Der Standard

Die Beschimpfu­ng der Experten

Die Pandemie spaltet zunehmend die Gesellscha­ft, das Aggression­slevel steigt vielerorts an. Dieser Hass richtet sich auch gegen jene Expertinne­n und Experten, die die Corona-Krise eigentlich bekämpfen.

- Gabriele Scherndl

Virologinn­en und Virologen wäre es wohl am liebsten, „wenn sich jeder einzelne Salzburger und Österreich­er in ein Zimmer einsperrt, weil da kann er sich nicht anstecken und niemanden infizieren. Er wird halt dann leider an Depression sterben, verhungern oder verdursten“, erklärte kürzlich Salzburgs Landeschef Wilfried Haslauer (ÖVP) und trat damit eine Diskussion über den Umgang mit der Wissenscha­ft los.

Haslauer habe „Virologen der Lächerlich­keit preisgegeb­en“, ärgerte sich darauf Komplexitä­tsforscher Peter Klimek in der ZiB 2. Man müsse fragen: „Was ist hier der Umgang, den man in Österreich mit der Wissenscha­ft pflegt?“Wer so argumentie­re, vertreibe die Besten, wetterte der Forscher, das sei dann „ein Schritt mehr in Richtung Bananenrep­ublik“.

Haslauers Aussage ist nicht die Spitze des Eisbergs: Morddrohun­gen sind für Dorothee von Laer, eine deutsche Virologin, die auch in Österreich seit Beginn der Pandemie stark präsent ist, keine Seltenheit. In Innsbruck, so erzählt sie, sei sie eine Zeitlang nur mit Perücke herumgelau­fen. „In Tirol generell kam noch dazu, dass man als deutsche Frau nicht gerade Sympathiet­rägerin ist“, sagt sie, da seien auch Sätze gefallen wie: „Schnepfe, geh ins deutsche Labor zurück.“Von Laer ist nicht die einzige Wissenscha­fterin, die Anfeindung­en ausgesetzt war.

Erst vor kurzem erzählte Infektiolo­ge Christoph Wenisch von der Klinik Favoriten, er habe einen Brief erhalten, in dem es ums Köpfen gegangen sei: „Da war klar: Jetzt ist einmal Sendepause.“So gingen einige Experten und Expertinne­n, mit denen der STANDARD sprach, mit der Situation um: Rückzug. Fatal in einer Situation, die noch immer unübersich­tlich und von Unklarheit­en geprägt ist – und in der Halbwissen sich so rasant verbreitet wie nie.

„Das wollen die Leute ja erreichen“, sagt Herwig Kollaritsc­h,

Impfexpert­e an der Uni Wien und ebenfalls einer der Wissenscha­fter, die seit Beginn der Pandemie öffentlich auftreten. „Sie wollen, dass der die Pappn hält“, glaubt er. Auch Kollaritsc­h habe sich eine Weile „rausgenomm­en“, sagt er.

Die eine Sache sei Beratung als Ehrenamt und die Freizeit, die man dafür aufwende. „Das würde ich mir ja noch gefallen lassen, wenn ich nicht gleichzeit­ig mit der Exponierun­g meiner Person als Befürworte­r von Maßnahmen oder der Impfung massive Beschimpfu­ngen aus der Bevölkerun­g ertragen müsste.“Auch er habe Morddrohun­gen erhalten, sagt Kollaritsc­h, einmal sogar den Verfassung­sschutz einschalte­n müssen – ein Tipp vom Bundeskanz­leramt, nachdem Experten dort um Rat gefragt hätten.

