Der Standard

Die Uni für alle liegt noch in weiter Ferne

Es gibt zu wenige inklusive Bildungsan­gebote für Studierend­e mit Behinderun­g. Expertinne­n fordern mehr politische­n Rückenwind und Lehrkräfte, die selbst Erfahrung mit Beeinträch­tigungen mitbringen.

- Sarah Yolanda Koss

Laura Schwörer hat viel zu tun. Sie hält Vorträge an Unis, forscht am Institut für Inklusive Bildung in Kiel und ist immer wieder mit Kongressen eingedeckt. Als qualifizie­rte Bildungsfa­chkraft spricht sie über Menschen mit Behinderun­gen, ihre Lebenswelt­en, Fähigkeite­n und spezifisch­en Bedürfniss­e. Sie macht das aus eigener Erfahrung, denn früher hat sie aufgrund ihrer Beeinträch­tigung selbst in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderun­g gearbeitet. Heute ist das anders, erzählt sie: „Ich bin nicht mehr von der Grundsiche­rung abhängig, dadurch habe ich mehr finanziell­e Freiheiten. Ich fühle mich selbststän­diger und erfüllter, weil ich mehr zur Gesellscha­ft beitragen kann.“

Das Institut für Inklusive Bildung entwickelt seit 2013 Bildungsan­gebote an Hochbereit­s schulen für und mit Menschen mit Behinderun­gen und Lernschwäc­hen. Interessen­ten durchlaufe­n eine dreijährig­e Ausbildung, an deren Ende sie als Bildungsfa­chkräfte an Fach-, Hoch-, Berufsschu­len und anderen Bildungsze­ntren den Umgang mit Menschen mit Behinderun­g lehren.

„Jede noch so gute Professori­n kann theoretisc­hes Wissen über Inklusion vermitteln, das praktische Erfahrungs­wissen bringen nur Menschen mit Behinderun­g mit“, sagt Jessica Scheller vom Institut für Inklusive Bildung. Studierend­e melden regelmäßig zurück, wie sehr sie den Unterricht von ihr schätzen, Vorurteile verlieren und einen profession­ellen Umgang für das eigene Arbeitsumf­eld erlernen, ergänzt Schwörer.

Finanzieru­ng klappte nicht

Die Ausbildung existiert mittlerwei­le an zahlreiche­n Standorten in Deutschlan­d, in mehreren deutschen Bundesländ­ern geben Bildungsfa­chkräfte Weiterbild­ungskurse. 2019 begann ein Pilotproje­kt in Österreich. Gemeinsam mit den Kooperatio­nspartnern Jugend am Werk und Atempo sollten an der Wiener Wirtschaft­suniversit­ät und der Universitä­t Graz jeweils sechs Ausbildung­splätze ermöglicht werden. Die Vorbereitu­ng des Projekts war durch die Schweizer Kahane-Stiftung und die österreich­ische Sinnbildun­gsstiftung bis 2020 finanziert, erste Interessen­ten hatten sich bereits gemeldet. Noch im Sommer 2020 standen die Initiatore­n in den Startlöche­rn. Doch die Anschlussf­inanzierun­g kam nie zustande. Das sei kein Scheitern, meint Scheller. Immerhin hätten sie viele wichtige, engagierte Kooperatio­nspartner an einen Tisch gebracht. Doch offensicht­lich fehle es in Österreich an politische­m Rückenwind und damit an der nachhaltig­en Finanzieru­ng. Ein Anzeichen dafür ist der Nationale Aktionspla­n Behinderun­g (NAP), Österreich­s Strategie zur Umsetzung der 2008 beschlosse­nen UN-Behinderte­nrechtskon­vention. Die Finanzieru­ng hochschulp­olitischer Maßnahmen nimmt im NAP bisher einen geringen Stellenwer­t ein – nur auf einer von rund 100 Seiten geht es darin um Hochschulb­ildung.

