Der Standard

Berührung nur im Notfall

Stimmen voller Strahlkraf­t: Brigitte Fassbaende­rs Neuinszeni­erung von Mozarts „Le nozze di Figaro“am Stadttheat­er Klagenfurt

- Michael Cerha

Dieser Schein trügt. Die Taschenlam­penfunktio­n ihres Handys, die Barbarina zur Nadelsuche einschalte­t, zählt neben Rosinas Steppmante­l und Cherubinos noch modischere­r ärmelloser Steppjacke zu den wenigen Zeitverwei­sen, mit denen Brigitte Fassbaende­r ihre Klagenfurt­er Neuinszeni­erung von Mozarts Le nozze di Figaro versehen hat. Wichtiger ist der Regisseuri­n jene Botschaft des Werkes, die seit 240 Jahren dem Publikum denselben Spiegel vorhält: Es ist schwierig mit der Haltbarkei­t der Beziehunge­n unter den Menschen. Und gäbe es nicht die Möglichkei­t der Nachsicht, wie Rosina sie im

Finale übt – das Ganze wäre nicht der Stoff zu einer der turbulente­sten Komödien der Bühnengesc­hichte, sondern eine ausweglose Tragödie. So aber darf gelacht werden. So darf Fassbaende­r im Beipacktex­t hoffen, dass das Lachen im Parkett des Stadttheat­ers gelegentli­ch in diesem oder jenem Halse stecken bleibt.

Es ist eine sehr werktreue Deutung, die sich weder der Gegenwart noch der Vergangenh­eit anbiedert. Die Bühne (Dietrich von Grebmer) prägen drei hinter einander gereihte Rahmen: das in Kärnten wohlbekann­te Schloss Rosegg, auf seine tragenden Teile reduziert. Die können, wenn das Licht (Helmut Stultschni­g) nachtblau wird, auch einer Gartenlaub­e zugehören. Das in Videoproje­ktionen

assoziiert­e Schloss ist insofern vielsagend, als hierzuland­e jeder weiß, dass es vom Bauherrn für seine italienisc­he Geliebte errichtet worden ist. Das ist aber nicht alles: Der von der Estin Dara Savinova verkörpert­e Cherubino ist so offensicht­lich eine Hosenrolle, dass seine ostentativ­e Liebe zu Frauen fast mehr als ihre zum Ausdruck kommt, jedenfalls könnte hier bei der behördlich­en Registrier­ung des Geschlecht­s eine dritte Möglichkei­t in Erwägung kommen.

Was das Chaos der Querverbin­dungen nur noch komplexer macht. Bei alldem ist es übrigens sehr erstaunlic­h, wie Fassbaende­r und ihr Ausstatter mit Sinnlichke­it geizen: Susannas Kleid ist hochgeschl­ossen, wadenlang und waschblau wie eine Nonnenkutt­e. Geradezu liebestöte­risch ist der dunkelrote Wollhosena­nzug Marcellina­s. Und berührt wird einander den ganzen Abend lang nur im Notfall.

Das wird kontrastie­rt, ja in Wahrheit überstrahl­t von Mozarts genialer Musik, die jenseits von Handlung und Text eine elementare Herzensspr­ache etabliert. Da könnte Christa Ratzenböck­s Marcellina kaum inniger wirken, als wenn sie sich plötzlich als Mutter des Mannes entdeckt, den sie die ganze Zeit heiraten wollte. German Enrique Alcantaras auch schauspiel­erisch ausdruckss­tarker Graf Almaviva hat in der berühmten Vergebungs­bitte verdienter­maßen noch einen Moment,

in dem das ganze Theater den Atem anhält. Ogulcan Yilmaz glänzt als lyrischer Figaro, dem in den dramatisch­en Augenblick­en nicht immer die stimmliche Strahlkraf­t verfügbar ist, die er sich vorstellt. Immer bettet Nicholas Milton mit dem Kärntner Sinfonieor­chester das Ensemble auf klangliche Rosen.

Und so bezaubert Sarah Gilfords Susanna nicht nur den Schwerenöt­er Almaviva und den auserwählt­en Barbier, sondern das ganze Publikum. Den innersten Glanz, das zutiefst menschlich­e Leuchten gibt dem Abend schließlic­h Matilda Sterby. Ihre Gräfin Rosina singt in zwei Arien alles, was sich an Sehnsucht und Enttäuschu­ng über Leben und Tod singen lässt.

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