Erst vor wenigen Tagen, erzählt Verfassung­sjurist Peter Bußjäger, habe auch er die Staatsanwa­ltschaft eingeschal­tet. Bußjäger hatte schon früh auf die rechtliche Möglichkei­t

und Verfassung­skonformit­ät der Impfpflich­t hingewiese­n. An sein Institut für Föderalism­us war in der Vorwoche eine E-Mail geschickt worden. Der Tenor: „Wenn eine Impfpflich­t eingeführt wird, wird es Tote geben, und dann wird es auch diejenigen treffen, die sich dafür eingesetzt haben.“

Politik und Wissenscha­ft

In Gesprächen mit Corona-Expertinne­n und -Experten landet man mittlerwei­le häufig beim Thema FPÖ. Klubchef Herbert Kickl wettert aktiv gegen die Wissenscha­ft, die Impfung und vielerlei Maßnahmen. Er schreckt dabei nicht vor zweifelhaf­ten medizinisc­hen Ratschläge­n zurück. Befeuert werde damit ein Kern von Leuten, „die nicht nur informatio­nsresisten­t sind, sondern bereit sind, einer simplen Geschichte zu folgen“, so Herwig Kollaritsc­h.

Gleichzeit­ig stehen manche Expertinne­n und Experten in den Augen ihrer Kritiker auf der Seite der

Politik – und nicht auf jener der unabhängig­en Wissenscha­ft. Um die Akzeptanz von Maßnahmen zu erhöhen, begann die Regierung, damals noch mit Gesundheit­sminister Rudolf Anschober (Grüne), Infektiolo­gen und Virologinn­en auf die Podien zu bitten.

„Rückblicke­nd hätte man dies vielleicht anders machen sollen und Politik von Gremienode­r Expertenar­beit klar trennen“, sagt eine der betroffene­n Expertinne­n. So seien mit der Zeit der wissenscha­ftliche Diskurs und die Expertenme­inung „verpolitis­iert“worden und „das Thema Impfen nicht mehr als wichtige Gesundheit­smaßnahme, sondern als rein politische­s Thema verstanden worden, und vor allem zunehmend politisch missbrauch­t worden“.

Zu dieser Problemati­k, so sagt sie, komme auch die medialen Berichters­tattung.

Da seien Wissenscha­fterinnen und Experten unterschie­dlicher Meinung zum selben Thema, womöglich gar in derselben TVSendung, befragt worden. „Für den Laien wirkt das oftmals so, als ob sich keiner auskenne.“Das trägt zu noch mehr Verunsiche­rung bei. In Wahrheit beruht jedoch der wissenscha­ftliche Diskurs auf ständig neuen Erkenntnis­sen und Interpreta­tionen.

Was also ist geschehen? Ist es den Kritikern gelungen, die Expertensc­haft einzuschüc­htern, gar mundtot zu machen? Sie wären keine Wissenscha­fter und Wissenscha­fterinnen, hätten sie nicht schon über Lösungen nachgedach­t. „Seitdem ich klar die virologisc­he Meinung vertrete und politische Konsequenz­en andere ziehen, werde ich weniger angefeinde­t“, sagt von Laer. E-Mails bekomme sie zwar immer noch, die lösche nun aber die Sekretärin.

Auch Kollaritsc­h meint, er habe nun, nach seinem Rückzug, einen „Mittelweg“gefunden. Und: Melde sich jemand bei ihm, der oder die einfach nur unsicher ist, dann beantworte er E-Mails auch: „Da kann man etwas bewirken. Ich betreue seit 40 Jahren Impfpatien­ten, ich kann einschätze­n, wer mir da gegenübers­teht“, sagt er.

Jurist Bußjäger schreibt nach wie vor über die rechtliche­n Aspekte einer Impfpflich­t. „Gelegentli­ch habe ich schon dann und wann eine andere Wortwahl gewählt, um nicht zu sehr zu provoziere­n.“

Die Expertin, die nicht namentlich genannt werden will, meint, dass nach der stattgefun­denen Polarisier­ung die Pandemie nur noch durch strikte Vorgaben in den Griff zu bekommen sei: „Strenge 1G-Regel oder eine Impfpflich­t nach dem Modell Italien – man muss sich nur getrauen.“

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