Die Beschimpfung der Experten
Die Pandemie spaltet zunehmend die Gesellschaft, das Aggressionslevel steigt vielerorts an. Dieser Hass richtet sich auch gegen jene Expertinnen und Experten, die die Corona-Krise eigentlich bekämpfen.
Virologinnen und Virologen wäre es wohl am liebsten, „wenn sich jeder einzelne Salzburger und Österreicher in ein Zimmer einsperrt, weil da kann er sich nicht anstecken und niemanden infizieren. Er wird halt dann leider an Depression sterben, verhungern oder verdursten“, erklärte kürzlich Salzburgs Landeschef Wilfried Haslauer (ÖVP) und trat damit eine Diskussion über den Umgang mit der Wissenschaft los.
Haslauer habe „Virologen der Lächerlichkeit preisgegeben“, ärgerte sich darauf Komplexitätsforscher Peter Klimek in der ZiB 2. Man müsse fragen: „Was ist hier der Umgang, den man in Österreich mit der Wissenschaft pflegt?“Wer so argumentiere, vertreibe die Besten, wetterte der Forscher, das sei dann „ein Schritt mehr in Richtung Bananenrepublik“.
Haslauers Aussage ist nicht die Spitze des Eisbergs: Morddrohungen sind für Dorothee von Laer, eine deutsche Virologin, die auch in Österreich seit Beginn der Pandemie stark präsent ist, keine Seltenheit. In Innsbruck, so erzählt sie, sei sie eine Zeitlang nur mit Perücke herumgelaufen. „In Tirol generell kam noch dazu, dass man als deutsche Frau nicht gerade Sympathieträgerin ist“, sagt sie, da seien auch Sätze gefallen wie: „Schnepfe, geh ins deutsche Labor zurück.“Von Laer ist nicht die einzige Wissenschafterin, die Anfeindungen ausgesetzt war.
Erst vor kurzem erzählte Infektiologe Christoph Wenisch von der Klinik Favoriten, er habe einen Brief erhalten, in dem es ums Köpfen gegangen sei: „Da war klar: Jetzt ist einmal Sendepause.“So gingen einige Experten und Expertinnen, mit denen der STANDARD sprach, mit der Situation um: Rückzug. Fatal in einer Situation, die noch immer unübersichtlich und von Unklarheiten geprägt ist – und in der Halbwissen sich so rasant verbreitet wie nie.
„Das wollen die Leute ja erreichen“, sagt Herwig Kollaritsch,
Impfexperte an der Uni Wien und ebenfalls einer der Wissenschafter, die seit Beginn der Pandemie öffentlich auftreten. „Sie wollen, dass der die Pappn hält“, glaubt er. Auch Kollaritsch habe sich eine Weile „rausgenommen“, sagt er.
Die eine Sache sei Beratung als Ehrenamt und die Freizeit, die man dafür aufwende. „Das würde ich mir ja noch gefallen lassen, wenn ich nicht gleichzeitig mit der Exponierung meiner Person als Befürworter von Maßnahmen oder der Impfung massive Beschimpfungen aus der Bevölkerung ertragen müsste.“Auch er habe Morddrohungen erhalten, sagt Kollaritsch, einmal sogar den Verfassungsschutz einschalten müssen – ein Tipp vom Bundeskanzleramt, nachdem Experten dort um Rat gefragt hätten.
Erst vor wenigen Tagen, erzählt Verfassungsjurist Peter Bußjäger, habe auch er die Staatsanwaltschaft eingeschaltet. Bußjäger hatte schon früh auf die rechtliche Möglichkeit
und Verfassungskonformität der Impfpflicht hingewiesen. An sein Institut für Föderalismus war in der Vorwoche eine E-Mail geschickt worden. Der Tenor: „Wenn eine Impfpflicht eingeführt wird, wird es Tote geben, und dann wird es auch diejenigen treffen, die sich dafür eingesetzt haben.“
Politik und Wissenschaft
In Gesprächen mit Corona-Expertinnen und -Experten landet man mittlerweile häufig beim Thema FPÖ. Klubchef Herbert Kickl wettert aktiv gegen die Wissenschaft, die Impfung und vielerlei Maßnahmen. Er schreckt dabei nicht vor zweifelhaften medizinischen Ratschlägen zurück. Befeuert werde damit ein Kern von Leuten, „die nicht nur informationsresistent sind, sondern bereit sind, einer simplen Geschichte zu folgen“, so Herwig Kollaritsch.
Gleichzeitig stehen manche Expertinnen und Experten in den Augen ihrer Kritiker auf der Seite der
Politik – und nicht auf jener der unabhängigen Wissenschaft. Um die Akzeptanz von Maßnahmen zu erhöhen, begann die Regierung, damals noch mit Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne), Infektiologen und Virologinnen auf die Podien zu bitten.
„Rückblickend hätte man dies vielleicht anders machen sollen und Politik von Gremienoder Expertenarbeit klar trennen“, sagt eine der betroffenen Expertinnen. So seien mit der Zeit der wissenschaftliche Diskurs und die Expertenmeinung „verpolitisiert“worden und „das Thema Impfen nicht mehr als wichtige Gesundheitsmaßnahme, sondern als rein politisches Thema verstanden worden, und vor allem zunehmend politisch missbraucht worden“.
Zu dieser Problematik, so sagt sie, komme auch die medialen Berichterstattung.
Da seien Wissenschafterinnen und Experten unterschiedlicher Meinung zum selben Thema, womöglich gar in derselben TVSendung, befragt worden. „Für den Laien wirkt das oftmals so, als ob sich keiner auskenne.“Das trägt zu noch mehr Verunsicherung bei. In Wahrheit beruht jedoch der wissenschaftliche Diskurs auf ständig neuen Erkenntnissen und Interpretationen.
Was also ist geschehen? Ist es den Kritikern gelungen, die Expertenschaft einzuschüchtern, gar mundtot zu machen? Sie wären keine Wissenschafter und Wissenschafterinnen, hätten sie nicht schon über Lösungen nachgedacht. „Seitdem ich klar die virologische Meinung vertrete und politische Konsequenzen andere ziehen, werde ich weniger angefeindet“, sagt von Laer. E-Mails bekomme sie zwar immer noch, die lösche nun aber die Sekretärin.
Auch Kollaritsch meint, er habe nun, nach seinem Rückzug, einen „Mittelweg“gefunden. Und: Melde sich jemand bei ihm, der oder die einfach nur unsicher ist, dann beantworte er E-Mails auch: „Da kann man etwas bewirken. Ich betreue seit 40 Jahren Impfpatienten, ich kann einschätzen, wer mir da gegenübersteht“, sagt er.
Jurist Bußjäger schreibt nach wie vor über die rechtlichen Aspekte einer Impfpflicht. „Gelegentlich habe ich schon dann und wann eine andere Wortwahl gewählt, um nicht zu sehr zu provozieren.“
Die Expertin, die nicht namentlich genannt werden will, meint, dass nach der stattgefundenen Polarisierung die Pandemie nur noch durch strikte Vorgaben in den Griff zu bekommen sei: „Strenge 1G-Regel oder eine Impfpflicht nach dem Modell Italien – man muss sich nur getrauen.“