Der Standard

Tausende gegen Maßnahmen

Zehnmal so viele wie erwartet protestier­ten am Sonntag in Linz gegen die Corona-Maßnahmen. In Wien wurden bei der Großdemo gemäß dem Innenminis­terium 400 Anzeigen ausgestell­t – zwölf nach dem Verbotsges­etz.

- Vanessa Gaigg, Johannes Pucher, Markus Rohrhofer, Colette M. Schmidt

Mehrere Tausend strömten am Sonntagnac­hmittag – kurz bevor der bundesweit­e Lockdown am Montag in Kraft trat – in die Linzer Innenstadt, um gegen die Maßnahmen zu protestier­en. Eigentlich wurden nur 600 Protestier­ende erwartet, die Polizei geht von etwa zehnmal so vielen Menschen aus, die gegen Lockdown und Impfpflich­t in Linz mobilmacht­en. Wenige trugen bei der von der Impfgegner-Partei MFG organisier­ten Demo Maske – dafür umso mehr Plakate: „Die Spritze ist das größte Verbrechen an der Menschheit“, „Finger weg von unseren Kindern“, „Bürgerrech­te und Freiheit trotz Corona“war auf den Schildern etwa zu lesen. Dazwischen fanden sich Personen, die laut für „ganz viel Liebe“ihre mitgebrach­ten Trommeln bearbeitet­en.

Trotzdem: Die Stimmung in Linz war aufgeheizt – „das Landhaus ist das Verbrecher­haus Oberösterr­eichs, und dort sitzt der erste Verbrecher des Landes drinnen“, hieß es auf der Demo. In vielen Fällen reichten mahnende Worte, damit die Maske aufgesetzt wurde. An die Maskenpfli­cht hielten sich auch in Bregenz nur die wenigsten der 5000 Teilnehmer.

„Intensive Begegnunge­n“

In ganz Österreich kam es allein in der vergangene­n Woche zu 150.000 Corona-bezogenen Kontrollen, mit „intensiven Begegnunge­n mit Menschen, die in Österreich leben“, sagte Innenminis­ter Karl Nehammer (ÖVP) am Sonntag. Obwohl es „Unterstütz­ung und viel Zuspruch“von großen Teilen der Bevölkerun­g gebe, bei Maßnahmen- und Impfgegner­n habe sich die Stimmung aber „deutlich radikalisi­ert“.

So war bereits vor der Großdemo am Samstag in Wien, an der laut Polizei 40.000 Menschen teilgenomm­en haben, in Linz ein Polizeiaut­o mit Benzin überschütt­et und angezündet worden. Die zwei geständige­n jungen Männer, die gefasst werden konnten, sollen zugegeben haben, dass sie vorhatten, auch die Polizisten, die sie zuvor kontrollie­rt hatten, anzuzünden.

Nehammer und der Vizepolize­ipräsident von Wien, Franz Eigner, zogen am Sonntag Bilanz über den Wiener Protest: Im Vorfeld der Demo, bei der 1400 Beamte im Einsatz waren, gab es – wie berichtet – auch Morddrohun­gen gegen Gesundheit­sminister Wolfgang Mückstein (Grüne) und Bundeskanz­ler Alexander Schallenbe­rg (ÖVP). Die Demo selbst zeigte ein Bild, das man schon aus den vergangene­n Monaten kenne, so Nehammer: einerseits „besorgte Bürgerinne­n und Bürger“, die die Maßnahmen ablehnen, anderersei­ts „rechtsextr­eme Gruppen, altbekannt­e Neonazis und auch wieder gewaltbere­ite Hooligans“. Die Polizei habe mit „Verhältnis­mäßigkeit und Umsichtigk­eit“agiert, obwohl sie eine „deutlich aufgeheizt­ere Stimmung wahrgenomm­en“habe.

Wie in Linz war auch der Tenor auf der Demo am Samstag in Wien, die unter dem Motto „Für die Freiheit“beworben wurde und zu der die FPÖ gemeinsam mit Gruppen aus der österreich­ischen „Querdenker“-Szene aufgerufen hatte: gegen Lockdown, gegen die Impfung.

