Forderungen nach Lockdown für alle werden immer lauter
Spitäler in Oberösterreich schwer unter Druck – Diskussion um Impfpflichten
Salzburg/Linz – Angesichts ständig neuer Rekordzahlen bei den täglichen Infektionen in Österreich fordern immer mehr Expertinnen und Experten einen Lockdown für die gesamte Bevölkerung oder zumindest regionale Ausgangsverbote für alle. Momentan gilt ein bundesweiter Lockdown für Ungeimpfte.
Nicht nur aus Salzburg und Oberösterreich, wo die Situation in Krankenhäusern am schlimmsten ist, kamen am Mittwoch entsprechende Appelle. Auch Rainer Thell, leitender Oberarzt der Notfallaufnahme in der Klinik Donaustadt in Wien, forderte eine „Notbremsung“. Noch könnten Covid-Patienten aus Salzburg und Oberösterreich in andere Bundesländer verlegt werden, doch die Möglichkeiten seien begrenzt.
Für generelle Ausgangsbeschränkungen plädieren auch Vertreterinnen und Vertreter der Tourismusbranche. Als ersten Schritt schlägt Oliver Fritz, Tourismusexperte des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (Wifo), einen Lockdown in Westösterreich vor.
Auf politischer Ebene bleibt der Lockdown für alle umstritten. Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) ist dafür, Kanzler Alexander Schallenberg (ÖVP) dagegen. Salzburgs Landeshauptmann-Stellvertreter Heinrich Schellhorn (Grüne) ist ebenfalls dafür. Der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) schließt schärfere Maßnahmen im STANDARD-Interview nicht aus. Am Freitag treten in Wien neue Corona-Regeln in Kraft – darunter 2G-Plus in der Nachtgastronomie.
Das Gesundheitsressort prüft die Ausweitung der Impfpflicht – vorerst nur für Gesundheits- und Pflegeberufe. (red)
Ein neuer Tag, ein neuer Rekord bei den Infektionszahlen. Am Mittwoch sind innerhalb eines Tages 14.416 Neuansteckungen hinzugekommen, so viel wie noch nie seit Beginn der Pandemie. Im Verlauf des Mittwochs wurde zudem die Marke von einer Million Corona-Infizierten in Österreich seit Beginn der Pandemie überschritten: Am Mittwoch um 9.30 Uhr waren es 996.000 Corona-Fälle. Mit den steigenden Zahlen werden auch die Schilderungen aus den Krankenhäusern immer heftiger.
In einem oberösterreichischen Spital gab es so viele Todesfälle, dass die Pathologie am Limit war. „Die Leichen mussten wegen Überfüllung am Gang abgestellt werden“, schilderte eine Pflegefachkraft der APA die aktuellen Zustände. Jeder Todesfall sei eine enorme psychische Belastung. „Keiner draußen kann sich vorstellen, was das bedeutet“, sagt die langdienende Pflegerin. Allein von Freitag bis Dienstag, also in nur vier Tagen, verstarben 59 Menschen auf Oberösterreichs Covid-Stationen. Dennoch gab es trotz der Covid-Toten auch in diesem Zeitraum einen Anstieg im Bereich der Covid-Intensivbetten-Belegung.
Demo blockierte Rettungsausfahrt
Während die Pfleger und Ärzte in den Spitäler um das Leben von immer mehr Intensivpatienten kämpfen, demonstrierten vor dem Klinikum Wels-Grieskirchen am Dienstag laut Polizei rund 600 Personen gegen eine Impfpflicht für das Gesundheitspersonal. Auf Twitter war Kritik laut geworden, dass dabei auch der Eingang sowie die Rettungsausfahrt eines gegenüberliegenden Gebäudes des Roten Kreuzes blockiert worden waren. Die Hilfsorganisation bestätigt das auf Anfrage, allerdings habe es „eine Ausweichroute gegeben“.
