Ein Gutachten soll Kurz entlasten
Der Anwalt von Sebastian Kurz hat ein Gutachten in Auftrag gegeben, und wenig überraschend wird darin argumentativ eine Entlastung ausgebreitet. Es gebe keine konkrete Verdachtslage in Bezug auf den Ex-Kanzler.
Während sich die österreichische Politik vor allem mit der drohenden Corona-Notlage beschäftigt, hat ÖVPChef Sebastian Kurz, der seit etwas mehr als einem Monat nicht mehr Teil der Bundesregierung ist, andere Sorgen. Er beschäftigt sich mit seiner eigenen Reputation. Am Wochenende wurde er auf Twitter aktiv: „Die WKStA hat mir gegenüber schwere Vorwürfe erhoben. Professor DDr. Lewisch hat nun ein Gutachten erstellt, aus dem hervorgeht: ,Für einen Beschuldigtenstatus ist eine konkrete Verdachtslage Voraussetzung, von dieser kann in Bezug auf die Person Sebastian Kurz keine Rede sein.‘“In einem weiteren Tweet verweist Kurz auf die Krone. Dort ist zu lesen: „Gutachten: ,Keine Verdachtslage gegen Kurz‘“.
Im Oktober war Kurz durch weitreichende Ermittlungen so sehr unter Druck geraten, dass er schließlich zurück- oder, wie es die Partei formulierte, zur Seite getreten war. Seitdem arbeitet er an seinem Comeback und an der Wiederherstellung seiner Reputation, die heftig gelitten hat. Dazu ist es nötig, in der öffentlichen Wahrnehmung eine Entlastung zu verankern.
Ausgesuchte Medien
Das soll unter anderem durch ein Gutachten des Universitätsprofessors und Verteidigers Peter Lewisch gelingen. Dessen Erkenntnisse wollte die ÖVP am Sonntag medial verbreiten, sie ließ das Gutachten ausgesuchten Medien zukommen. Dem STANDARD lag die Analyse der Ermittlungsanordnung am Samstag bereits aus anderen Quellen vor.
Auf 17 Seiten versucht Lewisch, die Ermittlungsarbeit der Wirtschaftsund Korruptionsstaatsanwaltschaft, kurz WKStA, auseinanderzunehmen. Den Ermittlern unterstellt Lewisch „freihändige Spekulationen“und sogar eine „unerträgliche Sachverhaltsverdrehung“. Sein durchaus gewagtes Fazit: Es bestehe „keine konkrete Verdachtslage“gegen Altkanzler Sebastian Kurz.
Wie kommt Lewisch zu diesem Fazit? Zuerst analysiert er den Vorwurf der WKStA, das Finanzministerium habe einerseits mit Scheinrechnungen an Meinungsforscherin Sabine B. Untreue begangen, andererseits einen korrupten Deal mit den Brüdern Fellner abgeschlossen, um die Berichterstattung in deren Medien zu beeinflussen.
Die Korruptionsermittler sehen den Tatbestand der Untreue auch darin, dass in Österreich Inserate geschaltet wurden, die nicht dem Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit dienten. Lewisch sagt, dass die Ermittler das gar nicht selbst beurteilen könnten. Auch eine positive Berichterstattung sei keinesfalls ein Korruptionsvorteil, argumentiert Lewisch: „Nimmt man sie ernst, müsste etwa der Theaterdirektor einen Korruptionsstraftatbestand erfüllen, wenn er eine politisch gefällige Stückeauswahl in der Erwartung trifft, deshalb Subventionserhöhungen zu lukrieren und selbst für eine weitere Funktionsperiode wiederbestellt zu werden.“In Wahrheit handle es sich um „sozial-adäquate Verhaltensweisen“.
Diese Einschätzung teilt die Neos-Mediensprecherin, Henrike Brandstötter, nicht: Es handle sich hierbei um „feudalistisches Verhalten“, das eine „Gefahr für unsere Demokratie“darstelle. „Das Verniedlichen von Gefälligkeiten und die Verharmlosung von Inseratenkorruption“seien nicht zielführend.
Heftige Kritik kam auch vom niederösterreichischen Landeshauptmannstellvertreter Franz Schnabl (SPÖ). „Während sich das Land in einer Notlage befindet, beschäftigt sich Sebastian Kurz mit seinem Comeback“, schrieb er. Kurz sei ein „egoistischer Selbstdarsteller“.
