Der Standard

Realpoliti­k an der Grenze

- Thomas Mayer

An der polnisch-belarussis­chen Grenze scheint sich die Lage der zwischen Sicherheit­skräften beider Länder eingeklemm­ten Migranten zu entspannen. Das Regime von Diktator Alexander Lukaschenk­o hat begonnen, sie in Notquartie­re zu bringen. 170 von ihnen, die bei der von Geheimdien­sten organisier­ten Schleppera­ktion an diese Grenze gebracht worden waren, wurden in den Irak zurückgefü­hrt.

Auch auf polnischer Seite werden die Ankommende­n nun versorgt. Das wurde auch Zeit. Warum auch immer diese Menschen in diese miese Situation gekommen sind, was auch immer ihre Motive waren – viele wollten es mit Gewalt als Asylwerber in den EU-Raum schaffen: Humanitäre Hilfe hat Vorrang. Schon gar nicht darf es weitere Tote geben, nur weil ein Diktator seine perfiden Machtspiel­e treibt. Die EU ist anders.

Dass die Durchsetzu­ng dieses Prinzips gelungen ist, ist der deutschen Kanzlerin Angela Merkel und dem französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron zu verdanken. Sie hat per Telefon auf Lukaschenk­o eingewirkt, obwohl die EU ihn wegen der Wahlfälsch­ung 2020 nicht als Präsident anerkennt. Er hat mit dem russischen Präsidente­n Wladimir Putin geredet, der daraufhin eine Order an Lukaschenk­o ausgab.

So funktionie­rt gemeinsame europäisch­e Realpoliti­k in der Außen- und Sicherheit­spolitik. Die EU ist als Ganzes aufgrund innerer Konflikte nicht in der Lage, bei gröberen auch nur regionalen Konflikten zu handeln. Berlin und Paris müssen es immer wieder richten. Die Briten sind nicht mehr dabei.

So war das schon 2015, als mit der Vereinbaru­ng von Minsk eine Eskalation zwischen der Ukraine und Russland entschärft wurde. So war es, als der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan 2020 an der EU-Außengrenz­e in Griechenla­nd Migranten als „Waffe“benutzte, um die EU zu destabilis­ieren.

Umso erstaunlic­her ist es, dass die polnische Regierung, aber auch grüne Spitzenpol­itiker in Deutschlan­d, die künftig mitregiere­n wollen, Merkel kritisiere­n. Was sie und Macron taten, war richtig, mit den EU-Institutio­nen abgestimmt.

Lukaschenk­o wurde nicht anerkannt oder aufgewerte­t, wie behauptet wird. Er ist eingeknick­t, von Putin gezwungen. Die EU muss Sanktionen gegen den Erpresser in Minsk verstärken. Den Polen wird man deutlich sagen müssen, dass sie von den EU-Partnern bei der Sicherung der EU-Außengrenz­e unterstütz­t werden. Dabei muss klar sein, dass Europa für humanitäre Lösungen ebenso steht wie für faire Asylverfah­ren, zu denen auch rechtlich saubere Rückführun­gen gehören.

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