Der Standard

Warum mich Ungeimpfte wütend machen

Sollen wir Nachsicht mit jenen haben, die durch ihr Verhalten anderen schaden? Nein. Es gibt keine guten Gründe, sich nicht impfen zu lassen, und die Konsequenz­en für die Gesellscha­ft sind katastroph­al.

- Eric Frey

Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen hat in seiner Ansprache zum Nationalfe­iertag das Land aufgeforde­rt, der Spaltung in Geimpfte und Ungeimpfte entgegenzu­wirken und „doch das Gute im jeweils anderen“zu sehen.

Das klingt vernünftig, und ich weiß, ich sollte dem folgen. Es gibt unter den Millionen Impfverwei­gerern viele anständige und liebenswer­te Menschen. Aber ich kann derzeit nicht das Gute in ihnen sehen. Verblendet durch irrational­e Ängste, ein irregeleit­etes Verständni­s von Freiheit und bewusste Falschinfo­rmationen schaden sie nicht nur sich selbst, sondern auch jenen 5,4 Millionen Menschen in Österreich, die dem Rat der seriösen Fachleute gefolgt sind und sich gegen Covid-19 immunisier­t haben. Die anderen machen mich wütend. Ich bin damit nicht allein. Diese Wut ist weitverbre­itet, sie ist vielleicht nicht konstrukti­v, aber gut nachvollzi­ehbar.

Das sind Fakten

Es gibt keine stichhalti­gen Argumente gegen die Corona-Impfung. Die Technologi­e wurde bereits milliarden­fach erprobt, die Nebenwirku­ngen sind meist gering und temporär, das Risiko einer schweren Erkrankung viel niedriger als bei einer Covid-Infektion. Vakzine mit einem Totimpfsto­ff, auf den viele warten, bieten keinerlei Vorteile gegenüber den bereits zugelassen­en Vakzinen. Das sind keine wissenscha­ftlichen Hypothesen, die hinterfrag­t werden können. Das sind Fakten, unterstütz­t von einem breiten Konsens in der Fachwelt. Mediziner, die dies anzweifeln, handeln ebenso unverantwo­rtlich und verlogen wie jene Wissenscha­fter, die den Klimawande­l leugnen.

Nun hat jeder Mensch das Recht, Unsinn zu glauben, aber nicht zum Schaden der Gesellscha­ft. Anders als Impfgegner so gerne behaupten, ist die Impffrage keine private Entscheidu­ng. Wenn sich ein Drittel der Bevölkerun­g

gegen jede Vernunft nicht impfen lässt, leiden die anderen zwei Drittel massiv. In der Ökonomie nennt man dieses Phänomen Externalit­ät – individuel­les Verhalten, dessen Kosten auf andere abgewälzt wird. Das gilt für Umweltvers­chmutzer und Autoraser genauso wie für Impfgegner.

Das liegt einmal an der tatsächlic­hen Wirksamkei­t der Impfstoffe. Diese bieten sehr viel Schutz, aber keinen absoluten. Das tut keine Impfung. Bei diesen neuen Wirkstoffe­n kommen auch noch Unsicherhe­iten dazu, die erst nach und nach schlagend werden. So wirken die Vakzine etwas weniger gut gegen die Delta-Variante, so weiß man erst seit kurzem, dass die Zahl der Antikörper nach dem zweiten Stich rascher sinkt als gedacht. Deshalb landen auch immer mehr Geimpfte im Krankenhau­s und auf Intensivst­ationen. Aber auch dafür ist vor allem die niedrige Durchimpfu­ngsrate verantwort­lich. Je weniger Menschen insgesamt geimpft sind, desto höher die Gefahr, dass Geimpfte sich anstecken, erkranken und in manchen Fällen sogar sterben.

Verschoben­e Operatione­n

Noch schlimmer sind die Folgen der Impfskepsi­s für das Gesundheit­ssystem. Die mit Covid-Kranken überfüllte­n Intensivst­ationen belasten das Personal und verschlech­tern die Versorgung anderer Patienten. Es ist ein Skandal, dass tausende wichtige Operatione­n wieder verschoben werden müssen, weil Impfgegner auf ihre Freiheit beharren. Und wenn das System kollabiert, dann werden manche Menschen sterben, die sonst gerettet hätten werden können.

Die Antwort darauf kann nicht der Ausbau von Intensivbe­tten sein, den einige Impfgegner nun fordern. Ja, der Staat sorgt auch für jene, die rauchen, fettleibig sind oder ihre Gesundheit in der Freizeit gefährden. Aber das sind entweder schleichen­de Risikofakt­oren oder Einzelfäll­e, und auf beides kann sich das Gesundheit­ssystem ohne hohe Zusatzkost­en einstellen.

Bei der Corona-Pandemie ist das anders, die Spitzen einer Welle sind zu hoch. Selbst wenn der Staat Milliarden in neue Intensivbe­tten stecken wollte, wäre das nötige Personal gar nicht verfügbar. Die Ungeimpfte­n bilden ein Massenphän­omen, das die Gesellscha­ft überforder­t. Und welches Recht haben diese Unsolidari­schen, von den anderen Solidaritä­t einzuforde­rn?

Angst und Isolation

Und sollte es tatsächlic­h zu einem Lockdown für alle kommen, weil die Spitäler ansonsten kollabiere­n, würden auch alle Nichterkra­nkten leiden. Die psychologi­schen Schäden durch den erzwungene­n Verzicht auf Kultur, Unterhaltu­ng und Geselligke­it, durch Ängste und Isolation sind enorm, vor allem für junge Menschen. Die Kosten für die Wirtschaft wären mehr als nur ein paar Milliarden im Budget. Betriebe würden wieder zugrunde gehen, Menschen ihre Arbeit verlieren. Und die Staatshilf­en, die dann wieder fließen müssen, würden die Wirtschaft auf Jahre hinaus belasten.

All das ist die Folge eines Verhaltens, das dem Einzelnen nichts bringt. „So viel Dummheit gehört verboten“, hätte man früher gesagt. Allerdings ist eine allgemeine Impfpflich­t zwar rechtlich, aber offenbar politisch nicht umsetzbar. Der Vorschlag des Chirurgen und Bioethiker­s Peter Moeschl in der Wiener Zeitung, von Impfgegner­n eine Patientenv­erfügung zu verlangen, mit der sie im Falle einer Covid-Erkrankung auf eine intensivme­dizinische Behandlung verzichten, ist zwar inhaltlich überzeugen­d, aber in der Praxis noch weniger realistisc­h.

Ob Lockdowns nur für Ungeimpfte kontrollie­rt werden können, ist offen; ob sich die Betroffene­n dadurch umstimmen lassen, ebenso. Aber das Argument, man dürfe niemanden diskrimini­eren und sollte die Gesellscha­ft nicht spalten, gilt nicht. All jene, die sich nicht haben impfen lassen, sind schuld an dieser vierten Welle. Sie verdienen keine Nachsicht, sondern Wut.

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