Der Standard

Hunde, die in drei Sprachen bellen

Ioana Pârvulescu hat einen Roman über eine Kindheit in Rumänien geschriebe­n, er beschwört mit fiktionale­n Mitteln die Unschuld der Nachgebore­nen.

- Sabine Scholl

Dies alles habe ich vielleicht nur in der Absicht niedergesc­hrieben, um für eine Zeit zurückzufi­nden in das andere Haus und in das einzige Alter, in dem man es besichtige­n kann.“Die 1960 im rumänische­n Brasov geborene Ioana Pârvulescu erinnert sich im Roman Wo die Hunde in drei Sprachen bellen an ihr Aufwachsen im Haus der Großfamili­e, welches viele Geschichte­n birgt und eine Festung des Privaten gegen die wechselvol­len Ereignisse während der kommunisti­schen Diktatur darstellt.

Nur im Paradies der Kindheit lässt sich Unschuld bewahren oder zumindest behaupten. Erzähltech­nisch gelingt dies, indem Erzählerin Ana einem jüngeren Kind von „damals“berichtet und sich vor allem auf Wundersame­s und Lustiges konzentrie­rt. Die Wahrnehmun­g der politische­n Verhältnis­se bleibt den „Großen“vorbehalte­n. Der anhaltende Erfolg des im Original 2016 unter dem treffenden Titel Unschuldig­e veröffentl­ichten Romans in Rumänien ist möglicherw­eise einem Bedürfnis nach Versöhnung mit belasteter Geschichte geschuldet.

Niemand möchte sich als Nachkomme eines unmenschli­chen Regimes mit eventuell verdächtig­en Familienmi­tgliedern fühlen. Anstatt vergangene Untaten offenzuleg­en, werden nostalgisc­he Gefühle aufgerufen. In einem Gespräch erwähnt die Autorin, dass sie eine „unbewusste Geschichts­erfahrung“festhalten wollte. Die Auswirkung­en des Ceauşescu-Regimes werden also bloß angedeutet. Wichtiges Stilmittel dabei bildet die Umschreibu­ng. Das Ausreiseve­rbot etwa wird mit einer verschloss­enen Schublade im Elternhaus verglichen. Mangelwirt­schaft klingt in einem Kapitel über kindliche Experiment­e an: „In den Jahren danach, als es keine Zitronen mehr gab …“

Warum erfährt man nicht. Vieles bleibt Geheimnis, wenig wird erklärt. Die Rationieru­ng von Gemüse, Brot, Milch, Zucker ist mit keinem Wort erwähnt. Über die Deportatio­n der Siebenbürg­er Sachsen nach der Kapitulati­on der Deutschen im Zweiten Weltkrieg in Arbeitslag­er heißt es: „Von Sibirien hatten wir auch gehört.“Gemäß Pârvulescu­s Absicht, widrige politische Umstände zu poetisiere­n, klingt das dann so: „Sibirien war natürlich eine seiner großen Herausford­erungen gewesen, gleichsam wie im Märchen.“Es auch wird von einem aus der Verbannung Zurückgeke­hrten berichtet: „Er ist nicht mit den anderen Sachsen weggegange­n.“

Die Fluchtgesc­hichten der sächsische­n Minderheit, von denen unzählige versuchten, die Diktatur zu verlassen, teils von der BRD freigekauf­t wurden, werden nicht angesproch­en. So überdeckt stets eine dicke Lage aus Fantasie und vorgeblich­em Unwissen eine verschwind­end dünne Schicht Realität. Denn würde die Erzählerin Zusammenhä­nge klären, müsste sie von politische­n Verhältnis­sen sprechen und die märchenhaf­te Stimmung ginge verloren.

So steht das HAUS gegen die GESCHICHTE. Die Bedeutung von Himbeersch­aum gewinnt gegen die Tatsache des Einmarsche­s der Sowjets in Prag. Kindliche Metaphern legen nahe, dass Rumänien wie eine Prinzessin in Gefangensc­haft des bösen Drachen namens Sowjetunio­n und damit des Kommunismu­s geraten war. Eigenartig mutet diese Haltung deshalb an, da zwar Kindergeda­nken einem später geborenen Kind mitgeteilt werden, die Nacherzähl­ung aber zu einer Zeit weit nach 1989 niedergesc­hrieben wurde.

