Lernen vom Impf-Europameister Portugal
Mit einer Impfquote von 86,4 Prozent führt Portugal einschlägige Statistiken an. Zudem hat das Land bei der jüngsten Eurobarometerumfrage zum Thema Wissenschaft am besten abgeschnitten. Woran liegt das?
Zwar steigen nun auch in Portugal die Infektionszahlen wieder langsam an. Doch mit einer Impfquote von 86,4 Prozent dürfte das westlichste Land Europas die Pandemie bis auf weiteres im Wesentlichen überstanden haben. Die Sieben-Tage-Inzidenz pro 100.000 Personen liegt derzeit bei unter 90, vor einem Monat war sie bei 40. Nur eine verhältnismäßig geringe Zahl an Personen musste in diesem Herbst bisher in Spitälern gegen Covid-19 behandelt werden.
Portugal ist damit auch Europameister bei der Impfquote. Doch wie ist es zu erklären, dass mit Portugal eines lange Zeit ärmsten Länder des Kontinents bei der Impfquote alle anderen übertrifft, während Österreich unter allen westeuropäischen Ländern den letzten Platz belegt?
Portugal wurde kürzlich noch in einem anderen Bereich inoffizieller Europameister: Bei der im Frühjahr 2021 durchgeführten und im Herbst veröffentlichten Eurobarometerumfrage zum Thema Wissenschaft schnitt Portugal unter allen 27 EUMitgliedsländern in den meisten Bereichen am besten ab, während Österreich meist hintere Plätze belegte und oftmals Schlusslicht war (siehe Grafik rechts).
Auf die Frage etwa, welche Auswirkung in den nächsten 20 Jahren die Biotechnologie und die Gentechnik auf unser Leben haben werden, sind die Einschätzungen der österreichischen Befragten die negativsten, während die Portugiesinnen und Portugiesen besonders positive Erwartungen haben. Ähnlich sieht es beim Vertrauen in die Forscherinnen und Forscher aus. Während in Österreich nur 47 Prozent der Ansicht sind, dass Wissenschafterinnen und Wissenschafter mit dem Attribut „ehrlich“gut beschrieben sind, beträgt dieser Anteil in Portugal 77 Prozent (Rang drei).
Desinteresse und Ignoranz
Und wie sieht es mit dem Interesse an der Wissenschaft aus? Auch hier fallen die Österreicherinnen und Österreicher nicht aus dem Rahmen ihrer doch recht weitverbreiteten Wissenschaftsignoranz. Weniger lernbegierig sind nur die Kroatinnen und Kroaten. In Österreich wollen 41 Prozent mehr über wissenschaftliche Entwicklungen erfahren, in Portugal sind es 80 Prozent, was im EU-Vergleich Platz eins bedeutet.
Ähnlich verhält es sich es bei der Zustimmung zu der Aussage: „Das Interesse an Wissenschaft bei den Jungen ist wichtig für unseren künftigen Wohlstand.“Die Österreicherinnen und Österreich stimmen dem nur zu 27 Prozent „sehr“zu. Das ist der mit einigem Abstand geringste Anteil von allen Ländern. In Portugal sind es hingegen 80 Prozent.
Bleibt die Frage, ob die Wertschätzung von Wissenschaft und das Vertrauen in sie etwas mit der Impfquote zu tun hat. Diese
Schlussfolgerung drängt sich auf, wenn man sich nicht nur die Eurobarometer-Ergebnisse von Portugal und Österreich im Vergleich ansieht, sondern auch die Resultate von Ländern wie Bulgarien oder Rumänien, die sich bei der europaweiten Studie mit insgesamt rund 37.000 Befragten ebenfalls als eher wissenschaftsskeptisch erweisen.
