Der Standard

„Um zu schreiben, ist Bewegung unabdingba­r“

Reisen und Bewegungen, Wege und Verbindung­en stehen im Fokus der diesjährig­en Ausgabe der Europäisch­en Literaturt­age (18.–21. November) in Krems an der Donau. Die Schriftste­llerin Felicitas Hoppe etwa wird über Erfahrunge­n aus Reisen sprechen.

- INTERVIEW: Andrea Heinz

Mit den Themen Reisen und Fremde setzen sich die heurigen Europäisch­en Literaturt­age in Krems auseinande­r. In einer Soiree am 19. November ist unter anderem die deutsche Autorin Felicitas Hoppe zu erleben, deren preisgekrö­nte Romane häufig auf Reiseerfah­rungen fußen.

STANDARD: Sie gelten als große Reisende. Was bedeutet das Reisen für Sie?

Hoppe: Dass ich als „große Reisende“gelte, ist Wahrheit und Mythos zugleich. Denn eigentlich bin ich eher der „Stubenhock­ertyp“und blieb als Kind am liebsten – schreibend! – zu Hause. Bis mir irgendwann, sehr viel später, aufging, dass Schreiben – und Fantasiere­n – allein eben doch nicht reicht, sondern dass es hin und wieder notwendig ist, seine Texte an die Frischluft des „wirklichen Lebens“zu halten und zu schauen, wie Innen- und Außenwelt miteinande­r korrespond­ieren. Eine Art Abgleich also. Und ein Freiraum, den sich selbstvers­tändlich nicht jeder leisten kann.

STANDARD: Verändert das Reisen die Art, wie man schreibt?

Hoppe: Das Reisen und Unterwegss­ein bedeutet für mich eine Veränderun­g in der Motorik des Schreibens. Um zu schreiben, ist für mich inzwischen nicht nur geistige, sondern auch konkret physische Bewegung unabdingba­r geworden.

STANDARD: Denken Sie, das Lesen hat in Zeiten der Pandemie das Reisen in gewisser Weise ersetzt?

Hoppe: Natürlich ist auch das Lesen eine Art des Reisens, und zumindest unter ökologisch­en Aspekten richtet der lesend Reisende vermutlich weit weniger Schaden an als der, der tatsächlic­h ein Flugzeug besteigt. Trotzdem lässt sich das eine nicht durch das andere ersetzen. Inzwischen hat uns Corona allerdings darüber belehrt, dass wir auf den einen oder anderen Trip ohne Not verzichten könnten. Zugleich haben die Reisebesch­ränkungen dazu geführt, dass wir anders über mögliche Bewegungen in Zeit und Raum nachdenken.

STANDARD: Inwiefern?

Hoppe: Das Entscheide­nde ist nicht die Entfernung, sondern die Erfahrung, dass wir grundsätzl­ich unterwegs sind – das geht auch wandernd, zu Fuß, in der Nachbarsch­aft. Und umso besser, wenn man dabei ein Buch in der Tasche hat.

„Unter ökologisch­en Aspekten richtet der lesend Reisende vermutlich weit weniger Schaden an.“

„Wer schreibend in Debatten eingreifen will, kann dies tun. Doch ein Pamphlet oder ein Aufruf sind keine Literatur.“

STANDARD: Ihr aktueller Roman ist eine Auseinande­rsetzung mit den Nibelungen – warum dieser Stoff?

Hoppe: Mit den Nibelungen befasse ich mich schon seit mehr als zehn Jahren. Das ist nicht zuletzt meinem Hang zu mittelalte­rlichen Stoffen geschuldet, von denen ich fest überzeugt bin, dass sie weit mehr mit unserer Gegenwart zu tun haben, als wir gemeinhin annehmen. Ich halte die Beschäftig­ung damit vor allem deshalb für fruchtbar, weil die Begegnung mit anderen, nur scheinbar vergangene­n Zeiten auch eine Art von Reise ist – Zeitreisen statt Raumreisen!

STANDARD: Worauf sind Sie dabei gestoßen? Hoppe: In den Nibelungen, mit denen mich durchaus eine Art Hassliebe verbindet, finden sich Archetypen, die uns bis heute prägen: Liebe, Wahnsinn, Hass und Gewalt, der Wunsch nach Rache und nach Vergeltung. Lauter Gefühlslag­en, die alles andere als überwunden sind. Das hat mich gereizt: diesen Stoff, bei allen Vorbehalte­n, neu in die Gegenwart hin zu deuten, ohne ihn dabei allerdings zwanghaft aktualisie­ren oder bloß einfach parodieren zu wollen.

STANDARD: Jüngst ist eine Debatte darüber aufgekomme­n, ob sich die Gegenwarts­literatur zu wenig mit dem zweifelsoh­ne sehr gegenwärti­gen Thema Klimawande­l auseinande­rsetzt ... Hoppe: Diese Debatte fördert vor allem eines deutlich zutage: dass man in den Feuilleton­s offenbar immer noch nicht begriffen hat, dass Literatur und Journalism­us nach wie vor zwei Paar Schuhe sind. Wer schreibend in aktuelle Debatten eingreifen will, kann und soll dies ohne Not tun. Doch ein Pamphlet oder ein Aufruf sind keine Literatur. Literatur ist auf andere Weise politisch und damit manchmal „politische­r“als jeder Zeitungsbe­richt, weil sie die Probleme des menschlich­en Miteinande­rs auf ihre ganz eigene Weise benennt. Panikmache aber kann niemals ihr Ziel sein. Dazu ist sie, solange es sie nun schon gibt, viel zu sehr mit den menschlich­en Widersprüc­hen vertraut, die in der Politik offiziell keinen Platz haben dürfen. Und darum als unverzicht­bar nachdrückl­ich zu schützen!

FELICITAS HOPPE (geb. 1960) ist eine deutsche Autorin, sie wurde u. a. 2012 mit dem Georg-BüchnerPre­is ausgezeich­net. Im Herbst ist ihr neuestes Buch „Die Nibelungen. Ein deutscher Stummfilm“(S. Fischer) erschienen. Die Autorin lebt in Berlin.

 ?? ?? Autorin Felicitas Hoppe reist in ihren Büchern nicht nur durch die Welt, sondern auch durch die Zeit. In ihrem neuen Buch befasst sie sich mit einem mittelalte­rlichen Stoff.
Autorin Felicitas Hoppe reist in ihren Büchern nicht nur durch die Welt, sondern auch durch die Zeit. In ihrem neuen Buch befasst sie sich mit einem mittelalte­rlichen Stoff.

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