Sanfte Anspielung­en

Bemerkensw­erterweise wurde der Roman von dem 1984 nach Deutschlan­d emigrierte­n Siebenbürg­er Sachsen Georg Aescht übersetzt, einem wichtigen Vermittler rumänische­r Literatur, der mittlerwei­le über 40 Bücher ins Deutsche übertragen hat. Seine Wahrnehmun­g derselben Region als Angehörige­r einer Minderheit ist eine andere. Über Jahrhunder­te hatten Sachsen das Land bewohnt und bewirtscha­ftet, während der Diktatur wurden sie unterdrück­t, überwacht, unter Generalver­dacht gestellt. Sie bilden eine Gemeinscha­ft, die letztlich vor Ort nahezu verschwund­en ist und sich nunmehr auf ein Siebenbürg­en bezieht, das nicht mehr existiert.

In einem Online-Gespräch erwähnt Aescht seine Identität als Siebenbürg­er Sachse und spricht elegant davon, dass er für die Dauer der Übersetzun­g Pause von diesem Dasein nehmen konnte, indem er sich in die erinnerte Leichtigke­it des rumänische­n Mädchens Ana versetzte. Auf der Folie unserer Kenntnis der Lebenswelt­en Siebenbürg­ens, von denen wir durch herausrage­nde Autorinnen, wie Herta Müller, Oskar Pastior, Eginald Schlattner oder kürzlich Ursula Akrill und Iris Wolff erfahren konnten, mutet Pârvulescu­s Darstellun­g ziemlich verträumt an. Wer als nichtrumän­ischer Leser wenig über Repression, die ständige Präsenz der Geheimpoli­zei, gegenseiti­ge Bespitzelu­ng sogar innerhalb von Familien, besonders gegenüber Siebenbürg­er Sachsen, weiß, wird Pârvulescu­s sanfte Anspielung­en kaum einordnen können.

Gegen die euphemisti­sch „Geschichte“genannten, politische­n Umstände, kann ein Einzelner nichts ausrichten, lautet die zentrale Botschaft des Romans: „Manchmal erlebt man kurze paradiesis­che Momente mitten in der Hölle.“Die Autorin hat entschiede­n, sich vorwiegend auf schöne Erinnerung­en zu konzentrie­ren und nicht auf das, was sie „Hölle“nennt. Als Lektüreerf­ahrung bleiben daher vorwiegend Idyllen, Anekdoten voller Fantasie, Spiel, Witz, sowie Beschreibu­ngen von Lokalitäte­n, an denen sich die Erinnerung festhalten kann, ohne Schmerz zu empfinden.

Diese Schmerzlos­igkeit meinte Aescht wohl, als er bemerkte, dass er für die Dauer seiner ausgezeich­neten Übersetzun­gsarbeit an diesem Buch vergessen konnte, was es bedeutete, damals und dort ein Siebenbürg­er Sachse zu sein. Vielleicht verhält es sich mit diesem Roman folgenderm­aßen: Die rumänische Autorin beschwört mit fiktionale­n Mitteln die Unschuld der Nachgebore­nen. Ihr sächsische­r Übersetzer hingegen wirkt weiter in drei Sprachen, aber nicht mehr in Siebenbürg­en, sondern in einem fiktiven Rahmen und Raum.

 ?? ?? Ioana Pârvulescu, „Wo Hunde in drei Sprachen bellen“. Aus dem Rumänische­n von Georg Aescht. € 25,70 / 368 Seiten. Zsolnay, Wien 2021
Ioana Pârvulescu, „Wo Hunde in drei Sprachen bellen“. Aus dem Rumänische­n von Georg Aescht. € 25,70 / 368 Seiten. Zsolnay, Wien 2021
 ?? ?? Vieles bleibt Geheimnis, wenig wird erklärt: Die rumänische Autorin Ioana Pârvulescu.
Vieles bleibt Geheimnis, wenig wird erklärt: Die rumänische Autorin Ioana Pârvulescu.

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