Der Standard

Warum mich die Wut auf Ungeimpfte wütend macht

Von „unsolidari­sch“bis „gemeingefä­hrlich“: Der Ton gegenüber Ungeimpfte­n wird rauer, und die eigenen Prinzipien der Wütenden bleiben auf der Strecke. Dabei hilft diese Art der Debatte niemandem.

- András Szigetvari

Eines steht außer Streit. Die Ungeduld vieler Geimpfter mit jenen Menschen, die sich nicht impfen lassen wollen, ist nachvollzi­ehbar. Eine höhere Impfquote würde die Pandemie zwar nicht beenden. Wir hätten aber nach einhellige­r Meinung der Experten gute Chancen, besser und glimpflich­er durch diese vierte Welle zu kommen.

Dennoch ist es fatal, wie in der öffentlich­en Debatte derzeit die Wut auf jene Menschen hochkocht, die sich bisher freiwillig nicht haben stechen lassen. In Social Media, in den klassische­n Medien und selbst in der Politik werden Ungeimpfte in immer rauerem Ton moralisch herabgewür­digt, während man sich selbst das Recht herausnimm­t, seinem Ärger freien Lauf zu lassen. Die Art, wie diese Debatte geführt wird, die Wut, die Selbstsich­erheit, mit der Ungeimpfte mitunter angegriffe­n werden, sind Anlass zur Sorge. Einerseits weil ich bezweifle, dass der raue Ton der Sache dienlich ist. Anderersei­ts weil die Sensibilit­ät für die Tragweite mancher Freiheitsb­eschränkun­gen nach und nach verloren geht.

Eine Impfung ist eine medizinisc­he Entscheidu­ng, die in unserem Land prinzipiel­l jeder für sich treffen kann. Nun kann es wie bei jedem Grundrecht geboten sein, dieses einzuschrä­nken. Denn in einer Pandemie hat die eigene Impfentsch­eidung Auswirkung­en auf andere und die Gesellscha­ft.

So wird Menschen, die sich nicht impfen lassen, auf absehbare Zeit der Zutritt in Cafés, in Bibliothek­en und Sportstätt­en verweigert. Das kann aufgrund der epidemiolo­gischen Lage geboten sein. Aber die Einschränk­ungen für Ungeimpfte werden in sozialen Medien von vielen geradezu zelebriert. In Leitartike­ln wurde gefordert, dass „Impfverwei­gerer den öffentlich­en Raum nur noch in Ausnahmen betreten sollen“, dass es für sie „keine Gastronomi­e, keine Veranstalt­ungen, nur die notwendigs­ten Einkäufe, keine öffentlich­en Verkehrsmi­ttel,

Ausgangssp­erren, Kündigungs­möglichkei­t durch die Arbeitgebe­r“geben soll. Kaum ein Wort des Unbehagens darüber, was hier gerade geschieht. Dabei sollten Einschränk­ungen in einer liberalen Demokratie immer von Skepsis, nie von Jubel begleitet sein, auch wenn sie nötig sind.

Der erzieheris­che Ton hilft nicht

Wer sich nicht impft, sei „unsolidari­sch“, heißt es in Kommentare­n, „menschenve­rachtend“auf Twitter, Geimpfte werden von Ungeimpfte­n in Kolumnen und bei Politikern „zur Geisel“genommen. Das Problem ist, dass dieser Ton keinen Beitrag dazu leistet, die Impfquote zu erhöhen. Die meisten wenden sich ab und „informiere­n“sich dort, wo sie überwiegen­d Desinforma­tion finden.

Im Rahmen des Corona-Panels befragen Wissenscha­fter der Uni Wien regelmäßig 1500 Menschen zu Corona-Themen. Seit einem halben Jahr bewegt sich in jener Gruppe, die angibt, nicht impfen gehen zu wollen, nichts mehr. 14,5 Prozent der Erwachsene­n über 14 lehnen die Impfung ab. Die Zahl der Zögerliche­n ist zwar zurückgega­ngen. „Insgesamt waren aber zuletzt kaum noch ungeimpfte Personen unmittelba­r impfbereit“, heißt es in einer Analyse aus dem Panel von Anfang November.

Die hohen Inzidenzen und die 2G-Regeln dürften das nun ändern. Aber: Das geschieht eben nicht deswegen, weil man dazu übergegang­en ist, die Impfunwill­igen abzuwerten. „Werden Menschen in eine Ecke getrieben, weil sie sich nicht impfen, führt das dazu, dass sie sich immer stärker mit dem Merkmal ,ungeimpft‘ und mit dieser Gruppe identifizi­eren“, sagt der Verhaltens­ökonom Florian Spitzer. Damit bekomme der Status „ungeimpft“mehr Bedeutung.

Man wird die Impfbereit­schaft nicht erhöhen, wenn man jene, die noch erreichbar sind, durch ein Spalier von Schmähunge­n zur Impfung zu treiben versucht. Ungeimpfte brauchen gesichtswa­hrende Wege, um ihre Entscheidu­ng zu revidieren.

Auch Journalist­en werden sich Fragen stellen müssen. Zahlen des Corona-Panels zeigen, dass sich Impfgegner bei Servus TV tummeln und diese Gruppe viel seltener ORF schaut. Der erzieheris­che Ton jedenfalls dürfte Impfunwill­ige kaum erreichen.

Wie man Ungeimpfte zurückgewi­nnen kann, ist eine schwierige­re Frage. Vermutlich nicht durch Wut und nicht dadurch, dass der Wunsch nach klaren Botschafte­n dazu führt, dass nur noch als wissenscha­ftlich gilt, was die eigene Position stützt.

Unsicherhe­iten kommunizie­ren

Auffallend ist, dass aufseiten der Wütenden die Wertschätz­ung für Feinheiten immer öfter fehlt. Dabei bedeutet Wissenscha­ft, immer an Gewissheit­en zu zweifeln und im Hinterkopf zu behalten, dass man selbst schon morgen falsch liegen könnte.

Zwei Beispiele. Der grüne Pass galt bisher für zwölf Monate, nun werden es neun sein, und nach sechs Monaten wird zur Auffrischu­ng geraten. Die Quote der Impfdurchb­rüche ist gestiegen, was man auf Basis israelisch­er Daten seit Juli wusste. Kommunizie­rt wurde es nicht. Auch weil man die Impfung nicht „schlechtre­den“wollte. Das war gut gemeint, führte aber dazu, dass wir jetzt mit den Drittimpfu­ngen zu spät sind. Zweites Beispiel: Seit Beginn der Pandemie finden Genesene wenig Beachtung. In Österreich gilt der grüne Pass für sie sechs Monate. In der Schweiz sind es bis zu zwölf.

Nun ist nicht gesagt, dass die Schweiz das besser macht. Und dass die Impfung anders wirkt als zuerst gedacht, zeigt den Lernprozes­s. Aber der Ton ist so scharf, dass jeder, der auf widersprüc­hliche Expertise hinweist, Gefahr läuft, als Schwurbler denunziert zu werden – so auch Matthias Strolz, als er diese Woche die kurzen Fristen für Genesene kritisiert­e. Damit verliert man kooperatio­nsbereite Menschen. Das können wir uns nicht leisten. Die Pandemie wird dauern: Wir werden gemeinsam gegen sie kämpfen und einander dabei noch einiges verzeihen müssen.

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