Experten zweifeln an Lockdown für Ungeimpfte
Ausgangsbeschränkung ohne 2G-Nachweis Handel rechnet mit großem Umsatzverlust
Wien – In der Nacht auf Montag ist um Mitternacht in ganz Österreich der erste Lockdown für Ungeimpfte in Kraft getreten. Darauf hatte sich die Regierung am Sonntag in einem Krisentreffen mit den Landeshauptleuten geeinigt. Von den Ausgangsbeschränkungen sind rund zwei Millionen Menschen betroffen: Ohne 2G-Nachweis dürfen sie ihre Wohnung nur aus den von früheren Lockdowns bekannten Gründen verlassen, etwa um unabdingbare Besorgungen zu erledigen.
Ausgenommen sind Kinder unter zwölf Jahren und Menschen, die
sich aufgrund einer Erkrankung nicht impfen lassen können, sowie
Schwangere. Für Kinder im schulpflichtigen Alter wird der Ninja-Pass mit einem 2G-Nachweis gleichgesetzt. Erstgeimpfte können sich mit einem PCR-Test freitesten.
Experten gehen die Maßnahmen allerdings zu wenig weit. So warnten die Mitglieder der Corona-Ampel-Kommission schon im Vorfeld, dass es eine Kontaktreduktion von zumindest 30 Prozent brauche. Laut einem internen Sitzungsprotokoll wird befürchtet, dass durch einen Ungeimpften-Lockdown „kaum merkliche Effekte“erzielt werden können. Stattdessen wird ein „allgemeines Regime von Kontaktreduktionen“als alternativlos bezeichnet.
Ein von 33 Wissenschafterinnen und Wissenschaftern am Freitag veröffentlichtes Papier plädiert zudem für eine 2G-plus-Regel, bei der auch Geimpfte und Genesene für Lokalbesuche einen PCR-Test vorweisen müssten.
Die Corona-Lage in Österreich sei „ernst“, erklärte Kanzler Alexander Schallenberg (ÖVP). „Wir setzen diesen Schritt nicht leichten Herzens, leider ist er notwendig.“Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) kündigte weitere Treffen mit den Ländern an. Sollte sich die „Dynamik so fortsetzen“, werde es „weitere Maßnahmen benötigen“. Die 2G-Kontrollen sollen zudem verschärft werden.
Gastro erwartet Einbußen
Österreichs Handel rechnet mit Umsatzverlusten von 40 Prozent und mehr. Gastronomen klagen über Einbußen von bis zu 60 Prozent. Beide Branchen verlangen eine breite Palette an staatlichen Hilfen. Der Handel ruft nach Umsatzersatz.
Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) verweist auf Kurzarbeit, Garantien und Verlustersatz, die noch bis Jahresende laufen. Er kündigt weitere Unterstützung für besonders betroffene Betriebe an. (red)
Nach einer Woche der höchst unterschiedlichen Signale aus allen Richtungen fixierte die Regierung am Sonntag, was bereits seit Tagen antizipiert wurde: einen österreichweiten Lockdown für Ungeimpfte. Nach seiner Videokonferenz mit den Landeshauptleuten zeichnete Bundeskanzler Alexander Schallenberg (ÖVP) das Bild eines „Teufelskreises der Pandemie, den es zu durchbrechen gilt“, bei der Vorstellung der Maßnahmen recht oft: Um die ständige Abfolge von steigenden Infektionswellen und bremsenden Lockdowns zu beenden, habe sich die Regierung gezwungen gesehen, „einen einschneidenden, schwierigen Schritt zu setzen“, sagte Schallenberg. Sonst entkomme Österreich diesem Kreislauf nie.
