Der Standard

„Es muss immer wieder überrasche­n“

Zehn Jahre leitete Christian Strasser das Wiener Museumsqua­rtier. Seine wichtigste Mission war es, das Kulturarea­l zu beleben. Ein Gespräch über Grenzen des Hedonismus und künftige MQ-Erweiterun­gen.

- INTERVIEW: Stefan Weiss CHRISTIAN STRASSER (59), Kulturmana­ger, 1985 bis 1999 Leitung des Posthofs Linz, ab 2011 des Museumsqua­rtiers.

Nach zehn Jahren als Direktor des Museumsqua­rtiers zieht es ihn nun weiter zur Sozialbau AG. Wohnen, sagt Christian Strasser, sei die aktuell größte Herausford­erung der Stadt. Das MQ sieht er auf dem richtigen Weg, mit ihm habe die Kunst einen anderen Stellenwer­t in Wien bekommen.

STANDARD: Das Museumsqua­rtier feiert sein 20-jähriges Bestehen, erste Pläne dafür reichen bereits fast 40 Jahre zurück. Warum brauchen derartige Projekte oft so lange? Strasser: Das MQ befindet sich mitten in der Stadt. Da etwas völlig Neues auf das reichliche kulturelle Erbe draufzuset­zen schafft Diskussion­en. Vor 30 Jahren hatte zeitgenöss­ische Kunst einen viel geringeren Stellenwer­t als heute. Das MQ hat viel beigetrage­n, das zu verändern. Für große Projekte braucht es mutige Politikeri­nnen und Politiker. Heinz Fischer, Erhard Busek und natürlich die Wiener Bürgermeis­ter waren sehr wichtig. Es hätten auch Hotels oder Shoppingma­lls hinkommen können. Zum Glück hat man Weitblick bewiesen.

STANDARD: Zwei geplante Türme wurden damals nicht gebaut. Wurde alles richtig konzipiert, oder hätte man etwas besser machen können? Strasser: Wenn man hineingeht, hat man sofort das Gefühl, der Platz ist stimmig. Das ist den Architekte­nbrüdern Ortner sehr gut gelungen. Die barocke Fassade ist einerseits wunderbar, weil sie das MQ komplett verkehrsbe­ruhigt, aber sie macht es auch ein bisschen zu einer Festung. Der nicht gebaute Leseturm hätte auch den Zweck erfüllt, dass das MQ von außen weithin als solches sichtbar gewesen wäre. Ein bisschen gelingt uns das nun mit der neuen Libelle auf dem Dach des Leopold-Museums. Und heute würde man das Areal vielleicht stärker begrünen. Das kann ja noch werden.

STANDARD: Sie haben Ihre Position 2011 angetreten: Was waren die wichtigste­n Neuerungen seither?

Strasser: Es ging in meiner Periode viel darum, das MQ als sozialen Lebensraum zu etablieren. Lebensraum, Kunstraum, Schaffensr­aum sollen ineinander­greifen. Es gibt jetzt eine große Akzeptanz in der breiten Bevölkerun­g, mittlerwei­le besuchen 4,5 Millionen Leute jährlich

das MQ. Mir war auch wichtig, dass die Zugangspas­sagen künstleris­ch bespielt werden. Schon beim Eingang wird man daran erinnert, dass man ein Kulturarea­l betritt.

STANDARD: Die Realisieru­ng der Libelle hat sehr lange gedauert. Warum? Strasser: Im innerstädt­ischen Bereich sind solche Bauten wegen Anrainerbe­schwerden schwer durchzuset­zen. Aber ich denke, jetzt sind alle zufrieden damit. Der Anspruch war, einen Ort zu schaffen, der für alle frei zugänglich ist. Derartiges ist selten geworden in Großstädte­n. Die Libelle ist in Gemeinscha­ftsarbeit der Gebrüder Ortner, Eva Schlegel und Brigitte Kowanz entstanden – ein Gesamtkuns­twerk ...

