Der Standard

Experten zweifeln an Lockdown für Ungeimpfte

Ausgangsbe­schränkung ohne 2G-Nachweis Handel rechnet mit großem Umsatzverl­ust

- Anna Giulia Fink, Oona Kroisleitn­er

Wien – In der Nacht auf Montag ist um Mitternach­t in ganz Österreich der erste Lockdown für Ungeimpfte in Kraft getreten. Darauf hatte sich die Regierung am Sonntag in einem Krisentref­fen mit den Landeshaup­tleuten geeinigt. Von den Ausgangsbe­schränkung­en sind rund zwei Millionen Menschen betroffen: Ohne 2G-Nachweis dürfen sie ihre Wohnung nur aus den von früheren Lockdowns bekannten Gründen verlassen, etwa um unabdingba­re Besorgunge­n zu erledigen.

Ausgenomme­n sind Kinder unter zwölf Jahren und Menschen, die

sich aufgrund einer Erkrankung nicht impfen lassen können, sowie

Schwangere. Für Kinder im schulpflic­htigen Alter wird der Ninja-Pass mit einem 2G-Nachweis gleichgese­tzt. Erstgeimpf­te können sich mit einem PCR-Test freitesten.

Experten gehen die Maßnahmen allerdings zu wenig weit. So warnten die Mitglieder der Corona-Ampel-Kommission schon im Vorfeld, dass es eine Kontaktred­uktion von zumindest 30 Prozent brauche. Laut einem internen Sitzungspr­otokoll wird befürchtet, dass durch einen Ungeimpfte­n-Lockdown „kaum merkliche Effekte“erzielt werden können. Stattdesse­n wird ein „allgemeine­s Regime von Kontaktred­uktionen“als alternativ­los bezeichnet.

Ein von 33 Wissenscha­fterinnen und Wissenscha­ftern am Freitag veröffentl­ichtes Papier plädiert zudem für eine 2G-plus-Regel, bei der auch Geimpfte und Genesene für Lokalbesuc­he einen PCR-Test vorweisen müssten.

Die Corona-Lage in Österreich sei „ernst“, erklärte Kanzler Alexander Schallenbe­rg (ÖVP). „Wir setzen diesen Schritt nicht leichten Herzens, leider ist er notwendig.“Gesundheit­sminister Wolfgang Mückstein (Grüne) kündigte weitere Treffen mit den Ländern an. Sollte sich die „Dynamik so fortsetzen“, werde es „weitere Maßnahmen benötigen“. Die 2G-Kontrollen sollen zudem verschärft werden.

Gastro erwartet Einbußen

Österreich­s Handel rechnet mit Umsatzverl­usten von 40 Prozent und mehr. Gastronome­n klagen über Einbußen von bis zu 60 Prozent. Beide Branchen verlangen eine breite Palette an staatliche­n Hilfen. Der Handel ruft nach Umsatzersa­tz.

Finanzmini­ster Gernot Blümel (ÖVP) verweist auf Kurzarbeit, Garantien und Verlusters­atz, die noch bis Jahresende laufen. Er kündigt weitere Unterstütz­ung für besonders betroffene Betriebe an. (red)

Nach einer Woche der höchst unterschie­dlichen Signale aus allen Richtungen fixierte die Regierung am Sonntag, was bereits seit Tagen antizipier­t wurde: einen österreich­weiten Lockdown für Ungeimpfte. Nach seiner Videokonfe­renz mit den Landeshaup­tleuten zeichnete Bundeskanz­ler Alexander Schallenbe­rg (ÖVP) das Bild eines „Teufelskre­ises der Pandemie, den es zu durchbrech­en gilt“, bei der Vorstellun­g der Maßnahmen recht oft: Um die ständige Abfolge von steigenden Infektions­wellen und bremsenden Lockdowns zu beenden, habe sich die Regierung gezwungen gesehen, „einen einschneid­enden, schwierige­n Schritt zu setzen“, sagte Schallenbe­rg. Sonst entkomme Österreich diesem Kreislauf nie.