Damit gelten ab heute, Montag, für all jene Personen, die kein gültiges Impfzertifikat haben oder die nicht nachweisen können, in den vergangenen 180 Tagen eine Corona-Erkrankung durchgemacht zu haben, erneut jene Beschränkungen, die bereits aus früheren Lockdowns im Kampf gegen die Corona-Krise bekannt sind (siehe Text rechts). Die größten Neuerungen im Vergleich zu den bisherigen Regeln: Ein 2G-Nachweis wird auch im Handel abseits der Grundversorgung benötigt, zudem gelten für alle, die nicht geimpft oder genesen sind, Ausgangsbeschränkungen. Der Lockdown gilt zwar für alle Ungeimpften ab zwölf Jahren, für schulpflichtige Kinder ist der „NinjaPass“jedoch dem 2G-Nachweis gleichgestellt.
Mit dem Ungeimpften-Lockdown verkündete Schallenberg offenbar die Mindestmaßnahmen, auf die man sich mit den Ländern hatte einigen können. Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) soll bei dem Krisengipfel durchaus härtere und weitreichendere Einschränkungen forciert haben – etwa über die Gruppe der Ungeimpften hinausgehende Kontaktreduktionen. Nach dem Treffen stellte Mückstein jedenfalls fest: Wenn sich „die Dynamik so fortsetzt“, werde es weitere Maßnahmen brauchen.
Es werde „nachgeschärft, so dies nötig sein sollte“, formulierte es Schallenberg. Aktuell sei ein Lockdown für die Gesamtbevölkerung nicht Thema gewesen. Ausgeschlossen wird dieser allerdings nicht von allen Seiten. Die Expertinnen und Experten der Corona-AmpelKommission haben den Effekt eines Ungeimpften-Lockdowns bereits am Donnerstag infrage gestellt, wie aus einem internen Protokoll hervorgeht. Allein dadurch könnten in der jetzigen Situation vor allem in Oberösterreich und Salzburg „kaum merkliche Effekte“erzielt werden, erklärte der Vertreter der Gesundheit Österreich GmbH, Herwig Ostermann. Die aktuell notwendige Reduktion der Kontakte „scheint dadurch nicht erreichbar“. Vielmehr sei ein „großräumiges, allgemeines Regime von Kontaktreduktionen vermutlich alternativlos“, da in den vergangenen Wochen eine „weitgehend unkontrollierte Ausbreitung“der Pandemie stattgefunden habe.
Auch der Epidemiologe Gerald Gartlehner erklärte zuletzt, dass der Lockdown für Ungeimpfte wenig Effekt habe und diese Maßnahme besonders für Oberösterreich und Salzburg wohl nicht ausreichen werde. Hinter vorgehaltener Hand geht man in manch anderem Bundesland bereits davon aus, dass die Ausgangsbeschränkungen darum demnächst ausgeweitet werden könnten.
„Beschämende“Impfquote
Die hiesige Impfquote, die zu den schlechtesten in Europa gehört, sei „beschämend niedrig“, sagte Schallenberg. Die Sieben-Tage-Inzidenz je 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner gehe bei den geimpften Personen hinunter, während sie bei den Ungeimpften steige; insgesamt lag der Wert am Sonntag bei 815. Das einzige „Exit-Ticket“aus dem „Pandemie-Teufelskreis“, betonte Schallenberg, sei die Impfung, weshalb man den Fokus nun auf die Ungeimpften lege. Laut Mückstein hat sich die Anzahl der Impfungen seit der Ankündigung der 3GPflicht am Arbeitsplatz vervierfacht.
Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) erklärte, dass die Überprüfungen verschärft würden, die Polizei werde die neuen Regeln verstärkt überprüfen. Den 2GNachweis gelte es bei allen polizeilichen Kontrollen vorzuweisen (siehe Seite 4). Laut dem Verfassungsjuristen Heinz Mayer liegt gerade hier das Problem: Zwar hält er einen Lockdown für Ungeimpfte für rechtlich möglich, aufgrund der Unkontrollierbarkeit aber drohe eine Verfassungswidrigkeit – nämlich dann, wenn die Maßnahmen nicht effektiv seien und die Aussicht auf Erfolg fehle.