Ist Österreich mit den Drittstichen zu spät dran?
ÖVP-Kritik am grünen Gesundheitsminister
Regierungschef Alexander Schallenberg deutete die Kritik im ORF-Interview an, hinter den Kulissen sind seine Mitstreiter deutlicher: Die ÖVP wirft Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein von den Grünen Zögerlichkeit bei den Auffrischungsimpfungen vor. „Das hätte schneller in die Gänge kommen müssen“, heißt es aus dem Kanzleramt: Man habe darauf gedrängt, sei aber nicht erhört worden.
Ist da etwas dran? Die ÖVP verweist auf den Impfvorreiter Israel, wo die Hälfte der Bevölkerung bereits Ende März zwei Stiche hinter sich hatte. Im Juli waren die Infektionszahlen wieder stark angestiegen, als Grund identifizierte das Gesundheitsministerium nachlassende Impfwirkung. Ende Juli begann Israel ohne genaue Erkenntnisse über den zu erwartenden Effekt mit der Auffrischung für über 60-Jährige, ein Monat später stand der Booster allen über zwölf Jahren offen – sofern die zweite Dosis fünf Monate zurücklag. Bereits Ende August wies eine Untersuchung große Wirkung aus, die Infektionsrate sank bald rapide.
„Dank der rasch eingeleiteten Drittimpfungen hat Israel die vierte Welle ohne Lockdown überwunden“, sagt der Virologe Norbert Nowotny von der Vetmed-Uni Wien. Österreich hätte sich ein Beispiel nehmen und die Auffrischungsimpfungen rascher in Angriff nehmen sollen: „Experten haben gewarnt, doch passiert ist nichts. Das ist ein Versäumnis der Regierung.“
Zwar wurden die ersten Booster hierzulande schon im September an Risikogruppen verabreicht. Für die breite Masse galt aber lange die Regel, dass die Auffrischung erst neun bis zwölf Monate nach dem zweiten Stich erfolgen solle – ganz so, wie es das Nationale Impfgremium empfohlen (NIG) hatte. Erst Anfang November sprach Mückstein, gestützt auf die neueste Vorgabe des NIG, eine Empfehlung für die dritte Dosis nach sechs Monaten aus.
Notfalls ohne Zulassung
Herwig Kollaritsch kann dahinter kein Versäumnis erkennen. Der Infektiologe verweist darauf, dass die Europäische Arzneimittel-Agentur erst Anfang Oktober die Auffrischung überhaupt genehmigt hat. Ohne Zulassung könne das NIG nicht guten Gewissens eine Impfung für die Allgemeinheit befürworten.
Ob Österreich nicht wie Israel hätte vorpreschen sollen? Stark gefährdete Menschen wurden hierzulande im Frühherbst ja auch ohne Zulassung geimpft. Diese Notmaßnahme sei gerechtfertigt gewesen, weil sich in Israel die Erosion der Impfwirkung gezeigt habe – aber eben nur für vulnerable Gruppen, sagt Kollaritsch: „Für alle anderen lagen solche Daten noch nicht vor.“
Das letztverantwortliche Gesundheitsministerium, das üblicherweise den Empfehlungen des NIG folgt, fügt an: Da die große Masse erst im Mai, Juni und Juli zum zweiten Mal geimpft wurde, seien die sechs Monate in den meisten Fällen noch nicht verstrichen. Folglich sei nichts verpasst worden.