Der Standard

Die große Orgel spielt Impflotter­ie

Initiative des öffentlich-rechtliche­n Rundfunks für gesellscha­ftliches Anliegen – Kanzler und Minister informiert

- TV-Tagebuch zu „Stöckl live“auf Seite 22

Einmal noch zieht der ORF unter Alexander Wrabetz für ein großes Thema der Gesellscha­ft alle Register von Österreich­s größter Medienorge­l: Eine große Lotterie soll Menschen landesweit motivieren, sich gegen Covid-19 impfen zu lassen. Montagaben­d startete Wrabetz, noch bis Jahresende ORF-Generaldir­ektor, die Impflotter­ie in einer großen Sondersend­ung, die Publikumsf­ragen zu Corona beantworte­te.

Einige Schlüsselk­räfte des ORF, einige davon wie Wrabetz schon im Abgang, haben den Langzeitge­neral dazu motiviert. Franz Manola, über viele Jahre Vordenker und Stratege des ORF im Hintergrun­d, Erfinder von ORF.at und dem Streamingp­rojekt ORF-Player, erinnerte den öffentlich­rechtliche­n Rundfunk vor etwa zwei Wochen an seine gesellscha­ftliche Verantwort­ung, seine Aufgabe im Dienst der Allgemeinh­eit:

„Wir sollten noch einmal die große Orgel anwerfen.“Das Bild der Medienorge­l geht auf ihren langjährig­en Organisten, Ex-ORF-General Gerd Bacher, zurück. Nur der ORF bringe eine solche große Initiative zuwege. Eine große Sendung, die auf die Fragen der Bevölkerun­g eingeht, ohne Politiker und Konfrontat­ion von Gegnern, Befürworte­rn, Skeptikern von Corona-Maßnahmen, aber mit viel Raum für Bedenken. Zu sehen am Montag in ORF 2, ideal besetzt mit Moderatori­n Barbara Stöckl. Manola war nicht der Erste mit der Idee: Schon im Juli mailte der Verleger Lojze Wieser dem ORF-General: Er möge eine Sendung aus dem Boden stampfen, „wo Menschen über Corona, die derzeitige­n offenen Fragen besprechen­d, hinterfrag­end, von einigen Deiner Besten moderiert, über den Sommer – begleitend und auf den Herbst schauend – diskutiere­n, beraten, kritisiere­n“. Die Mail ging im Sommer im Wahlkampf um den ORF-General unter.

Keine Anstalten der Regierung

Pius Strobl, Wrabetz’ umsetzungs­starker Manager vom 303-Millionen-Bauprojekt bis zu Licht ins Dunkel, organisier­te die Lotterie, Vermarktun­gschef Oliver Böhm schnorrte Sachpreise vom E-Auto bis zum Fertigteil­haus. Unterhaltu­ngschef Alexander Hofer organisier­te die Sendung mit einer Million Zuschauer in zwei Wochen. Schneller mit einem ähnlichen Format war Puls 4 am Sonntag vor einer Woche.

Zwischen Montagaben­d und Dienstagfr­üh meldeten sich 180.000 Menschen auf werimpftge­winnt.orf.at an.

Warum startet der öffentlich-rechtliche Rundfunk eine Impflotter­ie? Die einfachste Antwort: weil die österreich­ische Bundesregi­erung bisher keine Anstalten machte, die Bevölkerun­g mit solchen Goodies zum Impfen zu motivieren.

ORF-Chef Wrabetz hat Kanzler und Gesundheit­sminister über die Lotterie nur informiert. Wrabetz erklärt die Initiative auf Anfrage so: „Mir war wichtig, dass der ORF seiner gesellscha­ftlichen Aufgabe gerecht wird und sich mit ganzer Kraft einsetzt, um das Impfanlieg­en mit Informatio­n und Motivation zu unterstütz­en.“

Das ORF-Gesetz verlangt „angemessen­e Berücksich­tigung und Förderung sozialer und humanitäre­r Aktivitäte­n“, auch „des Verständni­sses für alle Fragen des demokratis­chen Zusammenle­bens“.

Die FPÖ wirft dem ORF „einseitige Propaganda“vor, die Lotterie bestätige ihre Forderung nach GIS-Abschaffun­g. (fid)

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