Im Gutachten schreibt Lewisch, dass das alles aber ohnehin „für sich genommen gar nichts“mit Kurz zu tun habe. Der ÖVP-Obmann sei von den Verdachtsmomenten bezüglich der Inseratenschaltungen „weit – nämlich sehr weit – entfernt“. Und warum habe Kurz dann Informationen darüber erhalten, was die Meinungsforscherin Sabine B. in Österreich und oe24.tv sagen werde? „Eine Information über eine (bevorstehende) Betätigung einer politisch wohlgesinnten Meinungsforscherin in einem Printmedium“betreffe laut Lewisch „einen – der Art nach quer über das politische Spektrum seit Jahren gelebten und strafrechtlich völlig unverfänglichen – Sachverhalt“.
Die WKStA argumentiert, dass das gesamte Konstrukt der manipulierten Meinungsumfragen samt Deal mit Österreich dazu gedient habe, Kurz vom Außenministerium ins Kanzleramt zu bringen. Lewisch bestreitet das: Dass ein krimineller Gesamtplan bestehe, sei „bloß behauptet“, das bleibe „im Bereich reiner Spekulation“. Dass Kurz an den Vorgängen ein „besonderes Eigeninteresse“gehabt habe, weil sie ihm eben die Kanzlerschaft brachten, sei eine „Scheinbegründung“.
Was die Chats bedeuten
Auch in den Nachrichten, in denen der damalige Generalsekretär Thomas Schmid mit Kurz diskutiert, ob man Familienministerin Sophie Karmasin „überreden“könne, sieht Lewisch nichts Inkriminierendes. Karmasin soll laut WKStA ja dann den Kontakt zu den Fellners, aber auch zu Sabine B. hergestellt haben; sie ist Mitbeschuldigte. Ihr Anwalt Norbert Wess meinte vergangene Woche, diese Chats hätten etwas ganz anderes zu bedeuten; konkret sei es um einen politischen Streit innerhalb der großen Koalition gegangen – was wiederum der damalige Vizekanzler und ÖVP-Obmann Reinhold Mitterlehner von sich wies. Auch Lewisch argumentiert dazu: „Schon allein aus diesem Ablauf folgt, dass der geplante Gesprächskontakt zwischen Sebastian Kurz und Dr. Karmasin allein in Zusammenhang mit dem Disput mit VK Mitterlehner steht.“
Lewisch, Professor am Institut für Strafrecht und Kriminologie, greift auch die Vorgehensweise der WKStA scharf an. Diese betreibe „Storytelling“und habe „keine prozessuale Kompetenz zur gegenständlichen romanhaften Erzählung ihrer Verdachtsannahmen“. Sebastian Kurz werde „en passant“zum Beschuldigten gemacht, es bestehe ein „krasser ‚prosecutorial bias‘“, also einseitige Ermittlungstendenzen, bei der WKStA.
Auf jeder Seite der Analyse, die Lewisch im Auftrag von Kurz-Anwalt Werner Suppan durchgeführt hat, prangt groß das Logo der Universität Wien. Die Hochschule distanzierte sich bereits in einer Stellungnahme auf Twitter von dem Gutachten. Es handle sich um ein „persönliches Gutachten, nicht um eines der Institution“.
Am Samstag zitierte die Universität eine Stellungnahme von Lewisch, die sie eingeholt hatte: „Das Gutachten trägt den Briefkopf mit meinem Namen und jenem des Instituts und damit auch das Logo der Universität. Eine Nebenbeschäftigungsmeldung für dieses Gutachten habe ich versehentlich nicht vorgenommen.“
Lewisch ist nicht nur Professor an der Universität Wien, sondern auch als Senior Counsel bei der Kanzlei Cerha Hempel aktiv. Deren Partnerin Edith Hlawati wurde unlängst zur Vorsitzenden der Staatsholding Öbag – als Nachfolgerin von Thomas Schmid, der wegen seiner Chataffäre, die auch die Ermittlungen gegen Kurz auslöste, gehen musste.
Die These von Lewisch, der Zusammenhang zwischen Inseratenbuchung und positiver Berichterstattung sei eine „sozial-adäquate Verhaltensweise“, sorgt in Juristenkreisen jedenfalls für Diskussionen. Der Rechtsanwalt und Verfassungsrichter Michael Rami verweist darauf, dass die Rechtsprechung der Sozialadäquanz eher reserviert gegenüberstehe. Mit dem Terminus Sozialadäquanz sei gemeint, dass Handlungen, die gesellschaftlich schon seit jeher akzeptiert waren, nicht strafbar sein können. Rami: „Im Detail ist hier aber nahezu alles strittig.“