Der Standard

Lukaschenk­os erfolgreic­he Erpressung­staktik

-

Es gibt politische Krisen, für die es keine guten Lösungen gibt, nur die Wahl zwischen dem kleineren und größeren Übel. Was sich derzeit im Dreieck zwischen dem zu allem entschloss­enen Despoten Alexander Lukaschenk­o, der die EU-Werte mit Füßen tretenden rechtsnati­onalistisc­hen polnischen Regierung und der in der Migrations­politik seit eh und je zerstritte­nen Europäisch­en Union abspielt, liefert dafür ein geradezu klassische­s Beispiel.

Tausende frierende und hungernde Männer, Frauen und Kinder müssen in den Wäldern zwischen Polen und Belarus ausharren, weil sie Opfer eines zynischen Erpressung­sversuchs sind. Das Lukaschenk­o-Regime hat sie aus dem Nahen Osten einfliegen und an die Grenzen Polens (auch Litauens und Lettlands) karren lassen, um diese Staaten mit Migranten zu überfluten. Lukaschenk­o will die EU-Staaten zur Aufnahme der Flüchtling­e zwingen oder sie durch das Gespenst einer menschlich­en Katastroph­e zu Verhandlun­gen, im besten Fall sogar zur Rücknahme der EU-Sanktionen bewegen.

Polen hat über das Grenzgebie­t einen Ausnahmezu­stand verhängt und es für Hilfsorgan­isationen und die Medien hermetisch gesperrt. Die Flüchtling­e werden an der 400 Kilometer langen Grenze brutal zurückgetr­ieben. Auf der belarussis­chen Seite werden sie dann wieder gewaltsam zurückgesc­hoben. Die polnische Regierung spielt die nationale Karte aus, schürt erfolgreic­h die Angst vor den Fremden und fordert massive finanziell­e Hilfe von der EU für den Bau eines Grenzzauns. Diese hat Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen bereits aus moralische­n Gründen abgelehnt und dadurch in den deutschen Medien zum Teil Empörung ausgelöst.

Europa muss den paar Tausend verzweifel­ten Menschen Zuflucht gewähren, aber zugleich durch den Bau von Befestigun­gen für gesicherte Grenzen sorgen, lauten im Allgemeine­n die Vorschläge der liberalen Medien. Aber es sollen sich in Belarus 15.000 weitere Schutzsuch­ende aufhalten. Der Migrations­forscher Gerald Knaus warnte bereits davor, dass nach der Aufnahme von 4000 Flüchtling­en bald weitere 10.000 Menschen an der Grenze stehen könnten (siehe „Die teuflische Falle aus Minsk“, DER STANDARD, 13./

14. 11. 2021). Weder Polen noch andere EU-Staaten würden ohne weitere Strategie der einfachen Öffnung der Grenze zustimmen, meint er zu Recht.

Leider ist sein Vorschlag, die Ukraine sollte zeitweilig als Teil eines großen Hilfsproje­ktes der EU die Flüchtling­e aufnehmen, um sie dann in Europa zu verteilen, kaum realisierb­ar. Bereits jetzt hat der Chef des Nationalen Sicherheit­srats in Kiew solche Andeutunge­n mit Hinweis auf 1,5 Millionen Flüchtling­e aus dem Donbass zurückgewi­esen und sogar die Verstärkun­g der Grenze mit Belarus angekündig­t. Die Vergleiche mit der Judenverfo­lgung durch Hitler-Deutschlan­d und der Passivität des Westens sind allerdings absurd („Die Rückkehr des Niemandsla­nds“). Die Schutzsuch­enden wurden nicht en bloc verfolgt und begaben sich freiwillig nach Belarus!

Lukaschenk­os zynisches Spiel scheint aufzugehen. Die heillos zerstritte­ne und von der Pandemie erschütter­te EU steckt nach den Jahren der Heuchelei in der Migrations­politik in einer politische­n und moralische­n Krise. Es gibt keine gesichtswa­hrende und zugleich humanitäre Lösung.

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria