Der Standard

Unklarer Umgang mit digitalen Beweisen

Nicht nur in aktuellen Causen mit hochpoliti­scher Brisanz stützt sich die Justiz auf digitale Beweise. Dieser Bereich ist in Österreich allerdings kaum geregelt und stellt die Rechtsprax­is vor gewaltige Herausford­erungen.

- Jakob Pflügl

Fingerabdr­ücke und Augenzeuge­n waren gestern. Heute sind es immer öfter Nullen und Einser, Bits und Bytes, die vor Gericht als Beweise den Ausschlag geben. Die Menge an Daten, die Ermittlern und Richtern mittlerwei­le zur Verfügung steht, ist nahezu unbegrenzt. Das eröffnet völlig neue Möglichkei­ten, stellt die Rechtsprax­is aber auch vor Probleme. Denn die Auswertung riesiger Datenmenge­n kostet Zeit und wirft Fragen der Zuverlässi­gkeit auf.

„Digitale Beweise sind alle Informatio­nen, die auf einem elektronis­chen Datenträge­r gespeicher­t sind und in einem Verfahren verwertet werden können“, sagt Benjamin Weissmann, Cyberforen­siker bei EY (früher Ernst & Young). Infrage kommen nicht nur klassische Chats, sondern auch Standortda­ten, LoginDaten, IP-Adressen oder auch die Daten eines smarten Laufbandes.

Eine gesetzlich­e Definition dafür gibt es in Österreich allerdings nicht. In der Praxis ordnet man sichergest­ellte Daten daher herkömmlic­hen Beweiskate­gorien zu. „Oft werden digitale Beweismitt­el verschrift­licht und als Urkunden deklariert“, sagt Caroline Toifl, Rechtsanwä­ltin und Steuerbera­terin. Die Schriftstü­cke halten zum Beispiel IP-Adressen und dazugehöre­nde Metadaten fest und werden in dieser Form zum Akt genommen.

„Das Problem ist, dass dabei nicht der Beweis selbst verwertet wird, sondern nur eine Abschrift davon“, sagt Toifl. „Darunter leidet die Authentizi­tät des Beweises. In der Praxis wird dieses Problem derzeit kaum hinterfrag­t.“Das fange damit an, dass man PDF-Dokumente ändern und dann ausgedruck­t vorlegen könnte. Wenn man es mit Cyberkrimi­nellen zu tun habe, die ihre Spuren profession­ell verwischen, werde es umso schwierige­r.

Manipulier­bare Beweise

Laut Caroline Toifl könnten digitale Beweise als „Augenschei­nsbeweise“deklariert und gegebenenf­alls in ein Gutachten eines Sachverstä­ndigen aufgenomme­n werden. Richterinn­en und Richter sollten also nicht Kopien verwerten, sondern die Daten am Computer selbst. „Das passiert in der Praxis derzeit überhaupt nicht. Es gibt dafür kein Bewusstsei­n“, sagt Toifl. Die technische­n Möglichkei­ten wären jedenfalls gegeben. Bei der Sicherstel­lung von Handys wird schon jetzt ein sogenannte­s Image erstellt. Damit kann das Smartphone samt allen Daten auf einen Computer übertragen und dort ausgewerte­t werden.

Probleme bereitet aber nicht nur die Darstellun­g der Daten, sondern auch deren Anfälligke­it für Manipulati­on. Die Behörden müssen sichertion­en. stellen, dass sich die gesicherte­n Beweismitt­el im Laufe des Verfahrens nicht ändern. „Es muss technisch immer einwandfre­i nachvollzi­ehbar sein, dass die Daten originär sind“, sagt Weissmann. Dabei gehe es nicht nur um bewusste Manipula„Die Informatio­nen können sich auch spontan ändern oder verlorenge­hen. Am Ende des Tages sind Daten nicht mehr als ein meist magnetisch­er Zustand auf einem Datenträge­r.“

Arbeite man mit großen Datenmenge­n, sei es daher unerlässli­ch, alle Arbeitssch­ritte lückenlos zu dokumentie­ren und sicherzust­ellen, dass man mit den unveränder­ten Beweisen weiterarbe­itet, sagt Weissmann. „In Österreich ist das gesetzlich allerdings nicht geregelt. Letztlich obliegt es allein den Richtern, ob sie Beweise für nachvollzi­ehbar erachten oder nicht.“

Gesetzlich­e Präzisieru­ng

Problemati­sch sei das vor allem bei Straftaten, die sich vollständi­g im digitalen Raum abspielen, sagt Toifl. „Wenn wir von einem normalen Diebstahl sprechen, dann ist der digitale Beweis einer von vielen.“Bei reinen Onlinedeli­kten, etwa bei Cyberangri­ffen oder dem Diebstahl digitaler Kunstwerke, könne es aber rasch zu Beweisprob­lemen kommen. „Dann habe ich ausschließ­lich Beweismitt­el zur Verfügung, die nur begrenzt belastbar sind“, sagt Toifl. Einen Täter rein auf Basis dieser Beweismitt­el zu überführen könne zum Ding der Unmöglichk­eit werden. Denn Zweifel müssen sich vor Gericht stets zugunsten des Beschuldig­ten auswirken.

Laut Weissmann braucht es eine klare gesetzlich­e Definition, was ein elektronis­ches Beweismitt­el ist und wie damit umgegangen werden muss. Ähnlich sieht das Caroline Toifl, die vor allem im Bereich des Rechtsschu­tzes Verbesseru­ngspotenzi­al sieht. „Als Rechtsanwä­ltin haben Sie derzeit keine Akteneinsi­cht in die originären digitalen Beweise“, sagt Toifl. Das sei vor allem dann problemati­sch, wenn die Unterlagen bei einer Hausdurchs­uchung sichergest­ellt werden und die Daten dann bei der Staatsanwa­ltschaft liegen.“

Auch bei Hausdurchs­uchungen selbst sollte ihrer Ansicht nach anders vorgegange­n werden. „Derzeit wird einfach ganz plump angeordnet, dass alle digitalen Speicherme­dien mitgenomme­n werden müssen“, sagt Toifl. Geht es nach der Anwältin, sollen Staatsanwa­ltschaften daher künftig genauer begründen, warum sie welche Daten sicherstel­len. „Damit hätten sie auch für sich etwas gewonnen, weil weniger Datenmüll anfällt.“

Gerade die große Menge an Informatio­nen macht es Behörden oftmals schwierig, Verfahren rasch abzuschlie­ßen. Laut Weissmann braucht es daher dringend massive Investitio­nen in Technik und ausgebilde­tes Personal. „Aber das kostet Geld. Sehr viel Geld.“

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Digitale Beweise wie Chats, Standortda­ten oder IP-Adressen spielen in Gerichtsve­rfahren eine zunehmend große Rolle. Eigene gesetzlich­e Vorgaben gibt es allerdings nicht.

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