Der Standard

Wer fürchtet die Lohn-Preis-Spirale?

Die hohe Teuerung lässt die Warnungen vor einer LohnPreis-Spirale lauter werden, bei der Inflation sich selbst immer weiter anfacht. Aber sind die Ängste berechtigt? In Europa besteht (noch) Grund für Gelassenhe­it.

- András Szigetvari

Für jene Experten, die schon davon überzeugt waren, dass die gegenwärti­g hohen Inflations­raten kein vorübergeh­endes Phänomen sind, brachte die vergangene Woche neue Argumentat­ionshilfe. Die Inflation in den Vereinigte­n Staaten hat im Oktober 6,2 Prozent erreicht. Das ist die höchste Teuerung seit dem Jahr 1990. In der Eurozone ist die Entwicklun­g zwar weniger dynamisch, aber mit knapp über vier Prozent ist die Inflation auch hier in den vergangene­n Monaten stark gestiegen.

Angesichts dieser Entwicklun­g werden die Warnungen vor möglichen Verwerfung­en deren Folge lauter. Der ehemalige Chefökonom des Internatio­nalen Währungsfo­nds, Olivier Blanchard, schreibt in einem Blogeintra­g, dass sich Ökonomen in den USA umgehend damit beschäftig­en müssten, was geschehe, falls die Inflations­rate dauerhaft hoch bleibe und die Notenbank drastisch eingreifen müsse. Was meint Blanchard? Sollte die US-Notenbank Fed gezwungen sein, die Zinsen anzuheben, hätte das Auswirkung­en auf die US-Wirtschaft­sleistung, auf den Arbeitsmar­kt und auf die Finanzmärk­te. Die Zinsen müssten so stark steigen, dass die Kreditverg­abe zurückging­e und die wirtschaft­liche Entwicklun­g gebremst würde. Das könnte die Teuerung zwar abschwäche­n, hätte aber hohe Kosten für die Gesellscha­ft.

Interessan­t ist, warum Blanchard diese Warnung ausspricht. Die Teuerung in den USA wird durch ähnliche Faktoren beeinfluss­t wie in Europa: Neben Energiepre­isen sorgen vor allem pandemiebe­dingte Verwerfung­en für Anstiege. Etwa am Automobilm­arkt, wo Ersatzteil­e fehlen. Das sind vorübergeh­ende Einflüsse. Aber für Blanchard ist es nicht ausgeschlo­ssen, dass die aktuelle Inflation eine „Lohn-Preis-Spirale“in Gang setzt. Steigende Preise führen dabei zu höheren Lohnabschl­üssen, weshalb die Inflations­erwartunge­n steigen. Das lässt Preise und dann wieder die Löhne weiter steigen. Kommt eine Spirale in Gang, lässt sie sich schwer stoppen.

Nicht nur in den USA machen sich Ökonomen Gedanken über das Phänomen. In Österreich sah der Chef des Wirtschaft­sforschung­sinstituts Wifo, Gabriel Felbermayr, den Lohnabschl­uss der Metaller über der Inflations­rate der vergangene­n zwölf Monate kritisch. Der Abschluss habe unter anderem auf die prognostiz­ierte Inflation abgestellt. Damit könnten sich „temporäre Inflations­spitzen verfestige­n und Inflations­erwartunge­n selbsterfü­llend werden, weil sie durch höhere Löhne zu höheren Kosten und in der Folge zu höheren Preisen führen“, so Felbermayr.

Aber gibt es Anzeichen für eine solche Spirale? Das zu sagen ist noch zu früh, analysiere­n lassen sich aktuell nur Dynamiken der Lohnentwic­klung. In den USA sind die Löhne kräftig gestiegen. Vor allem Bezieher kleiner Einkommen verdienen mehr. Laut Daten der Federal Reserve in Atlanta, eines Ablegers der USNotenban­k, waren ihre Einkommen im September 2021 um 4,9 Prozent höher als vor einem Jahr. Das ist der stärkste Anstieg seit gut 20 Jahren.

Besonders in Gastronomi­e und Hotellerie müssen Unternehme­n ihren Angestellt­en mehr zahlen. Aber auch Unternehme­n wie Amazon haben Gehälter erhöht. Die Anstiege bei Besserverd­ienern waren viel moderater. Und: Ob die Unternehme­n die hohen Preise eins zu eins an Kunden weitergebe­n oder niedrigere Profite akzeptiere­n, steht noch nicht fest. Für ein Urteil darüber, welche Effekte die Entwicklun­g hat, ist es also noch zu früh.

In Europa ist die Situation noch eine andere: Die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) analysiert­e vor wenigen Wochen, dass die Lohnanstie­ge nirgends einen Hinweis auf eine Lohn-Preis-Spirale geben. Der Economist kommt in einer aktuellen Analyse zu dem Ergebnis, dass es eine Kluft gibt: Die Löhne würden in allen angelsächs­ischen Ländern stärker als vor der Pandemie steigen, während sich in Kontinenta­leuropa weniger Bewegung zeige.

Eine Erklärung: In den USA, Kanada, Großbritan­nien, Australien und Neuseeland wirke sich aus, dass billige Arbeitsmig­ranten als Folge der Pandemie fehlten. Das treibe die Preise nach oben.

Was lässt sich für Österreich sagen? Hier beobachtet die Oesterreic­hische Nationalba­nk die Lohnabschl­üsse. Derzeit sieht man keinen Grund für Alarm, wie Gerhard Fenz, stellvertr­etender Leiter der Abteilung für volkswirts­chaftliche Analysen, sagt. Er argumentie­rt so: Solange die

Lohnabschl­üsse die Summe aus Inflation und Produktivi­tätszuwach­s nicht übersteige­n, gibt es für Unternehme­n keinen Druck, die gestiegene­n Löhne in Form höherer Preise an Konsumente­n weiterzuge­ben. Dann bleibe nämlich der Anteil der Unternehme­n an der Wertschöpf­ung konstant. Bei den Metallern werden Ist-Löhne um 3,55 Prozent steigen. Der Abschluss der Metaller sei „im Rahmen“, so Fenz, wenn man Inflation und Produktivi­tät berücksich­tige.

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Foto: Getty Vor dieser Spirale hat niemand Angst. Allerdings: In Europa warnen derzeit auch Nudelherst­eller vor steigenden Preisen.

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