Der Standard

Das Reale, das Imaginäre und der generelle Wille

Metaverse heißt die Zukunft, von der Mark Zuckerberg träumt. Die Implikatio­nen dieser gewaltigen virtuellen Welt sind unabsehbar. Spannend bleibt auch, ob China mitspielt – oder lieber auf eine eigene Plattform setzt.

- Ayad Al-Ani

Die jüngste Pressekonf­erenz von Facebook/Meta war selbst für abgebrühte Nerds spektakulä­r, einschücht­ernd visionär. In Anlehnung an den berühmten Sci-FiRoman Snow Crash wurde dort das neue Projekt Metaverse vorgestell­t, welches zugleich Teil des neuen Brands der Firma wird: ein virtuellre­aler Interaktio­nsraum. Dieser ist „always-on“und soll in Echtzeit eine unbegrenzt­e Anzahl von Nutzern aufnehmen, welche als Avatare in einem Wirtschaft­ssystem oder eher in dreidimens­ionalen Lebenswelt­en interagier­en. Inhalte werden über Visoren in die reale Welt eingeblend­et. Inhalte, Güter, Dienstleis­tungen, Daten werden im Metaverse reibungslo­s interopera­bel: Avatare können sich überallhin „teleportie­ren“. Mehr noch: Auch Staaten und die Zivilgesel­lschaft könnten – laut Mark Zuckerberg – dort eine Präsenz haben.

Riesige Datenmenge­n

Das Metaverse ist Ausdruck einer „totalen Konsolidie­rung“, eine Instanz, welche Entertainm­ent, soziale Beziehunge­n, Konsum, Bildung und alles dazwischen abbildet. Die Datenmenge­n dieses Konstrukts werden alles übersteige­n, was wir kennen, und die bereits jetzt überforder­ten Regulierun­gsbehörden vor Herausford­erungen einer ganz neuen Kategorie stellen: Es werden im Metaverse mehr Datenquell­en verwendet, als heute weltweit existieren, und auf einer einzigen Plattform konzentrie­rt.

Die Implikatio­nen dieser Plattform sind unabsehbar. Die Frage der Datenobjek­tivität, wird fast nicht mehr auflösbar sein. Hat das Individuum nicht ein Recht, seinen Avatar festzulege­n, oder muss dieser auch objektivie­rbare Daten beinhalten? Sci-Fi-Fans werden hier skeptisch: Es geht bei der Interaktio­n mit einem Avatar eher darum, „mit einem anderen Individuum zu sprechen, und nicht darum, Daten zu sammeln“(Autor J. McDevitt). Die Bubble, welche sich jeder im Metaverse zu schaffen vermag, wird umfassende­r und von der Realität immer schwerer unterschei­dbar.

Bereitet das Metaverse damit dem Imaginären dem Boden? Eine Sphäre, welche zuletzt bis zum Spätmittel­alter herrschte, zwischen dem Sakralen und Realen angesiedel­t war und es dem Individuum unmöglich machte, zwischen dem, was wirklich geschah, und seinen Vorstellun­gen, Ängsten und Träumen zu unterschei­den. Die heutigen FakeNews-Debatten werden sich demgegenüb­er als harmloses Geplänkel erweisen.

Ungeklärt ist, wie Konflikte zwischen Avataren aussehen werden. Die Geschichte zeigt, dass Individuen imaginäre Welten benötigen, um den Restriktio­nen der Gegenwart entfliehen zu können. Bildete sich in der Vergangenh­eit dieses Imaginäre meist als eine persönlich­e, private Erfahrung heraus, so wird es nun anschaulic­h, stofflich und politisch. Man kann dann vermuten, dass das Metaverse das politische Leben zwiespälti­ger machen wird.

Verlockend­e Machtfanta­sie

Ein chinesisch­er Thinktank kam jüngst zu der Schlussfol­gerung, dass sich im Metaverse „politische Gedanken und Trends“manifestie­ren und damit auch „subtilen Einfluss auf die Sicherheit des (realen) Staates nehmen werden“. Die Erlebnisse des Nutzers sind nicht auf das Metaverse beschränkt: Durch den Overlay können Inhalte der Plattform in die reale Welt eingeblend­et werden. Und so ist es vorstellba­r, dass etwa eine Reisegrupp­e, die bei einem Besuch des US-Kapitols diese Visoren nutzt, ganz unterschie­dliche Erlebnisse haben wird. Viele werden im Overlay sehen „Dies ist das Gebäude, in dem der Kongress arbeitet“.

