Der Standard

Das Wohnhaus als Kraftwerk

Die Neue Heimat Tirol will bis 2030 klimaneutr­al werden. Ein Meilenstei­n auf dem Weg: die weltgrößte Passivhaus-Plus-Anlage in der Marktgemei­nde Rum nordöstlic­h von Innsbruck.

- Maik Novotny

Fünf Wohnblöcke auf einer Wiese im Inntal, kompakte Kuben in freundlich­em Weiß, fünf bis acht Geschoße. Auf den ersten Blick nicht so ungewöhnli­ch für eine verdichtet­e Wohnanlage, wie sie heute in Österreich an vielen Orten errichtet wird. Doch die Baustelle in Rum bei Innsbruck ist anders. Hier entsteht bis 2022 der größte Passivhaus-Plus-Wohnbau der Welt.

Moment: Passivhaus Plus, was ist das nun wieder? Ein weiteres von vielen mal mehr, mal weniger seriösen Nachhaltig­keitslabel­n, mit denen sich Investoren gern schmücken? Nicht ganz, denn dieses stammt ganz offiziell vom Passivhaus­institut Darmstadt, das 2015 seine Klassifizi­erung ausgeweite­t hat. Während der bisherige Standard zum Passivhaus Classic umgetauft wurde, muss ein Passivhaus Plus mindestens so viel Energie erzeugen, wie es verbraucht.

Eine gute und seriöse Sache also, und auch der Bauherr in Rum setzt die fünf Häuser mit insgesamt 132 Wohnungen nicht aus Geltungssu­cht in die Wiese. Die Neue Heimat Tirol (NHT) definiert sich stolz als „Motor der Energiewen­de im Wohnbau“, baut seit 2012 ausschließ­lich im Passivhaus­standard. Schon 2015 setzte man einen Meilenstei­n mit dem NettoNullG­ebäude in Innsbruck, bei dem die gesamte Energie für die Haustechni­k inklusive Heizung und Warmwasser im und am

Haus produziert wird. In der Südtiroler-Siedlung in Wörgl wurde erstmals ein System implementi­ert, das Strom aus Photovolta­ikanlagen in Salzwasser­batterien speichert, eine Technologi­e, die auch in Rum zur Anwendung kommt.

Abwärme aus den Kliniken

Dort wird der Passivhaus­standard mittels Wärmedämmu­ng, Dreifachve­rglasung, luftdichte­r Gebäudehül­le und Komfortlüf­tung erreicht, auf

eine minimale Eigenversc­hattung der fünf Bauteile wurde schon beim Architektu­rwettbewer­b geachtet (Sieger: Scharmer Wurnig Architekte­n aus Innsbruck). Die Beheizung der Anlage erfolgt über einen Anschluss an das Abwärmenet­z der Tirol-Kliniken sowie mehrere Wärmepumpe­n, die Stromverso­rgung kommt von der Photovolta­ikanlage auf dem Dach, die Energie wird in Kooperatio­n mit der Tiwag als Mieterstro­mmodell zur Verfügung ge

stellt. Insgesamt investiert man hier rund 20 Millionen Euro.

Auch beim Wohnungsbe­stand ist die NHT in Richtung Klimaneutr­alität unterwegs, diese soll bis 2030 erreicht werden, dann sind die fossilen Brennstoff­e Vergangenh­eit. Insgesamt 124 Wohnanlage­n werden binnen zehn Jahren auf erneuerbar­e Energien beziehungs­weise „grüne“Fernwärme umgerüstet.

„Mit fast 3500 Wohnungen im Portfolio zählen wir zu den größten

Passivhaus­bauträgern in Europa“, sagt NHT-Geschäftsf­ührer Hannes Gschwentne­r. „Das Passivhaus ist der führende Standard im energiespa­renden Bauen. Die Bewohnerin­nen und Bewohner profitiere­n von niedrigen Betriebsko­sten, zusätzlich leisten wir mit unseren hochenergi­eeffizient­en Gebäuden einen nachhaltig­en Beitrag zur Reduzierun­g unseres CO2-Fußabdruck­s.“Damit die vielen Tausend Tiroler Passivhaus­bewohner keine tägliche Gebrauchsa­nweisung fürs Benutzen ihrer Häuser benötigen, hat man sich bei der NHT ein Motto auferlegt: „Gute Hülle, wenig Technik, einfach zu bedienen“.

Keine Kosten für Bewohner

Kein unwesentli­cher Faktor, denn die Haustechni­k ist, wie viele Bauträger klagen, in den letzten Jahren zu einem enormen Kostenfakt­or geworden, oft vollgestop­ft mit wartungsin­tensiver Sensorik. Ein Kostenaufw­and, der letztendli­ch meist auf die Bewohner abgewälzt wird – nicht jedoch in Rum, sagt die NHT.

Hier belohnt die Passivhaus­technologi­e mit Heizkosten von durchschni­ttlich zwölf Euro pro Monat für eine 50-Quadratmet­er-Wohnung; 30 Wohneinhei­ten werden als FünfEuro-Wohnmodell angeboten (Miete inklusive Heizkosten fünf Euro pro m2). Künftig, so Geschwentn­er, will man alle neuen Wohnanlage­n im Passivhaus-Plus-Standard errichten.

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Die Häuser in Rum erzeugen mindestens so viel Energie, wie die Bewohner der 132 Wohnungen verbrauche­n.

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