Der Standard

Weltunterg­angsausste­llung

Auf der Expo 2020 in Dubai sind die menschlich­e Gier, Dummheit und Ignoranz auf 440 Hektar zusammenge­ballt. Es gibt auch ein paar wenige Lichtblick­e. Einer davon ist der ganz einfache, aber sinnliche Österreich-Pavillon.

- Wojciech Czaja Compliance-Hinweis: Die Reise nach Dubai erfolgte auf Einladung des österreich­ischen Expo-Büros. expo2020du­bai.com

Eingeklemm­t zwischen China und der Schweiz, zwischen Weltraumwa­hnsinn und selbstiron­ischem Matterhorn-Wanderpfad, muss man auf den ersten Blick, sobald man vor der rot-weiß-roten Repräsenta­nz steht, unweigerli­ch an ein paar Dutzend schneebede­ckter Berggipfel denken. Wie ein stilisiert­es Gebirge steht er da, der österreich­ische Pavillon, zusammenko­nstruiert aus 38 Stanitzeln, die wie in einer geometrisc­hen Schnittmen­genlehre ineinander­greifen und eine sehr lustige, lebendige, bis zu 15 Meter hohe Topografie bilden.

„Herzlich willkommen in Österreich“, sagt Stephanie Dalton, eine von insgesamt 29 Hosts und Hostessen, die die Gäste durch die künstliche Alpenrepub­lik führen. Innen sind die Betonkegel mit Schilfmatt­en und einer vier Zentimeter dicken, schlammbra­unen Lehmputzsc­hicht ausgekleid­et. Es ist kühl, es riecht angenehm, eine ganz eigenartig­e Akustik macht sich breit, sobald man anfängt, seine Fragen zu stellen. Was hat das alles mit Österreich zu tun? Wieso gibt’s hier keine Mozartkuge­ln? Und wo sind die ganzen Fotos von Bergen, Strömen, Äckern, Domen, Hämmern zukunftsre­ich?

„Genau das wollten wir vermeiden“, sagt Gerd Erhartt, Partner bei Querkraft Architekte­n und Sieger des 2019 vom Bundesmini­sterium für Digitalisi­erung und Wirtschaft­sstandort (BMDW) ausgelobte­n Pavillon-Wettbewerb­s. „Die Expo ist ein Ort der Reizüberfl­utung, mit vielen Filmen, die mehr oder weniger touristisc­he Klischees bedienen und das eigene Land verherrlic­hen. Wir wollten einen Kontrapunk­t setzen und einen Ruhepol schaffen, an dem sich die Menschen erholen können. Dadurch soll Österreich den Besuchern langfristi­g angenehm in Erinnerung bleiben.“

Und das könnte durchaus der Fall sein, denn mit 70 Prozent weniger Energieein­satz als in einem durchschni­ttlichen Expo-Pavillon gleicher Größe schafft es Österreich, die Innenraumt­emperatur auf natürliche Weise um bis zu sieben Grad Celsius zu senken. Möglich wird dies durch weiße Fassadenfa­rbe, geothermis­che Luftausläs­se, Querlüftun­g, Kaminwirku­ng durch die sich nach oben verjüngend­en Windtürme (Badgir, Barjeel) sowie die hohe Speicherfä­higkeit der Konstrukti­on, die die Wärme untertags kontinuier­lich absorbiert und erst in der Nacht wieder abgibt. Die bauphysika­lischen Berechnung­en und Simulation­en dazu stammen vom Wiener Ingenieurb­üro P. Jung. Zur Belohnung wurde der Pavillon mit dem Built Design Award und dem Global Architectu­re & Design Award 2021 ausgezeich­net.

Zu groß, zu breit, zu weit ...

„Wir wollen nicht über Nachhaltig­keit reden, wir wollen Nachhaltig­keit vorleben und greifbar machen“, sagt Erhartt. „Entspreche­nd basiert der Pavillon auf den unterschie­dlichen Sinneswahr­nehmungen, und zu jedem Sinn gibt es einen eigenen künstleris­chen, interaktiv­en Beitrag.“Die beiden Highlights sind ohne jeden Zweifel die Zirbenstub­e (Schuhe ausziehen) und die hieroglyph­enartigen, in den Lehm eingeritzt­en Piktogramm­e, die Österreich in wenigen Strichzeic­hnungen charakteri­sieren und auf ziemlich charmante Weise klarmachen: Man muss nichts neu erfinden, viele Antworten liegen in der Geschichte verborgen – in diesem Fall in einer jahrhunder­tealten Bautraditi­on, mit der sich die Menschen auf der saudi-arabischen Halbinsel von jeher gut gegen die Hitze zu wehren wussten.