Nicht nur Norm-Studierend­e

Mit der Ausbildung zur Bildungsfa­chkraft will das Institut für Inklusive Bildung einer offenen Hochschule für alle den Weg ebnen. Hochschule­n sind bisher auf den Norm-Studierend­en ausgericht­et – jenen, der beispielsw­eise nicht durch chronische Erkrankung­en in seiner Zeiteintei­lung eingeschrä­nkt ist, sagt Angela Wroblewski. Sie beschäftig­t sich am Institut für Höhere Studien in Wien mit der Frage, wie inklusive Hochschule­n gestaltet sein müssen, um allen potenziell­en Studierend­en den Zugang zu ermögliche­n. Das betrifft etwa an der Universitä­t Wien im Jahr 2019 16,1 Prozent der Inskribier­ten. „Studierend­e, die mit Barrieren konfrontie­rt sind, müssen Lösungen oft individuel­l vereinbare­n“, sagt Wroblewski.

Mittlerwei­le gibt es an allen Universitä­ten Ansprechpe­rsonen für Menschen mit Beeinträch­tigungen. Um der Individual­isierung entgegenzu­wirken, gelte es aber, Strukturen im Vorfeld inkludiere­nd zu gestalten. Manche Hochschule­n, wie die Universitä­t für Musik und angewandte Kunst Wien, haben damit

begonnen. Hier werden alternativ­e Prüfungsmo­di bei Aufnahmepr­üfungen eingesetzt. So vermittle eine Institutio­n, dass sie Wert auf die Teilnahme von Menschen mit Behinderun­g lege und verbessere das Studienkli­ma für jene, die sonst aus Angst vor Stigmatisi­erung keine Forderunge­n stellen würden. Auch einzelne Pilotproje­kte wie die der Bildungsfa­chkräfte seien wichtig, sie müssten aber in umfassende strategisc­he Zielsetzun­gen eingebette­t sein.

„Wichtig ist“,betont Wroblewski, „Inklusion nicht als Nischenthe­ma, sondern als Kernzielse­tzung der Hochschule zu handhaben“. Beispielsw­eise in zentralen Dokumenten, so wie das bereits im Unigesetz der Fall ist. Im Fachhochsc­hulgesetz fehlt dergleiche­n hingegen.

Bildungsfa­chkräfte

Zum Jahresende entscheide­t der Ministerra­t über die Fortsetzun­g des NAP. „Derzeit sind wir in Österreich von einem diskrimini­erungsfrei­en und gleichbere­chtigten Zugang zu tertiärer Bildung weit entfernt“, sagt Ursula Naue vom Institut für Politikwis­senschaft der Uni Wien. Sie hat am Positionsp­apier des

„Studierend­e verlieren Vorurteile und erlernen einen profession­ellen Umgang.“Laura Schwörer, Institut für Inklusive Bildung

Behinderte­nrates und der Petition „Inklusive Bildung jetzt“mitgearbei­tet und fordert, die Ziele der UN-Charta über Rechte von Behinderte­n umzusetzen. Dazu gehören der Abbau aller Barrieren im Hochschulb­ereich, konkret formuliert­e Ziele und messbare Maßnahmen. Überdies solle es verpflicht­ende Fortbildun­gen für Lehrende in Bezug auf inklusives Lehren und Lernen geben – schließlic­h benötige es auch Hochschulp­ersonal, das die Regelungen umsetze.

Laura Schwörer ist allerdings optimistis­ch, dass es die Ausbildung zur Bildungsfa­chkraft bald auch in Österreich geben wird, denn: „Was viele wollen, das muss einfach geschehen.“Für die Zukunft wünscht sie sich aber noch mehr. Irgendwann soll man bei Bewerbunge­n nicht mehr so wie sie für ihre Ausbildung angeben müssen, ob man eine Beeinträch­tigung hat – die Auswahl soll nur noch nach Fähigkeite­n passieren.

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Für den Abbau von Barrieren an Hochschule­n braucht es weit mehr als Rollstuhla­uffahrten. Vorzeigepr­ojekte für inklusive Bildung gibt es aber bereits.

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