Konstruktive Fantasien
Von der Schönheit der Studie, heute (VI): der tiefe Witz des Wladimir Korolkow.
Man hat ihn mit Michail Tal verglichen. Was Tal in der Partie oft aufs Brett zu zaubern vermochte, konnte der „Zauberer“Wladimir Alexandrowitsch Korolkow in der Welt der Schachstudie verwirklichen. Geboren wurde der Sohn eines Eisenbahners im Jahr 1907 noch in der ausklingenden Zarenzeit. Später übersiedelte er nach Leningrad, wo er für mehr als ein halbes Jahrhundert als Elektroingenieur in einem Konstruktionsbüro arbeitete. Seine meisterhaft konstruierten Werke (mehr als 400 Studien) weisen eine geradezu unglaubliche Tiefe und Ästhetik auf, in der auch der Witz nicht zu kurz kommt. Korolkows Studien sind mitunter witzig, das heißt, sie sind voller Esprit und haben überraschende Pointen, aber sie sind nicht harmlos, sondern (wie die wirklich guten Witze) von raubtierhafter Schönheit.
Der Rätselcharakter der Studie, die Idee, rückt bei ihm in den Vordergrund, dazu virtuose Technik. Die Kompositionen bestehen aus mehreren thematischen Schwerpunkten, das Finden des Lösungsweges benötigt viel Zeit und Konzentration. Es lohnt sich.
Weiß zieht und gewinnt. Der Einleitungszug ist klar, denn der schwarze h-Bauer muss am Einzug gehindert werden. 1.Db7 e4! Notwendig, um die e-Linie zu öffnen; keine Chance hätte 1… Td8 mit der
Mattdrohung 2… Lb2 wegen 2.Ld3. 2.Dxe4 Te8! Nimmt Weiß den Turm, holt sich Schwarz die Dame, außerdem droht Te1 matt, sollte die Dame die e-Linie verlassen. 3.a7!! Auch Weiß hat eine Mattdrohung auf a8. Plötzlich wird es verwirrend kompliziert, alles strebt nach Umwandlung. 3… h1D! 4.a8D+! Dieser Dame ist nur ein kurzes Leben beschert, doch 4.Dxh1? scheitert wieder an 4… Te1 matt. 4… Txa8 5.Dxh1 Te8 Wieder droht das Matt auf e1. 6.Le2 Td8 Droht 7… Lb2 matt. Auf 6… Txe2? folgt 7.Da8 matt. 7.Ld3 Te8 8.Le4! Das Hauptthema, die Läuferleiter: Der Läufer nähert sich im Zickzackkurs dem Turm. 8… Td8 9.Ld5 Te8 10.Le6! Td8 11.Ld7! Damit ist die völlige Kontrolle über den Turm erreicht – das Feld e8 geht verloren, und Weiß wird schlussendlich gewinnen, z.B.: 11… Tf8 12.hxg6 Tb8 13.Dd5 usw.
Weiß zieht und gewinnt. Die schwarzen Bauern drohen in Kürze einzuziehen. Weiß muss alle Register ziehen, um sie im Zaum zu halten. Der erste Zug ist ziemlich offensichtlich, doch was dann? 1.d7 Ke7 2.Tb8! Mit der Idee 2… f1D 3.d8D+ Kxd8 4.La6+ Kc7 5.Lxf1 Kxb8 6.gxh4! und Weiß gewinnt. Daher 2… Lxg3! 3.Ta8! Widersteht der Verlockung: Nach 3.Kxg3? f1D 4.d8D+ Kxd8 5.La6+ Kc7 kann Weiß nicht gleichzeitig die Dame schlagen und seinen Turm retten. 3… f1D 4.d8D+ Kxd8 5.La6+ Lb8!! Eine fantastische Ressource! Falls jetzt 6.Txb8+?, so 6… Kc7 und die Partie ist remis. Doch Weiß hat noch ein Opfer in petto: 6.Lxf1!! Lässt sich den Turm einsperren. 6… Kc7 7.La6 e2 Erzwungen, denn auf 7… c5 folgt 8.Kf3. 8.Lxe2 Kb7 Nun wird der Turm fallen, doch: 9.Lf3! Kxa8 10.Lxc6 matt. Grandios in der Konzeption!
Weiß zieht und gewinnt. Weiß hat eine ganze Menge Material mehr, doch Schwarz steht auf Patt. Einzig der KamikadzeTurm lauert in der Mitte. Wie kann Weiß das Patt abwehren? Denn Schwarz droht, den Turm auf e8 zu opfern und damit das Patt zu erzwingen. 1.Sd5! Damit ist das Patt vorerst verhindert. 1… Txd5 2.Se3 Te5 3.Sd5! Und das Ganze noch einmal! 3… Txd5 4.Tcd1 Te5 Falls 4… Txd1, so 5.Ke7! 5.Td5! Diesmal opfert sich der Turm auf dem ominösen Feld. 5… Txd5 6.Lc1 Dieses Tempo braucht der Läufer – um sich zu opfern. 6… Te5 7.Lg5!! Txg5 Nimmt der Bauer, ist das Patt sofort aufgehoben. 8.Tg1! Tg2! Nicht 8… Txg1 9.Ke7. 9.h4! Zugzwang. 9… Tg3 10.Tg2 Tg4 Eine witzige Verfolgung. 11.Tg3 Txg3
Weiter zurück geht es beim besten Willen nicht. 12.Ke7
Erst jetzt kann sich der König aus dem Versteck hervorwagen und wird sofort unter Beschuss genommen. 12… Te3+ 13.Kd7 Td3+ 14.Kxc6 Td6+ 15.Kb5 Tb6+ 16.Kc4 Jetzt ist es vorbei mit der Königsjagd. 16… Txf6 17.Kb5 Der Rest ist eine einfache Angelegenheit für Weiß. Eine beeindruckende Opferorgie!
Weiß zieht und gewinnt. Zunächst muss der Bauer vorgehen, doch was dann? 1.f7 Ta6+! Fatal wäre 1… Tf6? 2.Lb2 und Weiß gewinnt. 2.La3!!
Nicht jedoch 2.Kb2?, da nun 2… Tf6 möglich würde, weil der König die Läuferdiagonale verstellt. 2… Txa3+ 3.Kb2 Ta2+ Nach 3…Tb3+? schlägt der König wegen des drohenden Läuferschachs auf e6 den Turm nicht, sondern zieht einfach 4.Ka2 und der Bauer kann nicht mehr gestoppt werden. 4.Kc1!! Ein grandioser Sidestep, wie gleich klar wird. Auf 4.Kc3? folgt 4… Tc2+ 5.Kb4 Tb2+ 6.Kc5 Tc2+ 7.Kb6 Tb2+ 8.Kc7 Tb7+ und der fBauer fällt. 4… Ta1+ 5.Kd2!
Der König sucht sich einen Unterschlupf. 5… Ta2+ 6.Ke3 Ta3+ 7.Kf4 Ta4+ 8.Kg5 Tg4+!
Spekuliert auf 9.Kf6? Tg8! oder 9.Kxg4? Lxf5+ 10.Kxf5 Kg7 mit remis. 9.Kh6! Jetzt bleibt Schwarz nur noch ein Zug. 9… Tg8 10.Se7 Le6! Oder 10… Tf8 11.Sg6 matt. 11.fxg8D+! Lxg8 12.Sg6 matt. Ein Mattbild für die Ewigkeit.