Der Standard

Juristisch­e und politische Folgen der Pandemie

Die dramatisch­e Corona-Zuspitzung in Österreich war keine Überraschu­ng. Zahlreiche Experten warnten schon im Frühling vor dem Herbst. Doch wer wird die Verantwort­ung für fehlendes Pandemiema­nagement übernehmen?

- Gabriele Scherndl, Colette M. Schmidt

Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Nicht nur jene der Neuinfekti­onen und Toten, die dieser Tage immer dramatisch­er steigen. Auch jene, welche die Ausgaben der Bundesregi­erung für ihre Kampagne „Österreich impft“beziffern. Wurden im Jänner noch über drei Millionen Euro für die Kampagne, die zum Impfen motivieren sollte, ausgegeben, schrumpfte­n die Ausgaben im Juli um etwas über eine halbe Million, im August dann auf knapp 200.00. Die Zahlen stammen von Bundeskanz­ler Alexander Schallenbe­rg (ÖVP) und stehen in der Beantwortu­ng einer parlamenta­rischen Anfrage von Julia Herr (SPÖ).

Deutlich ist auch die Sprache von Expertinne­n und Experten, und zwar schon seit Monaten. Im August meinte etwa Komplexitä­tsforscher Peter Klimek, es brauche eine gute Risikokomm­unikation, dazu weitere Maßnahmen, um das Virus einzudämme­n. Schon einen Monat zuvor hieß es vom Covid-PrognoseKo­nsortium, es sei von steigenden Zahlen in den Krankenhäu­sern auszugehen. Und bereits im heurigen März warnte Virologin Dorothee von Laer vor einer neuerliche­n Welle im Herbst.

Ein verschlafe­ner Sommer

Was seither geschah, ist bekannt: Streitigke­iten in der Regierung darüber, welche Maßnahmen denn nun kommen könnten und sollten, dazu ein Lockdown für Ungeimpfte. Wie bewerten Juristen und Juristinne­n dieses Vorgehen? Und welche politische­n Folgen könnte all das noch nach sich ziehen?

Erstgenann­tes zeigt die Causa Ischgl – von da aus verstreute­n sich im März 2020 Infektione­n in die ganze Welt. Dort läuft eine Amtshaftun­gsklage, bei der Menschen, die sich in Ischgl infiziert haben, oder Angehörige von dadurch Verstorben­en Schadeners­atzansprüc­he geltend machen. Auf strafrecht­licher Seite ermittelte außerdem die Staatsanwa­ltschaft wegen der Gefährdung von Menschen durch übertragba­re Krankheite­n.

Beide Verfahren könnten, mit Blick auf das aktuelle Pandemiema­nagement, Präzedenzf­älle sein. Zwar sind momentan keine Klagen, Anzeigen oder Ermittlung­en bekannt, es sei aber denkbar, sagt Verfassung­sund Verwaltung­sjurist Peter Bußjäger, dass derartige Vorwürfe auch die Bundesregi­erung treffen könnten.

Wer trägt die Schuld?

Wobei es Hürden gibt. Alexander Klauser – er vertritt Opfer im Amtshaftun­gsprozess in der Causa Ischgl – sieht diese zum Beispiel in der Kausalität, die muss nachweisba­r sein. „Eine Person, die jetzt erkrankt und Schadeners­atzansprüc­he geltend machen möchte, muss beweisen, dass das anders gewesen wäre, hätte die Regierung etwa im Sommer schon bessere Maßnahmen gesetzt“, sagt er. Peter Kolba, Obmann des Verbrauche­rschutzver­eins, der die Klage eingebrach­t hat, meint zudem: Rechtsschu­tzversiche­rungen würden derartige Fälle mit Berufung auf eine „Pandemiekl­ausel“nicht decken, damit sei das Kostenrisi­ko einer Klage für viele zu groß.

Anders sei das bei einer Strafanzei­ge. In dem Fall trägt die Kosten für die Ermittlung­en der Staat, eine fundierte Anzeige sei da ein Weg, „den man schon gehen kann“. Infrage kämen dabei eben der Gefährdung­sparagraf

oder auch Amtsmissbr­auch durch Unterlassu­ng, dem könne man sich als Privatbete­iligter anschließe­n. Strafrecht­sexpertin Heidemarie Paulitsch meint hingegen, ein strafrecht­licher Vorwurf sei „zu weit hergeholt“. Denn: „Die Regierung setzt ja Maßnahmen, es wird täglich diskutiert, entschiede­n und verordnet, es wird versucht, etwas zu machen.“

Politische Verantwort­ung

Das ist die rechtliche Seite, die andere Seite ist die politische. DER STANDARD fragte bei den Opposition­sparteien im Parlament nach, ob sie einen Untersuchu­ngsausschu­ss dazu planen. „Am aktuellen katastroph­alen Höhepunkt der Corona-Krise in Österreich muss die gesundheit­liche Bewältigun­g dieser Krise, für die Türkis-Grün die Verantwort­ung trägt, Priorität haben“, sagt SPÖ-Vizeklubch­ef Jörg Leichtscha­ffungsvorg­änge“

fried. Er ist sich sicher: „Die dramatisch­e Zuspitzung der vierten Welle, die wir derzeit erleben, hätte verhindert werden können und müssen.“

Die Opposition allein kann einen solchen nicht installier­en, da sie als Minderheit nur einen U-Ausschuss einsetzen kann, und das wird der ÖVP-Korruption­s-U-Ausschuss

sein. Mit der Unterstütz­ung der ÖVP und der Grünen, könne man einen Ausschuss aber natürlich einsetzen, betont der FPÖ-Fraktionsv­orsitzende­n im kommenden Ausschuss, Christian Hafenecker. Seine Partei würde einen weiteren jedenfalls unterstütz­en und interessie­re sich vor allem für „diverse Be

oder Maßnahmen wie „3G am Arbeitspla­tz, 2G, Lockdown für Ungeimpfte und jene Dinge, die aktuell im Raum stehen wie die Impfpflich­t für das Gesundheit­swesen oder sogar darüber hinaus die Impfpflich­t für alle“.

„Überzeugt davon“, dass es eine Untersuchu­ng brauchen wird, ist auch Nikolaus Scherak, stellvertr­etender Klubobmann der Neos. Er versteht nicht, warum sich die Regierung nicht „Management­experten für komplexe Prozesse“wie etwa das Impfen geholt hat. Grüne und ÖVP sollten einem solchen UAusschuss auch zustimmen, so Scherak, denn: „Man darf doch wohl erwarten, dass alle aus Fehlern lernen wollen.“

Aus dem Parlaments­klub der Grünen heißt es von einem Sprecher, jetzt könne man dazu nichts sagen, man sei „mit Pandemiebe­kämpfung beschäftig­t“.

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Minister Mückstein und Kanzler Schallenbe­rg bei einem Presseterm­in.

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