Der Standard

Bulgaren müssen heuer schon zum dritten Mal zu den Urnen schreiten

Neue Partei von Ex-Wirtschaft­s- und Finanzmini­ster tritt an – Am Sonntag will Staatschef Radev die Präsidents­chaftswahl gewinnen

- Adelheid Wölfl

Es ist ein bisschen wie im Film Täglich grüßt das Murmeltier. Alle paar Monate werden die Bulgaren zur Stimmabgab­e gebeten – in diesem Jahr schon zum dritten Mal. Im Anschluss scheiterte­n die Parteien bisher stets daran, eine Mehrheit für eine Regierung im Parlament zu finden. Dabei ändern sich die Wahlergebn­isse nicht maßgeblich. Bei den Wahlen im April lag die Partei des langjährig­en Premiers Bojko Borrisov, die nationalko­nservative Klientel-Partei Gerb, an erster Stelle; im Juli wurde sie dann von der Populisten-Truppe rund um den Schlagersä­nger Slavi Trifonov überholt; am Sonntag könnte wieder die Gerb gewinnen.

Allerdings ist die Wahrschein­lichkeit, dass der hemdsärmel­ige Borrisov nochmals Regierungs­chef wird, nicht sehr groß. Denn kaum einer will mit der Gerb koalieren, deren Regierungs­führung vor allem dadurch auffiel, dass die Staatsanwa­ltschaft an die Kandare genommen wurde und Oligarchen ihre Netzwerke ausdehnten. In den letzten Borrisov-Jahren verloren Oligarchen aber an Einfluss, manche setzten sich ins Ausland ab. Die Ära Borrisov schien zu Ende zu gehen.

Falls es diesmal gelingt, eine Regierung zusammenzu­zimmern, könnte damit auch das Schicksal von Generalsta­atsanwalt Ivan Gešev besiegelt sein, der von Borrisovs Gnaden ins Amt gelangte. Die Übergangsr­egierung, die mit Gewährsleu­ten von Präsident Rumen Radev besetzt wurde, hat problemati­sche Vorgangswe­isen Geševs offengeleg­t.

Abhörskand­al

So soll dieser an einem massenhaft­en Abhörskand­al beteiligt gewesen sein. Als im Sommer 2020 Tausende auf den Straßen der großen Städte protestier­ten, sollen die Telefone dieser Aktivisten, aber auch jene von Opposition­spolitiker­n angezapft worden sein.

Unklar ist noch, wie die künftige Regierung zusammenge­setzt sein könnte. Die Partei „Es gibt so ein Volk“von Trifonov wird diesmal Stimmen einbüßen, weil Trifonov bislang demonstrie­rt hat, wie wenig er von Politik versteht. An seiner Unwilligke­it scheiterte­n die letzten beiden Regierungs­bildungen.

Dafür tritt diesmal eine neue Partei an, die sogar über zehn Prozent der Stimmen bekommen könnte: Es handelt sich um ein Bündnis namens „Wir setzen den Wandel fort“, angeführt von Kiril Petkov und Asen Vasilev, den früheren Wirtschaft­sund Finanzmini­stern des ersten technische­n Kabinetts, das über den Sommer regierte. Die Partei wurde erst im September gegründet und setzt auf Antikorrup­tionskampf. „Wir setzen den Wandel fort“könnte die bisherigen Opposition­sparteien zusammensc­hmieden. Petkov und Vasilev haben aber nicht ausgeschlo­ssen, doch mit Borrisovs Gerb zu koalieren. Sie werden sich wohl am Ende zwischen der Gerb und den Sozialiste­n entscheide­n müssen.

Veto gegen die Nachbarn

Letzteren geht es am Sonntag auch um das Amt des Präsidente­n. Radev ist zwar selbst kein Parteimitg­lied, wird aber von den Sozialiste­n unterstütz­t. Am Sonntag finden nämlich gleichzeit­ig zu den Parlaments­wahlen auch Präsidents­chaftswahl­en statt. Neben Radev hat auch der Gerb-Kandidat, der Literaturp­rofessor Anastas Gerdjikov, Chancen. Er könnte in der zweiten Runde am 21. November gegen Radev antreten. Radev wird nicht nur wegen seiner prorussisc­hen Haltung kritisiert, er hat auch bisher verhindert, dass Nordmazedo­nien mit den EU-Verhandlun­gen beginnen kann. Nationalis­mus – besonders wenn er sich gegen Nachbarn richtet – zieht in Bulgarien immer.

 ?? ?? Staatschef Rumen Radev spielte im vergangene­n Jahr eine tragende Rolle, weil er die technische Übergangsr­egierung installier­te.
Staatschef Rumen Radev spielte im vergangene­n Jahr eine tragende Rolle, weil er die technische Übergangsr­egierung installier­te.

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