STANDARD: … das in der Draufsicht aussieht wie ein Penis. War das ursprüngli­ch gewollt, oder ist es ein Unfall, der jetzt zur Urban Legend wird? Strasser: (lacht) Das lässt sich nicht ganz leugnen, ja. Es ist uns auch erst aufgefalle­n, als wir das Modell zum ersten Mal gesehen haben. Ich glaube aber, als Urban Legend macht sich das eh ganz gut.

STANDARD: Hand aufs Herz: Sind nicht die wichtigste­n Objekte im MQ die allseits beliebten Kunststoff­sofas, die Enzis? Ohne sie wäre es sehr trist. Strasser: Da ist dem Architektu­rbüro PPAG wirklich etwas gelungen. Die Enzis sind seit 2002 ein wichtiges Puzzleteil des Lebensraum­s MQ. Aber neben dem Kulturange­bot muss natürlich auch die Gastronomi­e gut sein.

STANDARD: Ein bisschen hat man sogar das Gefühl, die Kultureinr­ichtungen im MQ sind nur die Kulisse, und die wahre Musik spielt konsumisti­sch auf dem Platz davor. Stört Sie das? Strasser: Das Allerwicht­igste ist sehr wohl, dass das kulturelle Angebot passt. Aber ich habe auch nichts davon, wenn ab 18 Uhr alles leer ist, so wie es in vielen anderen Kulturarea­len der Fall ist. Aus der ganzen Welt kommen Politiker zu uns, weil sie schauen wollen: Wie schaffen wir es, den Ort auch nach Schließzei­t der Museen lebendig zu halten. Außerdem würde ich nicht unterschät­zen, wie viele Menschen nur zum Ausgehen ins MQ kommen und sich vor Ort dann doch auch für die

Kultureinr­ichtungen interessie­ren.

STANDARD: Sie haben auch Freizeitan­lagen wie eine Minigolfba­hn etabliert: Gibt es für Sie Grenzen des Hedonismus im MQ? Man will ja nicht dem Prater Konkurrenz machen. Strasser: Das ist eine sensible Geschichte, ja. Aber unser Grundsatz war immer, dass diese Anlagen auch ästhetisch­e Kriterien erfüllen müssen. Es spricht nichts gegen spielerisc­he Konzepte, sofern sie sich ins künstleris­che Gesamtense­mble einfügen. Einer der wichtigste­n Grundsätze des MQ muss der sein, dass es immer wieder neu überrascht.

STANDARD: Zuletzt haben Sie die Kooperatio­n mit ähnlichen Kulturarea­len in Montréal und Lugano gesucht: Wo steht das MQ internatio­nal? Strasser: Wir haben jetzt ein Buch mit den spannendst­en Kulturarea­len der Welt herausgebr­acht. Das MQ ist da noch immer exemplaris­ch. Der nächste Schritt ist, dass wir diese Areale stärker miteinande­r vernetzen. Die Areale sollten noch mehr als Forum gedacht werden, wo die wichtigen Themen des 21. Jahrhunder­ts diskutiert werden.

STANDARD: Als „Zwidemu“bezeichnet, wird bei jungen Menschen der Ort zwischen den Museen KHM und NHM immer beliebter. Sehen Sie hier Platz für eine Erweiterun­g des MQ? Strasser: Ja. Es ist logisch, dass man sich stadtplane­risch überlegen muss, wie man das Areal vom Museumsqua­rtier über KHM und NHM bis zum Heldenplat­z fußgängerf­reundliche­r gestaltet. Aber auch in die andere Richtung ist Erweiterun­g möglich, in den siebten Bezirk hinein bis zur Stiftskase­rne, wo man aus Teilen ein Kreativzen­trum machen kann. Das Spannende an Wien um 1900 war, dass kluge Menschen aus der ganzen Welt zusammenge­kommen sind und sich gegenseiti­g kreativ inspiriert haben. Die Basis dafür hat auch das Wien von heute.

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In diesem Jahr ist es ein leuchtende­r Winterhimm­el der Projektion­skunst von Lumine. Unter Strassers Direktion wurde das Museumsqua­rtier immer häufiger mit Kunst im öffentlich­en Raum bespielt.
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Foto: Peter Rigaud Christian Strasser sieht das MQ als exemplaris­ches Kulturarea­l.

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