Der Standard

Von Verpflicht­ungen und Verständni­ssen

Mit seiner Festlegung, den ÖVP-Korruption­s-U-Ausschuss zu leiten, zeigt der Nationalra­tspräsiden­t ein bemerkensw­ertes Amtsverstä­ndnis. Rechtlich wären Alternativ­en möglich.

- Alexandra Schrefler-König, David Loretto

Noch ist der ÖVP-Korruption­sU-Ausschuss nicht eingesetzt – schon ist eine Debatte aus dem Ibiza-Untersuchu­ngsausschu­ss prolongier­t: Wer führt den Vorsitz?

Dass der Nationalra­tspräsiden­t, wie er kürzlich in einem Interview sagte, „gesetzlich verpflicht­et“sei, den Vorsitz im U-Ausschuss zu übernehmen, wurde zwischenze­itlich medial auf Basis der Verfahrens­ordnung für U-Ausschüsse zutreffend widerlegt. Die Verpflicht­ung des Nationalra­tspräsiden­ten beschränkt sich darauf, über die Vorsitzfüh­rung und das Ausmaß seiner Stellvertr­etung zu entscheide­n. Im Gegensatz zum allgemeine­n Aufgabenbe­reich des Präsidente­n nach dem Geschäftso­rdnungsges­etz fordert die Verfahrens­ordnung als Lex specialis auch keinerlei Vorliegen von Verhinderu­ngsgründen. So weit, so klar.

Von einer in Stein gemeißelte­n gesetzlich­en Verpflicht­ung zur Vorsitzfüh­rung dürfte der Präsident bis vor kurzem auch selbst gar nicht ausgegange­n sein. Erst vor wenigen Wochen ließ er über seinen Sprecher ausrichten, er habe sich noch nicht festgelegt. „Der Geschäftso­rdnungsaus­schuss wird über die Einsetzung beraten, und der Präsident wird über weitere Fragen zu gegebener Zeit entscheide­n“, hieß es da.

Infolgedes­sen sprachen sich vier von fünf Fraktionen gegen dessen Vorsitzfüh­rung aus. Eine Tatsache, die der Präsident durch seine nunmehrige Festlegung, die Vorsitzfüh­rung zu übernehmen, negiert. Rechtlich ist dies möglich. Die Entscheidu­ng, den Vorsitz abzutreten, liegt in seinem Ermessen. Tatsächlic­h geht es in der aktuellen Vorsitzdeb­atte weniger um juristisch­e Fragestell­ungen – diese werden vom Gesetz klar beantworte­t und sind erprobt. Vielmehr geht es um die Frage der Handhabung der geltenden Regeln. Und diese hängt wiederum vom konkreten Amtsverstä­ndnis des Nationalra­tspräsiden­ten ab.

Notwendige­r Konsens

Es ist Praxis, dass der stimmenstä­rksten Partei das Nominierun­gsrecht für den Nationalra­tspräsiden­ten zukommt. Ungeachtet der sich daraus ergebenden politische­n Zuordnung der Person wird an die Ausübung dieses hohen Amtes – vergleichb­ar mit jenem des Bundespräs­identen – ein besonderer Sorgfaltsm­aßstab abseits jeglicher Parteipoli­tik gelegt. Denn das Amt des Präsidente­n dient nicht einzelnen Parteiinte­ressen, sondern dem Nationalra­t, als dessen oberstes Organ er agiert. Dazu zählen vor allem die Wahrung der Würde, der Rechte und Aufgaben des Nationalra­tes.

Auch wenn bestimmte Entscheidu­ngen – wie die Vorsitzfra­ge im UAusschuss – dem Präsidente­n persönlich obliegen, spielt dennoch die tragende und zentrale Rolle im parlamenta­rischen Verfahren der Konsensged­anke. Dieser wird an den unterschie­dlichsten Stellen des Geschäftso­rdnungsges­etzes deutlich, und auch in der Verfahrens­ordnung für U-Ausschüsse findet sich diese Leitlinie des Parlamenta­rismus ausdrückli­ch wieder: In allen Verfahrens­fragen soll nach Möglichkei­t das Einvernehm­en der Fraktionen hergestell­t werden. Faktum ist, dass sich vier von fünf Fraktionen des Parlaments gegen eine Vorsitzfüh­rung des amtierende­n Präsidente­n im U-Ausschuss ausspreche­n. Nicht zum ersten Mal.

Vor diesem Hintergrun­d bleibt das Ausmaß, in dem der Nationalra­tspräsiden­t

seine nunmehrige Einzelents­cheidung vor den Grundgedan­ken des größtmögli­chen Einvernehm­ens stellt, ein Novum bemerkensw­erter Kontinuitä­t.

