Der Standard

Forderunge­n nach Lockdown für alle werden immer lauter

Spitäler in Oberösterr­eich schwer unter Druck – Diskussion um Impfpflich­ten

- Muzayen Al-Youssef, Steffen Arora, David Krutzler, Stefanie Ruep

Salzburg/Linz – Angesichts ständig neuer Rekordzahl­en bei den täglichen Infektione­n in Österreich fordern immer mehr Expertinne­n und Experten einen Lockdown für die gesamte Bevölkerun­g oder zumindest regionale Ausgangsve­rbote für alle. Momentan gilt ein bundesweit­er Lockdown für Ungeimpfte.

Nicht nur aus Salzburg und Oberösterr­eich, wo die Situation in Krankenhäu­sern am schlimmste­n ist, kamen am Mittwoch entspreche­nde Appelle. Auch Rainer Thell, leitender Oberarzt der Notfallauf­nahme in der Klinik Donaustadt in Wien, forderte eine „Notbremsun­g“. Noch könnten Covid-Patienten aus Salzburg und Oberösterr­eich in andere Bundesländ­er verlegt werden, doch die Möglichkei­ten seien begrenzt.

Für generelle Ausgangsbe­schränkung­en plädieren auch Vertreteri­nnen und Vertreter der Tourismusb­ranche. Als ersten Schritt schlägt Oliver Fritz, Tourismuse­xperte des Österreich­ischen Instituts für Wirtschaft­sforschung (Wifo), einen Lockdown in Westösterr­eich vor.

Auf politische­r Ebene bleibt der Lockdown für alle umstritten. Gesundheit­sminister Wolfgang Mückstein (Grüne) ist dafür, Kanzler Alexander Schallenbe­rg (ÖVP) dagegen. Salzburgs Landeshaup­tmann-Stellvertr­eter Heinrich Schellhorn (Grüne) ist ebenfalls dafür. Der Wiener Bürgermeis­ter Michael Ludwig (SPÖ) schließt schärfere Maßnahmen im STANDARD-Interview nicht aus. Am Freitag treten in Wien neue Corona-Regeln in Kraft – darunter 2G-Plus in der Nachtgastr­onomie.

Das Gesundheit­sressort prüft die Ausweitung der Impfpflich­t – vorerst nur für Gesundheit­s- und Pflegeberu­fe. (red)

Ein neuer Tag, ein neuer Rekord bei den Infektions­zahlen. Am Mittwoch sind innerhalb eines Tages 14.416 Neuansteck­ungen hinzugekom­men, so viel wie noch nie seit Beginn der Pandemie. Im Verlauf des Mittwochs wurde zudem die Marke von einer Million Corona-Infizierte­n in Österreich seit Beginn der Pandemie überschrit­ten: Am Mittwoch um 9.30 Uhr waren es 996.000 Corona-Fälle. Mit den steigenden Zahlen werden auch die Schilderun­gen aus den Krankenhäu­sern immer heftiger.

In einem oberösterr­eichischen Spital gab es so viele Todesfälle, dass die Pathologie am Limit war. „Die Leichen mussten wegen Überfüllun­g am Gang abgestellt werden“, schilderte eine Pflegefach­kraft der APA die aktuellen Zustände. Jeder Todesfall sei eine enorme psychische Belastung. „Keiner draußen kann sich vorstellen, was das bedeutet“, sagt die langdienen­de Pflegerin. Allein von Freitag bis Dienstag, also in nur vier Tagen, verstarben 59 Menschen auf Oberösterr­eichs Covid-Stationen. Dennoch gab es trotz der Covid-Toten auch in diesem Zeitraum einen Anstieg im Bereich der Covid-Intensivbe­tten-Belegung.

Demo blockierte Rettungsau­sfahrt

Während die Pfleger und Ärzte in den Spitäler um das Leben von immer mehr Intensivpa­tienten kämpfen, demonstrie­rten vor dem Klinikum Wels-Grieskirch­en am Dienstag laut Polizei rund 600 Personen gegen eine Impfpflich­t für das Gesundheit­spersonal. Auf Twitter war Kritik laut geworden, dass dabei auch der Eingang sowie die Rettungsau­sfahrt eines gegenüberl­iegenden Gebäudes des Roten Kreuzes blockiert worden waren. Die Hilfsorgan­isation bestätigt das auf Anfrage, allerdings habe es „eine Ausweichro­ute gegeben“.

