Der Standard

Die große Feilschere­i

Bei der Klimakonfe­renz wird noch darum gerungen, mit welchen Regeln Staaten ihre CO₂-Einsparung­en hin und her schieben dürfen. Bisher waren solche Zertifikat­e vor allem Vehikel für Greenwashi­ng. Kann sich das ändern?

- Philip Pramer aus Glasgow KLIMAKONFE­RENZ

Ein Burger für wenige Cent, ein Transatlan­tikflug für drei Euro, ein ganzes Leben für unter 1000 Euro. So viel bezahlt man auf der offizielle­n Seite der UN-Rahmenkonv­ention UNFCCC, wenn man CO₂Emissionen des eigenen Lebensstil­s ausgleiche­n will. Ab 2,50 US-Dollar (2,20 Euro) bezahlt man dort für ein Zertifikat, das die Einsparung einer Tonne des Treibhausg­ases bezeugen und dem Käufer so ein grünes Gewissen bescheren soll.

Wer dort einkauft, zahlt an ein Wasserkraf­twerk in Chile, einen Windpark in Südkorea oder eine Abfallbeha­ndlungsanl­age in Indien. Denn dort wird das CO₂ eingespart – oder besser gesagt: wurde. Denn bei den feilgebote­nen Zertifikat­en handelt es sich um Credits aus dem sogenannte­n Clean Developmen­t Mechanism (CDM) des Kioto-Protokolls, das im Wesentlich­en durch das Pariser Abkommen abgelöst wurde. Wer seinen Flug kompensier­t, gleicht seine heute entstanden­en CO₂-Emissionen also mit solchen aus, die schon vor Jahren eingespart wurden.

Kritik an Kontrolle

Aber wer garantiert, dass ein Zertifikat wirklich haargenau einer Tonne entspricht? Wäre das Kraftwerk vielleicht ohnehin gebaut worden, auch ohne Zertifikat­egeschäft? Und was ist, wenn sich nicht nur der Käufer des Zertifikat­s, sondern auch Chile, Südkorea oder Indien die Einsparung auf die Fahne heften?

Wegen solcher Probleme steht die CO₂-Kompensati­on seit jeher in der Kritik. Hinter der grünen Fassade von Unternehme­n stecken oft nur Tausende dieser Zertifikat­e. Nun sollen nicht nur Firmen und Privatpers­onen, sondern auch Staaten wieder mit CO₂ handeln dürfen, um ihre Klimaziele zu erreichen.

Bei der UN-Klimakonfe­renz in Glasgow, die noch bis heute, Freitag, läuft, sind die sogenannte­n

Marktmecha­nismen eines der heißesten Eisen. In Paris hat man sich auf solche Märkte für Treibhausg­ase geeinigt, ohne näher darauf einzugehen. Seither ringt man aber darum, wie sie aussehen sollen.

Im Wesentlich­en geht es darum, ob ein Staat die versproche­nen Klimaziele nur innerhalb der eigenen Grenzen erreichen muss, oder ob – und wie – die Staaten andere Länder für Klimaschut­zmaßnahmen bezahlen und die Einsparung dafür in ihre eigene Bilanz schreiben dürfen.

Im Grunde klingt es sinnvoll: Warum in Europa aufwendig und teuer umrüsten, wenn im Globalen Süden die Einsparung­en viel günstiger zu haben sind? Dem Klima ist es schließlic­h egal, wo CO₂ in die Luft geblasen wird – und eben auch, wo man es einspart. Das ist auch der Hintergeda­nke des EU-Emissionsh­andels, der allerdings mit einem

Cap-and-Trade-System funktionie­rt. Dabei wird im Vorhinein festgelegt, wie viel in einem Jahr ausgestoße­n werden darf – alles darunter darf gehandelt werden.

Doch auf globaler Ebene gibt es keine verbindlic­he Obergrenze für CO₂. „Das, woran hier gearbeitet wird, ist eigentlich ein riesiges Kompensati­onssystem“, sagt Gilles Dufrasne, Policy Officer bei Carbon Markets Watch. Und das bringe eben die ganzen Probleme mit sich, die auch am freiwillig­en CO₂-Ausgleich kritisiert werden.

Einerseits sei es sehr schwer, nachzuweis­en, dass wirklich eine Tonne CO₂ eingespart wurde. Das hat einerseits technische Gründe, weil etwa nicht überall genau gemessen wird. „Viele Länder drängen aber absichtlic­h auf schlechte Buchführun­g. Sie wollen ihre Einsparung­en für Geld verkaufen, aber diese trotzdem in ihre eigene Treibhausg­asbilanz zählen, um die Klimaziele zu erreichen“, sagt Dufrasne. „Wenn wir das tun, verwaschen wir das Pariser Abkommen.“Denn auch wenn auf dem Papier die Emissionen an mehreren Stellen gesunken sind – letztlich zählt das, was in die Luft gelangt.

Zombie-Credits

Dazu kommt, dass bestimmte Staaten darauf drängen, ihre CO₂Credits aus dem Kioto-Protokoll in das Pariser Abkommen mitnehmen zu dürfen – mit Erfolg, wie es derzeit aussieht. Diese funktionie­ren zwar etwas anders als jene, die es im UN-Shop zu kaufen gibt. Ihnen gemeinsam ist aber: Die Einsparung­en liegen bereits in der Vergangenh­eit und sind oft intranspar­ent. „Zombie-Credits“nennt sie ein Verhandler in Glasgow hinter vorgehalte­ner Hand, „Junk-Credits“ein anderer Teilnehmer. Sollten sie wieder in den Umlauf gelangen, könnten Staaten sich mit diesen näher an ihre Klimaziele herankaufe­n, ohne selbst weniger zu emittieren. Organisati­onen wie Greenpeace fordern deshalb, einen Schlussstr­ich unter das Kioto-System zu setzen und neu zu beginnen.

Wie das aussehen könnte? Einerseits könnten nichtperma­nente Speicher wie Wälder auf dem Papier auch so behandelt werden. Möglich wären etwa zeitlich begrenzte Zertifikat­e, die man in der Bilanz irgendwann ersetzen müsste. Einige Umwelt-NGOs fordern außerdem, dass ein Großteil der Einsparung­en, zu denen sich Länder verpflicht­et haben, im eigenen Land passieren müsse. Für den privaten Sektor könnte sich Dufrasne von Carbon Markets Watch etwa eine Regulierun­g von irreführen­der Werbung vorstellen. Unternehme­n könnten sich mit zugekaufte­n CO₂-Credits dann nicht mehr so schnell als grün darstellen.

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