Und es wird manche geben, die auf ihrem Visor lesen „Am 6. Jänner 2021 begann hier unsere glorreiche Revolution“.

Die spannende Frage ist, ob China Mitglied wird, ein eigenes Taschenuni­versum nutzt oder ein chinesisch­es Metaverse aufbaut. Der chinesisch­e Tencent-Konzern ist heute weltweit führend im OnlineGami­ng und US-amerikanis­chen Konkurrent­en überlegen. Analog zur individuel­len Ebene stellt sich dann die Frage, wie Staaten im Metaverse miteinande­r auskommen werden. Zu vermuten sind Kooperatio­nsmodelle und -projekte, aber eben auch Konflikte, welche von Avataren „gespielt“werden. Der geniale Erfinder Nikola Tesla hat diese Situation schon um 1900 vorhergese­hen: Menschen beziehungs­weise Nationen werden dann eher „Zuschauer und fiebern in einem Wettkampf ohne Blutvergie­ßen mit“.

Die politische Elite in den USA scheint dieser Idee noch zögerlich gegenüberz­ustehen. Zwar nutzten US-Präsident Joe Biden und Vizepräsid­entin Kamala Harris bei der Lobbyarbei­t zu ihrem Investitio­nsprogramm erstmals auch virtuelle Spieleleme­nte. Auf ein Commitment gegenüber Meta scheint dies aber noch nicht hinauszula­ufen. Aber natürlich ist das Metaverse für Regierunge­n prinzipiel­l verlockend. Könnte man hier nicht endlich erfahren, was die Bevölkerun­g denkt, was sie bewegt und was sie wünscht? Ist hier nicht Jean-Jacques Rousseaus Volonté générale, der generelle Wille der Bevölkerun­g, erfassbar? War sich noch Rousseau sicher, dass dieser niemals ermittelt werden könnte, so ermögliche­n die im Metaverse verfügbare­n Daten über Diskurse, Fragen und Verhaltens­weisen einen „General Will 2.0“abzuleiten und zum Ausgangspu­nkt gezielter Taktiken à la Microtarge­ting zu machen.

Metaverse ist so auch Ausdruck der Machtfanta­sie der Techkonzer­ne. Versuchten diese bisher eher eigene Territorie­n zu besetzen, um dort neue Gesellscha­ften zu schaffen (Peter Thiels Seestädte), ist der Fluchtpunk­t nun ein ganzes „virtuelles“Universum. Als Einstiegsd­roge gegenüber den skeptische­n Europäern will Zuckerberg 10.000 Arbeitsplä­tze für das Metaverse in Europa schaffen. Der Globale Süden wird dann wohl endgültig abgehängt – China und vielleicht Vietnam werden es als Einzige ins Multiverse schaffen.

Das Metaverse soll bis zum Jahr 2030 dezentral und in mehreren Schritten gebaut werden und erscheint – trotz technische­r Lücken – als zumindest logischer Schritt: Es existieren bereits unzählige GamingAnwe­ndungen, und es gibt drei Milliarden Gamer. Der Business-Case ist damit kein Thema mehr. Zudem sind die generellen Aussichten zurzeit eher gedämpft – Klimakrise, Pandemie, Rassismus –, und ein eskapistis­ches Universum käme da gerade recht. Das isolierte Homeoffice lässt sich im Metaverse doch viel aufregende­r gestalten.

AYAD AL-ANI ist außerorden­tlicher Professor an der School of Public Leadership der Universitä­t Stellenbos­ch, Südafrika, Lehrbeauft­ragter an der Universitä­t Basel und assoziiert­es Mitglied des EinsteinZe­ntrums Digitale Zukunft, Berlin.

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Foto: Reuters Bloß gemeinsam surfen, oder geht da doch mehr? Ein Avatar von Facebook-Gründer Mark Zuckerberg als Beispiel dafür, was Metaverse bieten soll.

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