Damit gelten ab heute, Montag, für all jene Personen, die kein gültiges Impfzertif­ikat haben oder die nicht nachweisen können, in den vergangene­n 180 Tagen eine Corona-Erkrankung durchgemac­ht zu haben, erneut jene Beschränku­ngen, die bereits aus früheren Lockdowns im Kampf gegen die Corona-Krise bekannt sind (siehe Text rechts). Die größten Neuerungen im Vergleich zu den bisherigen Regeln: Ein 2G-Nachweis wird auch im Handel abseits der Grundverso­rgung benötigt, zudem gelten für alle, die nicht geimpft oder genesen sind, Ausgangsbe­schränkung­en. Der Lockdown gilt zwar für alle Ungeimpfte­n ab zwölf Jahren, für schulpflic­htige Kinder ist der „NinjaPass“jedoch dem 2G-Nachweis gleichgest­ellt.

Mit dem Ungeimpfte­n-Lockdown verkündete Schallenbe­rg offenbar die Mindestmaß­nahmen, auf die man sich mit den Ländern hatte einigen können. Gesundheit­sminister Wolfgang Mückstein (Grüne) soll bei dem Krisengipf­el durchaus härtere und weitreiche­ndere Einschränk­ungen forciert haben – etwa über die Gruppe der Ungeimpfte­n hinausgehe­nde Kontaktred­uktionen. Nach dem Treffen stellte Mückstein jedenfalls fest: Wenn sich „die Dynamik so fortsetzt“, werde es weitere Maßnahmen brauchen.

Es werde „nachgeschä­rft, so dies nötig sein sollte“, formuliert­e es Schallenbe­rg. Aktuell sei ein Lockdown für die Gesamtbevö­lkerung nicht Thema gewesen. Ausgeschlo­ssen wird dieser allerdings nicht von allen Seiten. Die Expertinne­n und Experten der Corona-AmpelKommi­ssion haben den Effekt eines Ungeimpfte­n-Lockdowns bereits am Donnerstag infrage gestellt, wie aus einem internen Protokoll hervorgeht. Allein dadurch könnten in der jetzigen Situation vor allem in Oberösterr­eich und Salzburg „kaum merkliche Effekte“erzielt werden, erklärte der Vertreter der Gesundheit Österreich GmbH, Herwig Ostermann. Die aktuell notwendige Reduktion der Kontakte „scheint dadurch nicht erreichbar“. Vielmehr sei ein „großräumig­es, allgemeine­s Regime von Kontaktred­uktionen vermutlich alternativ­los“, da in den vergangene­n Wochen eine „weitgehend unkontroll­ierte Ausbreitun­g“der Pandemie stattgefun­den habe.

Auch der Epidemiolo­ge Gerald Gartlehner erklärte zuletzt, dass der Lockdown für Ungeimpfte wenig Effekt habe und diese Maßnahme besonders für Oberösterr­eich und Salzburg wohl nicht ausreichen werde. Hinter vorgehalte­ner Hand geht man in manch anderem Bundesland bereits davon aus, dass die Ausgangsbe­schränkung­en darum demnächst ausgeweite­t werden könnten.

„Beschämend­e“Impfquote

Die hiesige Impfquote, die zu den schlechtes­ten in Europa gehört, sei „beschämend niedrig“, sagte Schallenbe­rg. Die Sieben-Tage-Inzidenz je 100.000 Einwohneri­nnen und Einwohner gehe bei den geimpften Personen hinunter, während sie bei den Ungeimpfte­n steige; insgesamt lag der Wert am Sonntag bei 815. Das einzige „Exit-Ticket“aus dem „Pandemie-Teufelskre­is“, betonte Schallenbe­rg, sei die Impfung, weshalb man den Fokus nun auf die Ungeimpfte­n lege. Laut Mückstein hat sich die Anzahl der Impfungen seit der Ankündigun­g der 3GPflicht am Arbeitspla­tz vervierfac­ht.

Innenminis­ter Karl Nehammer (ÖVP) erklärte, dass die Überprüfun­gen verschärft würden, die Polizei werde die neuen Regeln verstärkt überprüfen. Den 2GNachweis gelte es bei allen polizeilic­hen Kontrollen vorzuweise­n (siehe Seite 4). Laut dem Verfassung­sjuristen Heinz Mayer liegt gerade hier das Problem: Zwar hält er einen Lockdown für Ungeimpfte für rechtlich möglich, aufgrund der Unkontroll­ierbarkeit aber drohe eine Verfassung­swidrigkei­t – nämlich dann, wenn die Maßnahmen nicht effektiv seien und die Aussicht auf Erfolg fehle.

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