Im Corona-Hotspot Oberösterreich waren am Mittwoch 106 Covid-Intensivbetten belegt. Bisher waren im Stufenplan des Landes aber nur 103 Corona-Intensivbetten vorgesehen.
Wegen des vorhersehbaren Anstiegs trat die nächste Eskalationsstufe in Kraft: Mit Stand Mittwoch sind 127 Intensivbetten für schwere Covid-Fälle reserviert. Zudem wurden bereits in einigen Kliniken wie im Salzkammergut oder auch in Wels weitere Notintensivbetten geschaffen.
Das bedeutet gleichzeitig, dass weniger Intensivbetten für die Versorgung von anderen Schwererkrankten vorgesehen sind. Einerseits weil mehr ausgebildetes Personal für die Versorgung der pflegeaufwendigen Covid-Patientinnen und -Patienten gebraucht wird. Andererseits weil OP-Säle gesperrt und Operationen von Nicht-Covid-Fällen abgesagt werden müssen.
Von 1. bis 9. November wurden bereits 30 Prozent aller OPs im Bundesland abgesagt. 352 Eingriffe mussten in diesem Zeitraum verschoben werden. Durch die Aktivierung der neuen Eskalationsstufe müssen noch mehr Eingriffe abgesagt werden, bestätigt die Gesundheitsholding dem STANDARD. Das könnte auch – möglicherweise geimpfte – Herz- oder Krebskranke treffen, die auf ihre geplanten und nicht unmittelbar lebensnotwendigen Operationen warten. Verschoben werden auch Eingriffe im Bereich HNO, Gynäkologie, Orthopädie oder plastische Chirurgie.
Auch in Salzburg, wo die Landeskliniken eine Überlastungsanzeige an das Land geschickt und ein Triageteam eingesetzt haben, werden seit Wochen Operationen verschoben. Ganze Abteilungen wurden zu Covid-Stationen umgewandelt. Das geht auch zulasten von Non-Covid-Patienten, die nach einer Reanimation eine intensivmedizinische Versorgung benötigen. „Für sie ist die Bettensituation knapp, zum Beispiel nach einem Herzinfarkt. Es muss erst ein freies Intensivbett gesucht werden. Da geht wichtige Zeit verloren“, sagt ein Krankenpfleger auf der Intensivstation. Um die Spitäler zu entlasten, wurden seit Dienstag Transferstationen für Covid-Patienten aufgebaut, die zwar keine intensive Betreuung mehr brauchen, aber noch so infektiös sind, dass sie nicht nach Hause oder ins Altersheim können. In Salzburg und Oberösterreich übernehmen zudem fünf RehaZentren ab sofort Nicht-Covid-Patientinnen und -Patienten.
Sorge wegen Skisaison
Doch nicht nur in Salzburg und Oberösterreich werden die Betten knapp. In Tirol sei zwar die Situation noch beherrschbar, „aber wir haben keine Luft mehr nach oben“,
warnt Klinikensprecher Johannes Schwamberger. Sorge bereiten den Verantwortlichen die nahende Skisaison und der erwartete Urlauberstrom.
Denn Plätze für Akutfälle sind bereits Mangelware. „Die Intensivstationen sind ausgelastet, nicht allein wegen Covid, sondern wegen des hohen Anteils an Akutfällen. Nimmt dieser nun weiter zu, verschärft sich die Situation dramatisch“, sagt Schwamberger. Im Vorjahr herrschte wegen des generellen Lockdowns wenig Betrieb auf den Pisten, doch die Skigebiete berichten heuer bereits von einer guten Buchungslage ab Ende November. Mehr Akutfälle wären für die Spitäler allerdings fatal, wie Schwamberger skizziert: „Wir werden unsere Leistungen weiter herunterschrauben müssen.“In der Praxis bedeute dies, dass etwa Schmerzen nicht mehr als Grund für eine akute Behandlung erachtet werden.
„Nach einem Herzinfarkt muss erst ein freies Intensivbett gesucht werden. Da geht wichtige Zeit verloren.“Krankenpfleger in Salzburg