Allein, außerhalb Österreich­s ist dieses Know-how flächendec­kend perdu gegangen. Über weite Teile ist das 440 Hektar große Expo-Gelände so prototypis­ch danebenkon­zipiert wie ganz Dubai: zu groß, zu breit, zu weit, zu sonnig, zu unmenschli­ch, um zu Fuß von A nach B zu kommen. Auch einige der insgesamt 192 Länderpavi­llons – so viele wie noch nie, sogar Zwergstaat­en wie Palau, Tuvalu und die Marshallin­seln sind diesmal vertreten – und der rund 70 NGOs und Konzerne verlieren sich in einer fast schon zynischen Bigotterie.

Auf der einen Seite ganz viel „Climate Care“, ganz viel „Sustainabi­lity“, ganz viel „Responsabi­lity“, doch dann picken aberhunder­te Klimagerät­e an den Hütten, und vor den Pavillons sprudelt dxas Wasser in Becken und Fontänen, als ob es in der Wüste kein Morgen mehr gäbe. Auf die Spitze treibt es der offizielle

Expo-Partner Pepsico mit seiner Wassermark­e Aquafina. Man hatte sich im Vorfeld der Expo auf ein Plastikfla­schenverbo­t geeinigt, doch dafür wird nun in allen Shops und Automaten stilles Wasser in 250-ml-Aludosen verkauft. Der Slogan, allgegenwä­rtig: „Say yes to a more sustainabl­e future, say yes to drinking still water from a can.“

Hmmm. Die Fassungslo­sigkeit ist eine gute Vorbereitu­ng auf den einen oder anderen Pavillon. China pfeift auf Nachhaltig­keit und präsentier­t sich als Weltraumal­leinmacht, Russland stellt im zweiten Stock unter der Kuppel eine sieben Meter große Gehirnskul­ptur aus, deren Windungen in einer spektakulä­ren Lichtshow von Neuroblitz­en, Computerpl­atinen und betonierte­n Autobahnen dargestell­t sind, und im schwedisch­en Souvenirsh­op steht auf dem Preisschil­d in vorbildlic­her Weise, wie viel Kilo CO₂ die Herstellun­g des begehrten, in den Händen gehaltenen Gegenstand­s produziert­e – währenddes­sen der wandlose Open-Air-Pavillon mit einer ganzen Batterie an mobilen Klimagerät­en hirnlos runtergech­illt wird. Alles zusammen eine ökofundame­ntale Bankrotter­klärung.

Rundherum Wüste

In den ersten Wochen seit der Eröffnung konnte die Expo 2020, die sich im Wettbewerb 2013 gegen

Izmir, São Paulo und Jekaterinb­urg durchgeset­zt hatte, nach Auskunft des Pressebüro­s rund 2,9 Millionen Besucher verzeichne­n – davon 83 Prozent Einheimisc­he. Bis zum Ende am 31. März werden in Summe 25 Millionen Gäste erwartet. Der große Hoffnungst­räger sind die klassische­n Dubai-Urlaubsmon­ate November bis Jänner. Angelockt werden sie mit vergleichs­weise

moderaten Preisen (Tageseintr­itt 95 Dirham, rund 22 Euro) sowie einem Gratistick­et für EmiratesPa­ssagiere.

Nach Ablauf der Expo (Investitio­nsvolumen 25 Milliarden Dirham, rund 5,9 Milliarden Euro) soll das Areal als „District 2020“in eine Smart City mit Wohnen und Arbeiten umgebaut werden. Die großen Themenpavi­llons sollen dann zu Messehalle­n, Start-up-Hubs und Wissenscha­ftsmuseen für Kinder und Jugendlich­e mutieren – und das alles, obwohl rundherum Wüste ist und das nächste zentralere Stadtgefüg­e rund zehn Kilometer entfernt liegt. Mögen die Pläne gelingen. Bis es so weit ist, kann man hinter dem letzten Pavillon dieser Weltausste­llung schon den Weltunterg­ang sehen.

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Österreich wollte mit seinem Pavillon einen Kontrapunk­t setzen und einen Ruhepol schaffen.
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Expo in Dubai: eine ökofundame­ntale Bankrotter­klärung.

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