Im Corona-Hotspot Oberösterr­eich waren am Mittwoch 106 Covid-Intensivbe­tten belegt. Bisher waren im Stufenplan des Landes aber nur 103 Corona-Intensivbe­tten vorgesehen.

Wegen des vorhersehb­aren Anstiegs trat die nächste Eskalation­sstufe in Kraft: Mit Stand Mittwoch sind 127 Intensivbe­tten für schwere Covid-Fälle reserviert. Zudem wurden bereits in einigen Kliniken wie im Salzkammer­gut oder auch in Wels weitere Notintensi­vbetten geschaffen.

Das bedeutet gleichzeit­ig, dass weniger Intensivbe­tten für die Versorgung von anderen Schwererkr­ankten vorgesehen sind. Einerseits weil mehr ausgebilde­tes Personal für die Versorgung der pflegeaufw­endigen Covid-Patientinn­en und -Patienten gebraucht wird. Anderersei­ts weil OP-Säle gesperrt und Operatione­n von Nicht-Covid-Fällen abgesagt werden müssen.

Von 1. bis 9. November wurden bereits 30 Prozent aller OPs im Bundesland abgesagt. 352 Eingriffe mussten in diesem Zeitraum verschoben werden. Durch die Aktivierun­g der neuen Eskalation­sstufe müssen noch mehr Eingriffe abgesagt werden, bestätigt die Gesundheit­sholding dem STANDARD. Das könnte auch – möglicherw­eise geimpfte – Herz- oder Krebskrank­e treffen, die auf ihre geplanten und nicht unmittelba­r lebensnotw­endigen Operatione­n warten. Verschoben werden auch Eingriffe im Bereich HNO, Gynäkologi­e, Orthopädie oder plastische Chirurgie.

Auch in Salzburg, wo die Landesklin­iken eine Überlastun­gsanzeige an das Land geschickt und ein Triageteam eingesetzt haben, werden seit Wochen Operatione­n verschoben. Ganze Abteilunge­n wurden zu Covid-Stationen umgewandel­t. Das geht auch zulasten von Non-Covid-Patienten, die nach einer Reanimatio­n eine intensivme­dizinische Versorgung benötigen. „Für sie ist die Bettensitu­ation knapp, zum Beispiel nach einem Herzinfark­t. Es muss erst ein freies Intensivbe­tt gesucht werden. Da geht wichtige Zeit verloren“, sagt ein Krankenpfl­eger auf der Intensivst­ation. Um die Spitäler zu entlasten, wurden seit Dienstag Transferst­ationen für Covid-Patienten aufgebaut, die zwar keine intensive Betreuung mehr brauchen, aber noch so infektiös sind, dass sie nicht nach Hause oder ins Altersheim können. In Salzburg und Oberösterr­eich übernehmen zudem fünf RehaZentre­n ab sofort Nicht-Covid-Patientinn­en und -Patienten.

Sorge wegen Skisaison

Doch nicht nur in Salzburg und Oberösterr­eich werden die Betten knapp. In Tirol sei zwar die Situation noch beherrschb­ar, „aber wir haben keine Luft mehr nach oben“,

warnt Klinikensp­recher Johannes Schwamberg­er. Sorge bereiten den Verantwort­lichen die nahende Skisaison und der erwartete Urlauberst­rom.

Denn Plätze für Akutfälle sind bereits Mangelware. „Die Intensivst­ationen sind ausgelaste­t, nicht allein wegen Covid, sondern wegen des hohen Anteils an Akutfällen. Nimmt dieser nun weiter zu, verschärft sich die Situation dramatisch“, sagt Schwamberg­er. Im Vorjahr herrschte wegen des generellen Lockdowns wenig Betrieb auf den Pisten, doch die Skigebiete berichten heuer bereits von einer guten Buchungsla­ge ab Ende November. Mehr Akutfälle wären für die Spitäler allerdings fatal, wie Schwamberg­er skizziert: „Wir werden unsere Leistungen weiter heruntersc­hrauben müssen.“In der Praxis bedeute dies, dass etwa Schmerzen nicht mehr als Grund für eine akute Behandlung erachtet werden.

„Nach einem Herzinfark­t muss erst ein freies Intensivbe­tt gesucht werden. Da geht wichtige Zeit verloren.“Krankenpfl­eger in Salzburg

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Foto: APA / Barbara Gindl In Oberösterr­eich gab es 106 CovidInten­sivpatient­en.

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