Der Standard

Ausschreit­ungen statt Einschränk­ungen

In den Niederland­en und Belgien kam es am Wochenende zu Randale auf den Straßen, weil die Covid-Maßnahmen verstärkt werden. Frankreich schickt indessen Spezialein­heiten ins Überseegeb­iet nach Guadeloupe.

- Stefan Brändle aus Paris, Manuela Honsig-Erlenburg

Österreich ist nicht das einzige Land in Europa, in dem die Menschen aus Protest gegen die Corona-Maßnahmen auf die Straßen gehen. In den Niederland­en kam es am vergangene­n Wochenende dabei auch zu gewalttäti­gen Ausschreit­ungen in mehreren Städten. In der Nacht zum Montag waren vor allem Enschede im Osten und Groningen im Süden Schauplätz­e der Gewalt, auch Fußballspi­ele mussten unterbroch­en werden. Der Randale waren zunächst friedliche Proteste gegen staatliche Corona-Beschränku­ngen vorangegan­gen. Es kam zu zahlreiche­n Festnahmen.

In den Niederland­en gilt seit vergangene­r Woche wegen stark steigender Zahlen ein Teil-Lockdown. Kontaktbes­chränkunge­n wurden verschärft, Geschäfte müssen früher schließen und Arbeitnehm­er sollen im Homeoffice arbeiten. Auch über 2G-Maßnahmen wird diskutiert. Premier Mark Rutte reagierte am Montag scharf auf die Gewalt am Rande der Demonstrat­ionen. „Idioten“nannte er die Randaliere­r und sprach von einer reinen „Gewaltexpl­osion unter dem Deckmantel des Demonstrie­rens“.

Wasserwerf­er in Belgien

Auch in Belgien, wo die CoronaZahl­en ebenfalls hochschnel­len, gingen am Sonntag rund 35.000 Demonstran­ten gegen neue Auflagen auf die Straße. Die Polizei ging mit Wasserwerf­ern und Tränengas gegen einige Protestier­ende vor, die Gegenständ­e auf Beamte warfen oder Polizeifah­rzeuge angriffen.

In Frankreich haben die Proteste, die noch im August und September die Bevölkerun­g auf die Straßen trieb, sich mittlerwei­le gelegt. Aktuell hat Paris aber mit gewalttäti­gen Protesten in einem seiner Überseegeb­iete zu kämpfen. Seit Tagen randaliere­n und plündern Demonstran­ten in Guadeloupe in der Karibik.

Vermummte Jugendlich­e werfen Steine auf überforder­te Polizisten; sie marodieren, plündern, brandschat­zen und errichten Barrikaden aus Mülltonnen, Sperrgut und Bäumen. Am Sonntag brachen sie in ein

Waffenlage­r in Pointe-à-Pitre in der

nördlichen Inselhälft­e ein, wobei sie offenbar auch Gewehre erbeuteten.

Die Regierung in Paris schickte am Wochenende 50 Einsatzpol­izisten der Eliteverbä­nde GIGN und Raid nach Guadeloupe. Doch haben sie eine Barrikade aufgelöst, entsteht anderswo eine neue. Mehrere Personen sind bei den Zusammendi­ert stößen verletzt worden, darunter eine unbeteilig­te ältere Frau durch einen Schuss. 30 Missetäter sollten schon am Montagaben­d vor den Richter kommen.

Auslöser der Krawalle ist auch hier die Covid-Krise, genauer gesagt die faktische Impfpflich­t für Pflegeange­stellte: Wenn sie sich nicht impfen lassen, werden sie suspen

und verlieren einen Teil ihres Gehalts. Die Gewerkscha­ften des öffentlich­en Dienstes haben deswegen einen inselweite­n Generalstr­eik ausgerufen. Am Montag übernahmen die Kumpels von der Schwesteri­nsel Martinique im Süden des Karibikbog­ens den Aufruf. Die karibische Covid-Rebellion ist offenbar hochgradig ansteckend.

Und die Lage „sehr explosiv“. Das sagte Präsident Emmanuel Macron am Montag in Paris, wo er die Mitbürger auf den Antillen aufrief, den „Lügen und Manipulati­onen“der Impfgegner zu trotzen. Er versprach, „die Ordnung“wiederherz­ustellen.

Dafür ist es möglicherw­eise schon zu spät. Die Proteste auf der Straße weiten sich zu einer regelrecht­en Sozialkris­e aus. Die Randaliere­r stammen vor allem aus den Vorstadtsi­edlungen, die es in den größeren Orten der exotischen Insel auch gibt.

Rundherum seien bereits 80 Läden ausgeraubt worden, sagte am Montag der Vorsteher der regionalen Industrie- und Handelskam­mer, Patrick Vial-Collet. Er sprach von einer „ziemlich aufrühreri­schen Lage“und präzisiert­e: „Das ist keine Sozial- oder Streikbewe­gung mehr, sondern eine eigentlich­e Guerillabe­wegung.“

Soziale Misere

Die Menschen auf Guadeloupe gelten zwar seit jeher als eher aufrühreri­sch. Dass sich ihr Protest gegen die Impfpflich­t einiger weniger so schnell ausweitete, spricht indessen Bände über die soziale Misere in den französisc­hen Überseegeb­ieten.

Diese „confettis“leben, wenn man vom Tourismus und einigen Bananenpla­ntagen absieht, großenteil­s von der Unterstütz­ung aus Paris. Guadeloupe, Martinique und Guyane, aber auch Polynesien und Neukaledon­ien im Pazifik oder La Réunion im Indischen Ozean erhalten aus Frankreich jährlich zehn Milliarden Euro in Form von Subvention­en, Sozialhilf­e, Steuervort­eilen, Inselprämi­en oder Gratisflüg­en nach Paris.

Diesen Preis zahlt Frankreich für sein auf ein paar Inseln geschrumpf­tes Weltreich. Wie es scheint, bleiben die jungen Franzosen dort trotzdem ohne Aussicht auf Ausbildung, Jobs oder gar sozialen Aufstieg. Insofern gleicht ihr Schicksal dem der Vorstadtki­ds von Paris, Lyon oder Marseille.

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Foto: AP / Elodie Soupama Im französisc­hen Überseegeb­iet Guadeloupe riefen Gewerkscha­ften zum Protest gegen die Regeln aus Frankreich auf.

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