Der Himmel über Wien
Man könnte sie getrost als Reinkarnation antiker Götterboten apostrophieren, als personifizierte Himmelsstürmerin, als Prophetin und Seherin (wortwörtlich), die, Ikarus gleich, es sich zur Aufgabe gemacht hat, der Menschheit ihren ganz persönlichen Olymp – oder zumindest ihre subjektive Perspektive desselben – über den Dächern der Großstadt zu zeigen. Das Firmament, nicht mehr und nicht weniger, mit seinen sagenhaften Bewohnern, seinen Gottheiten, seinen gefallenen Engeln, seinen Elfen, Faunen, Satyrn, Minotauren und Hippocampen, Legionen von Tritonen und Najaden präsentiert uns, nein, legt uns Christine de Grancy vor Augen. Unser Alltag ist von Rachegelüsten, Neid, Hass, Bosheiten und Unzulänglichkeiten erfüllt. Diese Lächerlichkeit unseres Daseins hält uns die 1942 in Brünn geborene Künstlerin angesichts der liebevoll porträtierten Götterlieblinge, der stummen, steinernen Zeugen wie einen Vexierspiegel entgegen. Mit der Leichtigkeit eines Flaneurs seziert de Grancy den Himmel über Wien, ihre Zeitreise ist belebt vom wunderbar aus der Zeit gefallenen Charme des Analogen. Im Sinne zu bewahrender Kreativität begleiten Texte konspirativer Geister, unter ihnen Achim Benning, Maja Haderlap, Cornelia Travnicek, Pavel Kohout und Weggefährte André Heller, ihre archaischen Schwarz-Weiß-Szenarien. Die Symbolik fliehender Schatten, selbstloser Atlanten, liebender Karyatiden und in Regenlacken sich spiegelnder Wolkenmeere lässt einen vergessen, was die folkloristische Niedertracht von Vergangenheit und Gegenwart zwischen Heldenplatz und Zentralfriedhof ausmacht. „Die Götterlieblinge sind verwöhnt ...“
Christine de Grancy, „Über der Welt und den Zeiten“. Hg. v. Mercedes Echerer. € 45,– / 224 S. Verlag Die2, Wien 2021