Fragt man Fachleute in Portugal nach diesem Zusammenhang, dann gibt es dazu differenzierte Ansichten. Die Wissenschaftshistorikerin
Ana Simões (Universität Lissabon), die sich in ihren Forschungen auch mit Fragen der Wissenschaftspopularisierung beschäftigt hat, bevorzugt eine andere Erklärung für die hohe Impfbereitschaft in ihrem Land quer durch alle Altersgruppen.
„... wie Zähneputzen“
Bereits 1965 – noch unter der Diktatur von Salazar – sei in Portugal ein nationaler Impfplan eingeführt worden, der bis heute außer Streit steht. „Impfen ist bei uns etwas ähnlich Selbstverständliches wie Zähneputzen.“
Simões verweist auf weitere zwei Faktoren – auf das relativ hohe Durchschnittsalter der portugiesischen Bevölkerung, das die Impfbereitschaft erhöht habe, und auf eine schwache Zivilgesellschaft: „Impfgegner finden bei uns – anders als in vielen anderen Ländern – keine große Öffentlichkeit.“
Der in den internationalen Medien immer wieder genannte Vizeadmiral und Militär Henrique Gouveia
e Melo habe hingegen nur einen mittelbaren Beitrag zur portugiesischen Impfquote geleistet: „Gouveia e Melo war nur für die Logistik der Impfstoffverteilung zuständig. Werbung für die Impfung hat er nicht gemacht.“
Die Technikhistorikerin Maria Paula Diogo (Neue Universität Lissabon) stimmt ihrer Kollegin weitgehend zu, hat aber noch eine weitere Erklärung, die doch wieder einen gewissen Zusammenhang zur Wissenschaft darstellt: „Seit dem 19. Jahrhundert genießen Ingenieure und Ärzte eine ganz besondere Wertschätzung in der portugiesischen Bevölkerung, weil sie als wichtige Treiber der Modernisierung unseres lange Zeit rückständigen Landes angesehen werden. Sie genießen daher auch ein großes Vertrauen.“
Schlüsselfaktor Vertrauen
Nach so gut wie allen bekannten Untersuchungen zur Impfbereitschaft ist Vertrauen – auch und zumal in Wissenschaft – tatsächlich einer der Schlüsselfaktoren bei der Impfbereitschaft. Das hat man etwa auch durch die internationale Studie Wellcome Global Monitor herausgefunden, für die 2018 in 126 Ländern neben dem Vertrauen in die Wissenschaft auch nach der Bereitschaft gefragt wurde, die eigenen Kinder impfen zu lassen. Sekundäranalysen dieser Daten wurden kürzlich im Fachblatt Nature Human Behaviour publiziert.
Bleibt die Frage, wie sich die beiden Expertinnen die hohe Wertschätzung von Wissenschaft in ihrem Land erklären, das immer noch vergleichsweise wenig in Forschung und Technologie investiert. „Vor allem angewandte Forschung wird in Portugal als Schlüssel gesehen, unser Land weiter zu modernisieren“, sagt Diogo. Sie erinnert aber auch an den legendären portugiesischen Wissenschaftsminister José Mariano Gago, einen Teilchenphysiker, der vor rund einem Vierteljahrhundert ein Programm namens Ciência Viva startete, also „Lebendige Wissenschaft“.
Dahinter verbirgt sich eine staatliche Agentur mit 120 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die Wissenschaftsvermittlung auf allen Ebenen betreibt: in Schulen (etwa in Form von eigenen Wissenschaftsklubs), an eigenen „wissenschaftlichen Bauernhöfen“, aber auch in einem Netzwerk von 21 Wissenschaftszentren, die in Zusammenarbeit mit Universitäten und lokalen Behörden Forschung vermitteln.
Auch Maria Paula Diogo und Ana Simões machen bei Ciência Viva mit – und das nicht nur aus Idealismus, wie Diogo erklärt: „Bei unseren regelmäßigen Evaluierungen an der Uni ist Wissenschaftsvermittlung an ein nichtwissenschaftliches Publikum eine wichtige Beurteilungskategorie. Und bei positiven Evaluierungen gibt es mehr Geld.“