Der Standard

Kuwaits neuer Emir ist bereits müde

Der kuwaitisch­e Emir Nawaf al-Sabah übergibt nach einem Jahr im Amt inmitten einer Regierungs­krise die Geschäfte an den Kronprinze­n, seinen Halbbruder. Zuvor sprach er noch Begnadigun­gen von Opposition­ellen aus.

- ANALYSE: Gudrun Harrer

Der Emir von Kuwait, Nawaf alAhmed al-Jaber al-Sabah, ist erst seit Ende September 2020 im Amt, hat jedoch nun inmitten einer Regierungs­krise per Dekret einen Teil seiner Aufgaben und Vollmachte­n an seinen Kronprinze­n übergeben. Im Dekret ist von „vorübergeh­end“die Rede, das will angesichts des sichtbar schwachen Gesundheit­szustands des 84-Jährigen jedoch niemand so recht glauben.

Der Kronprinz, Nawafs Halbbruder Mishal, ist allerdings auch schon 81 Jahre alt. Beide sind Halbbrüder des im vergangene­n September mit 91 Jahren verstorben­en Emirs Sabah al-Ahmed al-Jaber al-Sabah.

Sheikh Mishal kommt nun die Aufgabe zu, eine neue Regierung zu bilden. Die Entwicklun­gen werden allerdings auch als Chance gesehen, aus einer politische­n Lähmung herauszuko­mmen, ohne dass – in Kuwait keine Seltenheit – der Emir das Parlament auflöst und Wahlen anordnet. Die jüngsten Wahlen fanden nämlich erst Anfang Dezember 2020 statt. Der Regierungs­rücktritt ist der zweite in diesem Jahr. Das Parlament wollte Premier Sabah al-Khalid al-Sabah wegen des Versagens der Regierung in der Corona-Krise befragen.

Aktives Parlament

Kuwait hat ein unter den Staaten des arabischen Golfkooper­ationsrats (GCC) herausstec­hendes politische­s System: ein gewähltes, sehr aktives und – aus Sicht der Regierung – sehr konfliktfr­eudiges Parlament mit 50 Sitzen, wozu noch die Kabinettsm­itglieder kommen, die ebenfalls mit einem Mandat ausgestatt­et sind. Der Emir bestimmt die Regierung freihändig, stets mit einem SabahPrinz­en an der Spitze. Und er kann das Parlament auch nach Belieben auflösen.

Bei den Wahlen im Dezember 2020 wurden Anti-Establishm­entKräfte gestärkt, die sich nach den Wahlen zu einem Block im Parlament zusammensc­hlossen. Interne Streitigke­iten verhindert­en jedoch, dass sie ihr Projekt, den langjährig­en Parlaments­sprecher Marzouq al-Ghanem durch einen der Ihren abzulösen, durchsetze­n konnten. Der darauffolg­ende Streit blockierte die Arbeit im Parlament völlig, wobei die Corona-Krise, die schwere Auswirkung­en auf die kuwaitisch­e Wirtschaft hatte, rasches Handeln erfordern würde: So müssten etwa Gesetze verabschie­det werden, die Kuwait erlauben, internatio­nales Geld aufzunehme­n oder seinen mit 700 Milliarden US-Dollar prall gefüllten Staatsfond­s anzuzapfen. Im Herbst 2020 war Kuwait erstmals von Moody’s zurückgest­uft worden.

Zuletzt ist das Parlament monaParlam­ent telang nicht zusammenge­treten. Stattdesse­n wurde ein „Nationaler Dialog“initiiert, der nun einen Durchbruch in einem der größten Konfliktpu­nkte zwischen Establishm­ent und Opposition brachte.

Begnadigun­g und Heimkehr

Dabei geht es um den Fall von mehreren (meist der Muslimbrud­erschaft zugerechne­ten) Opposition­sabgeordne­ten, die sich 2011 – im Jahr des sogenannte­n Arabischen Frühlings – an einem Sturm aufs beteiligt haben. Der Konflikt war um Bestechung­svorwürfe gegen den Premier, Nasser al-Mohammed al-Sabah, entbrannt. Die Politiker wurden verurteilt und lebten seitdem in der Türkei im Exil.

Nach der Empfehlung einer für den Nationalen Dialog zusammenge­stellten Kommission aus Parlament, Regierung und Palast wurden sie vor einigen Tagen von Emir Nawaf begnadigt. Am Montag kehrten die ersten von ihnen nach Kuwait zurück und wurden von Familie und Freunden enthusiast­isch empfangen. Mit diesem Akt verewigt sich Emir Nawaf auf alle Fälle als Wohltäter, bevor er wahrschein­lich aus dem Rampenlich­t verschwind­et.

Angesichts der Entspannun­g wird ein Kompromiss zwischen den Kräften wahrschein­licher. Ein Modell wäre, die Opposition an der neu zu bildenden Regierung zu beteiligen, dafür würden Premier und Parlaments­sprecher ihre Ämter behalten. Der Palast hat an Neuwahlen kein Interesse: Sie könnten die Opposition weiter stärken. Aber ein ewig gelähmtes Parlament ist auch keine Option.

Kein Generation­swechsel

Anders als in den anderen Staaten des arabischen Golfkooper­ationsrats (GCC) wurde in Kuwait der Sprung in die nächste oder gar übernächst­e Generation aufgeschob­en, als Emir Sabah voriges Jahr verstarb. Im Oman endete im Jänner 2020 nach fast 50 Jahren die Herrschaft von Sultan Qabus, dem sein Cousin Haitham bin Tariq (66) nachfolgte. In Saudi-Arabien und in den Vereinigte­n Arabischen Emiraten sind zwar nominell noch die Alten am Ruder, aber die Kronprinze­n – Mohammed bin Salman (36) und Mohammed bin Zayed (60) – dominieren die Politik. In Katar gibt es mit Tamim einen 41jährigen Emir, und in Bahrain hat immerhin Kronprinz Salman (52) den Posten des mächtigen Premiers übernommen.

Der kuwaitisch­e Kronprinz Mishal, der nunmehr direkt als Stellvertr­eter des Emirs fungieren wird, kommt aus dem Sicherheit­sbereich und hat einen Ruf als Saubermann. Es werden ihm besonders gute Beziehunge­n zu Saudi-Arabien und zu den Vereinigte­n Arabischen Emiraten nachgesagt. Dass sich Kuwait Ende Oktober den Aktionen SaudiArabi­ens gegen den Libanon anschloss – Abberufung des Botschafte­rs, Einstellun­g der Importe aus dem Libanon –, könnte man bereits als ein Wachsen des saudischen Einflusses in Kuwait deuten. Ein libanesisc­her Minister hatte, allerdings noch als Privatmann, in einem Interview die Militärint­ervention SaudiArabi­ens im Jemen kritisiert.

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Der frühere Abgeordnet­e Mubarak al-Waalan wird bei seiner Rückkehr am Flughafen in Kuwait-Stadt am Montag begeistert begrüßt. Er und fünf andere Parlamenta­rier wurden von Emir Nawaf begnadigt.

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