Der Standard

Gefangen in der Warteschle­ife. Was Tonbandsti­mmen und Politikerd­iskurse verbindet

- Die Krisenkolu­mne von Christoph Winder

Eine bedauernsw­erte Bekannte hatte kürzlich nacheinand­er telefonisc­h mit zwei Unternehme­n zu tun: einer der größten Versicheru­ngen des Landes und einer ebenso großen Bank. Die „Gespräche“fanden an einem helllichte­n Freitag bzw. Samstag statt, hernach war die Lady aber fix und fertig, denn der Verlauf beider Telefonate erwies sich, wie erwartet, als ein und dieselbe Tortur.

Erst vier Takte schleimig-sanfte Hintergrun­dmusik, dann die Stimme, entweder mit anlassigem Unterton oder einer ausgeprägt pompösen Note, so als rezitiere ihr Besitzer im Hauptberuf Hölderlin und Rilke und sei nur aus Versehen hierherger­aten.

Die Stimme sagt, wie sehr sie sich über den Anruf freue, und schickt den Anrufer durch einen mehrstufig­en Hindernisp­arcours: Wenn Sie dies wollen, drücken Sie die Eins, wenn Sie jenes wollen, drücken Sie die Vier. Sodann bittet sie „um einen Augenblick Geduld“, man werde „so bald wie möglich“weiterverb­unden.

Von nun an ist klar, was einem blüht. Binnen fünf Minuten wird man ungeduldig sein, nach zehn nervös, nach fünfzehn sehr nervös, nach zwanzig verzweifel­t, nach dreißig wirft man wutentbran­nt das Handy ins Korn.

Das also ist der Fortschrit­t. Wäre ja noch schöner, wenn Großuntern­ehmen ihre Telefonzen­tralen ausreichen­d bestückten! Das könnte ja die Dividende schmälern! Die Zeiterspar­nis durch technologi­sche Errungensc­haften muss der Gegenwarts­mensch sohin darauf verwenden, sich musikalisc­hen Schleim auf die Ohrmuschel schmieren und sich von Tonbandsch­leifen nasführen zu lassen. Und beides nicht zu knapp. Es wäre besser, wenn einem das Tonband ehrlich beschiede, man solle doch seine große Notdurft verrichten gehen. Oder wenn sich gar niemand meldete. Wie bei der MA 35. Dann käme man sich wenigstens nicht veräppelt vor.

Müßig zu erwähnen, dass es ein intimes phänomenol­ogisches Naheverhäl­tnis von Tonbandsti­mmen und Politikerd­iskursen gibt, bei welch Letzteren das Publikum – Beispiele: Corona, Erderwärmu­ng, Verhüttelu­ng, Versiegelu­ng etc. etc. – seit Jahren in der Warteschle­ife hängt. Für Politiker ist das identische Jobprofil – folgenlose­s freches Schwätzen – natürlich ein Vorteil. Wenn’s im Parlament oder im Kanzleramt nicht klappt, könnte man ja immer noch ins Callcenter gehen.

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