In Zusammenha­ng mit der Frage des Amtsverstä­ndnisses ist auch zu berücksich­tigen, dass Unabhängig­keit und Objektivit­ät der Vorsitzfüh­rung ein zentrales Anliegen der neuen Verfahrens­ordnung für U-Ausschüsse darstellt. Ganz bewusst hat der Gesetzgebe­r den Vorsitz im U-Ausschuss mit dem Amt des vom Nationalra­t mit Mehrheit gewählten Präsidente­n beziehungs­weise dem Nationalra­tspräsidiu­m verbunden, zuallerers­t aufgrund der mit dem Amt verbundene­n Distanz zu parteipoli­tischen Agenden. Und es wurde bewusst kein Richter zum Vorsitzend­en des U-Ausschusse­s gemacht, als deutliches Zeichen für eine lebendige selbstbewu­sste Demokratie. Zugleich wurde – ergänzend zum bestehende­n Verfahrens­anwalt – die Position des Verfahrens­richters als juristisch­er Berater eingeführt sowie für bestimmte Rechtsfrag­en externe Streitschl­ichtungsst­ellen (Verfassung­sgerichtsh­of, Bundesverw­altungsger­icht, Volksanwal­tschaft) vorgesehen.

Genau hinschauen

Das Amtsverstä­ndnis ist nicht zuletzt auch ausschlagg­ebend für die Frage, ob und inwieweit der U-Ausschuss die ihm verfassung­smäßig zu st ehen deKontroll tätigkeit entfalten kann. Im Zentrum der parlamenta­rischen Untersuchu­ng steht– wie auch vom Verfassung­s gerichtsho­f festgestel­lt–das Recht auf umfassende Selbst informatio­n des Parlaments. Dies hat die Pflicht der Abgeordnet­en zur Folge, überall dort genau hinzuschau­en, wo Informatio­nen vorhanden sein können, die zur Aufklärung der Vorgänge im Bereich der Bundes vollziehun­g geeignet sind. Was dabei zählt, sind ausschließ­lich die Inhalte–nicht deren Form oder der Übertragun­gsk anal. Mit„ Schlüssell­och mentalität“hat das nichts zu tun, denn es geht nicht um die Begutachtu­ng privater Lebens sachverhal­te, sondern ausschließ­lich darum, das Handeln und die Verantwort­ung der Organe der Bundes vollziehun­g aufzukläre­n.

Wie Verfahrens­regeln angewendet werden, ist letztlich eine Frage von Amts verständni­s und Verantwort­ungsbewuss­tsein .Eine diesbezügl­iche Bewertung obliegt in unserer Demokratie abschließe­nd dem Souverän. Dass die eigentlich­e Sache von Formal- oder Personalde­batten überschatt­et wird, erscheint jedenfalls nie zielführen­d. Die Vorsitzreg­elung hat sich auch dank der äußerst flexiblen Vertretung­smöglichke­iten gut bewährt. Eine Weiterentw­icklung des wichtigste­n parlamenta­rischen Kontrollin­struments erscheint dagegen etwa im Bereich der unmittelba­ren Öffentlich­keit, der Ausweitung der Kontrollmö­glichkeite­n der Volksvertr­etung auf (teil) privatisie­rte Bereiche des Staates, in denen Milliarden des Republiks vermögens verwaltet werden, sowieb eiden Dokumen tat ionsverpf lichtungen der Organe der Vollziehun­g, überlegens wert.

„Ich bin gesetzlich verpflicht­et, den Vorsitz des U-Ausschusse­s zu übernehmen.“Sobotka im „Kurier“

ALEXANDRA SCHREFLER-KÖNIG ist Büroleiter­in der Zweiten Präsidenti­n des Nationalra­tes Doris Bures.

DAVID LORETTO ist stellvertr­etender Büroleiter ebendort. Die beiden haben den Band „VO-UA – Verfahrens­ordnung für Parlamenta­rische Untersuchu­ngsausschü­sse“im Manz-Verlag veröffentl­icht.

 ?? ?? Opposition und Grüne wollen einen U-Ausschuss zur Umfragen- und Inseratena­ffäre einsetzen. Umstritten ist, wer den Vorsitz führen soll. Nationalra­tspräsiden­t Wolfgang Sobotka von der ÖVP sieht sich in der Pflicht.
Opposition und Grüne wollen einen U-Ausschuss zur Umfragen- und Inseratena­ffäre einsetzen. Umstritten ist, wer den Vorsitz führen soll. Nationalra­tspräsiden­t Wolfgang Sobotka von der ÖVP sieht sich in der Pflicht.

Newspapers in German

Newspapers from Austria