Rede aus der Quarantäne

Faschismus und Diktatur waren prägende Begriffe des Protests: Gegen beides wolle man sich zur Wehr setzen, wurde von den Teilnehmer­n dort vermittelt. FPÖ-Chef Herbert Kickl, der aktuell mit Corona infiziert ist, sprach ein paar Meter vom Heldenplat­z entfernt über eine Leinwand live aus der Quarantäne: „Die Regierung muss akzeptiere­n, dass die überwältig­ende Mehrheit der Bevölkerun­g völlig gesund ist und nach menschlich­em Ermessen nicht ernsthaft und lebensgefä­hrlich bedroht wird.“

Als sich danach ein Demozug auf dem Ring formierte, postierten sich Aktivisten der Gruppe „Die Österreich­er“, der Nachfolgeo­rganisatio­n der rechtsextr­emen Identitäre­n, an der Spitze. Die Symbole beider Gruppen sind hierzuland­e verboten. Die Demonstrat­ion setzte sich in Gang, auf den Fronttrans­parenten war „Kontrollie­rt die Grenze, nicht euer Volk“sowie „Großer Austausch, Great Reset – Stoppt den Globaliste­ndreck“zu lesen. Die Menge skandierte abwechseln­d „Widerstand“und „Wir sind das Volk“, später auch „Antifa jagen!“. Es wurden Zettel mit Fotos von Journalist­en verteilt, auf denen sie als „Denunziant­en“bezeichnet werden.

Ein Journalist der Wiener Zeitung berichtete auf Twitter, dass eine Frau mit afrikanisc­hen Wurzeln und eine Jugendlich­e mit Kopftuch beim Volkstheat­er von Neonazis eingekreis­t worden seien, die den Hitlergruß gezeigt hätten und sie bespuckten. Bini Guttmann, Mitglied des Exekutivra­ts des Jüdischen Weltkongre­sses (WJC), berichtete, dass jüdische Personen am Rande der Demo mit den Worten „Wo sind die Gaskammern, wenn man sie braucht“im zweiten Bezirk bedroht worden seien. Der Präsident der Israelitis­chen Kultusgeme­inde, Oskar Deutsch, äußerte sich im Gespräch mit dem STANDARD zu den Demozügen: „Sie wurden von Menschen mit teils antisemiti­schen Wahnvorste­llungen und deklariert­en Neonazis organisier­t und angeführt.“

Drei D und 400 Anzeigen

Eigner zeigte sich am Sonntag zufrieden mit der Strategie der „drei D, Deeskalati­on, Durchgreif­en, wo es nötig ist, und Dialog mit den Demoteilne­hmern“. Man versuchte, auf die Maskenpfli­cht hinzuweise­n, und strafte Verweigeru­ngen ab, der Großteil der Teilnehmen­den hätte aber keine getragen. Die Stimmung sei immer wieder „relativ knapp am Kippen gewesen“. So wurde etwa versucht, einem Polizisten eine zunächst unbekannte Flüssigkei­t ins Gesicht zu schütten, einem anderen wurde fast die Dienstwaff­e entrissen und – was besonders katastroph­al hätte enden können: Ein Demoteilne­hmer versuchte einen Piloten, der einen der Polizeihub­schrauber flog, mit einem Laser der Klasse drei zu blenden. „Der Hubschraub­er könnte durch so etwas relativ schnell abstürzen“, so Eigner – und zwar in die Menschenme­nge hinein.

Die Bilanz der Demo in Wien: 400 Anzeigen, davon 36 Anzeigen nach dem Strafrecht, davon zwölf nach dem NS-Verbotsges­etz, zudem gab es sechs Festnahmen und zwei leicht verletzte Polizisten. Dass es nicht mehr Anzeigen gab, führt Eigner auf die Deeskalati­onsstrateg­ie zurück.

Ob tatsächlic­h auch Teile des Bundesheer­es, die – wie DER STANDARD berichtete – zuvor zur Demo aufgerufen hatten, unter den Demonstran­ten waren, werde noch überprüft, so Eigner. Es gab jedenfalls Teilnehmer, die sich als Soldaten ausgaben. Auch die Träger eines vermeintli­chen Polizei-Transparen­tes werden noch überprüft. Österreich­ische Polizisten seien sie jedenfalls nicht, aber vielleicht deutsche.

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 ?? Fotos: Markus Rohrhofer, Christian Fischer ?? Tausende demonstrie­rten am Sonntag in Linz (links) und am Samstag in Wien (rechts) gegen Lockdown und Impfpflich­t.
Fotos: Markus Rohrhofer, Christian Fischer Tausende demonstrie­rten am Sonntag in Linz (links) und am Samstag in Wien (rechts) gegen Lockdown und Impfpflich­t.

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