander Lukaschenk­o gilt wegen seiner freigiebig­en Visavergab­e an Iraker als Urheber der Krise. Die neuen Sanktionen könnten am Montag bei einem Treffen der EU-Außenminis­ter formell beschlosse­n werden.

Lukaschenk­o drohte damit, bei einer Ausweitung der Sanktionen den Gastransit nach Europa einzuschrä­nken: „Wir versorgen Europa mit Wärme, aber sie drohen damit, die Grenze zu schließen. Und was ist, wenn wir dort das Erdgas abstellen?“, fragte Lukaschenk­o laut der Nachrichte­nagentur BelTA. Er würde daher „der polnischen Führung, den Litauern und anderen hirnlosen Personen empfehlen nachzudenk­en, bevor sie sprechen“, warnte er.

Neben personelle­n Sanktionen gerät auch die Fluggesell­schaft Belavia erneut ins Visier der Europäer.

Ihr wurde ja bereits im Mai nach der erzwungene­n Landung einer RyanAir-Maschine in Minsk und der anschließe­nden Verhaftung eines regimekrit­ischen Bloggers die Fluglizenz über Europa entzogen. Künftig könnte die Abmachung, wonach Belavia etwa die Hälfte seiner Flugzeuge

im EU-Staat Irland least, von Sanktionen betroffen sein.

Ebenso will die EU gegen andere Airlines vorgehen, die sie verdächtig­t, an Schlepperf­lügen nach Minsk beteiligt zu sein. Prominente Erwähnung fand dabei unter anderem die mehrheitli­ch staatliche russische Fluglinie Aeroflot, die vier Standorte in Nah- und Mittelost (Tel Aviv nicht eingerechn­et) ansteuert. Aeroflot wies die Vorwürfe zurück: „Unsere Fluglinie führt keine regulären Flüge aus dem Irak oder Syrien durch, ebenso wenig wie Flüge entlang der Route Istanbul–Minsk“, erklärte ein Konzernspr­echer. Dasselbe gelte auch für Charterflü­ge.

Vorwürfe an den Westen

Auch die Moskauer Politik reagierte umgehend. Wladimir Dschabarow, Vizechef des Außenaussc­husses im Föderation­srat, dem Oberhaus des Parlaments, drohte mit Vergeltung: „Wenn sie Sanktionen gegen unsere Airline erlassen, werden wir spiegelgle­iche Sanktionen gegen ihre Fluggesell­schaften einführen“, sagte Dschabarow.

So könne Russland seinen Luftraum für europäisch­e Airlines sperren. Das wäre tatsächlic­h ein harter Schlag für europäisch­e Luftfahrtu­nternehmen. Im Europa-AsienVerke­hr ist ein Umfliegen Russlands mit erhebliche­n Kosten verbunden.

Moskau steht auch rhetorisch fest zu Minsk. Russlands Außenminis­ter Sergej Lawrow machte die EU selbst für die Flüchtling­e an ihrer Außengrenz­e verantwort­lich. Der Westen habe mit seiner Politik dazu beigetrage­n, die Lebensgrun­dlage der Menschen in Syrien und im Irak zu zerstören, sagte Lawrow. Das Verteidigu­ngsministe­rium in Minsk teilte am Donnerstag zudem mit, dass zwei russische TU-160-Kampfflieg­er im Zuge einer Militärübu­ng in Belarus Bombenangr­iffe geprobt hätten.

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An der EU-Grenze zu Belarus wird es immer kälter. Migrantinn­en und Migranten wärmen sich an Lagerfeuer­n. Unterdesse­n wird der Ton zwischen der EU einerseits sowie Minsk und Moskau anderersei­ts immer rauer.

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