Der Standard

„Ein Weg mit offenem Handel wäre möglich gewesen“

Wiens Vizebürger­meister Christoph Wiederkehr ist für offene Schulen und offenen Handel: Zwar sei in Salzburg und Oberösterr­eich ein genereller Lockdown nötig – in anderen Regionen hätten dem Neos-Politiker sanftere Maßnahmen mit Kontaktbes­chränkunge­n gere

- INTERVIEW: Oona Kroisleitn­er, David Krutzler CHRISTOPH WIEDERKEHR (31) ist Vizebürger­meister Wiens. Am 24. November 2020 wurde die rot-pinke Koalition angelobt.

Mitten im Lockdown hat die rot-pinke Koalition in Wien 2020 ihre Arbeit aufgenomme­n. Damals, das erklärten Bürgermeis­ter Michael Ludwig (SPÖ) und dessen Vize, Bildungsst­adtrat Christoph Wiederkehr (Neos), am Dienstag, habe man nicht vermutet, dass man das einjährige Jubiläum wieder in einem solchen verbringen werde. Der Unterschie­d: Die Schulen haben diesmal geöffnet.

Trotz weitgehend­er rot-pinker Einigkeit im Kampf gegen die CoronaPand­emie: Den harten Lockdown in Wien, das derzeit das Bundesland mit der niedrigste­n Sieben-Tage-Inzidenz pro 100.000 Einwohner ist, stellt Wiederkehr im STANDARDIn­terview infrage.

STANDARD: Neos-Parteichef­in Beate Meinl-Reisinger spricht sich gegen einen generellen Lockdown in Österreich aus. Teilen Sie diese Meinung? Wiederkehr: Es braucht massive Kontaktbes­chränkunge­n. Die Situation in Oberösterr­eich und Salzburg macht einen Lockdown notwendig. Für andere Regionen wäre ein Weg mit offenem Handel samt 2G und Maskenpfli­cht möglich gewesen.

STANDARD: Haben Sie sich beim Bürgermeis­ter dafür eingesetzt, dass der Handel in Wien offen bleiben soll? Wiederkehr: Mein oberstes Ziel sind offene Schulen und Präsenzunt­erricht, das ist für die psychosozi­ale Gesundheit wichtig. Wir sehen eine hohe Zahl Jugendlich­er mit psychische­n Problemen – Begleiters­cheinungen vergangene­r Lockdowns.

STANDARD: Trotz Präsenzunt­errichts rufen Regierung und einige Landeshaup­tleute zum Daheimblei­ben auf. Widerspric­ht sich das nicht? Wiederkehr: Die Art der Kommunikat­ion brachte große Verwirrung. Damit war ich sehr unzufriede­n. Ich habe in Wien klargemach­t, was gilt: Präsenzunt­erricht für alle und die Möglichkei­t, dass Schüler zu Hause bleiben können.

STANDARD: Was empfehlen Sie? Wiederkehr: Wichtig ist, dass Kinder, die Unterstütz­ung brauchen, zur Schule gehen. Es ist aber ein individuel­ler Entschluss – etwa wenn es Risikopati­enten im Haushalt gibt.

STANDARD: In Wien waren die Klassen großteils voll. Wie wird sichergest­ellt, dass Daheimgebl­iebene keinen Nachteil haben?

Wiederkehr: Zwischen 70 und 90 Prozent gehen zur Schule. Es gibt den Appell an die Schulen, die Zeit jetzt für Lernvertie­fung zu verwenden, nicht für neuen Stoff. Klassen, die lieber im Distance-Learning sind, können das in Wien machen. Der Regelfall ist aber der Präsenzunt­erricht. Auch, um eine Umgebung zu haben, wo Schüler Gleichaltr­ige treffen können. Lernen ist auch eine Frage des sozialen Aspekts, es geht nicht nur um Fachwissen.

STANDARD: Laut Bund sollen Klassen bundesweit ab dem zweiten Corona-Fall für eine Woche ins DistanceLe­arning gehen. Begrüßen Sie das? Wiederkehr: Die zusätzlich­e Flexibilit­ät ist sinnvoll. Also ja.

STANDARD: Wenn 90 Prozent in der Schule sind: Was spricht gegen Tests und Schularbei­ten?

Wiederkehr: Wir müssen Lerndruck herausnehm­en. Es ist nicht die Zeit von harten Prüfungen oder Schularbei­ten. Gerade dann nicht, wenn einzelne Kinder in der Klasse zu Hause bleiben. Kinder mit Lernschwäc­he sollen jetzt nicht zurückblei­ben. Nach dem Lockdown kann ab 13. Dezember Unterricht hoffentlic­h wieder normal stattfinde­n.

STANDARD: Die Sechs- bis 14-Jährigen haben die höchste Inzidenz Österreich­s. Ist das Risiko, dass sich Schüler anstecken, vernachläs­sigbar? Wiederkehr: Die Schule ist Teil der Lösung der Pandemiebe­kämpfung. Es gibt keine Bevölkerun­gsgruppe, die so oft und regelmäßig getestet wird, um Infektions­ketten zu durchbrech­en. Es wäre eine Illusion zu glauben, dass sich Kinder und Jugendlich­e bei geschlosse­nen Schulen nicht mehr treffen würden. Wir könnten sie dann aber nicht testen.

STANDARD: Zwei von drei Schultests pro Woche sind in Wien PCR-Tests. Wieso stellt Wien nicht vollständi­g auf PCR-Tests um?

Wiederkehr: Es gibt in vielen Schulen bereits die Möglichkei­t zu drei PCR-Tests pro Woche. Das wollen wir weiter ausrollen. Wir arbeiten daran, dass das der Normalfall wird.

STANDARD: Wien hat soeben 50.000 Termine für die Kinderimpf­ung freigescha­ltet. Empfehlen Sie, Kinder unter zwölf Jahren zu impfen?

Wiederkehr: Die Vorteile der Impfung überwiegen die Nachteile. Es gibt bewusst keine Empfehlung von uns, solange es keine EMA-Zulassung gibt. Die Nachfrage ist groß, die Termine sind gut gebucht.

STANDARD: Über zwölf ist die Impfung freigegebe­n, wie wollen Sie ältere Schüler zur Impfung bewegen? Wiederkehr: Wir haben seit Schulbegin­n intensive Schwerpunk­taktionen an Standorten gehabt – etwa an Berufsschu­len. Diese werden gut angenommen. Wir haben die Termine an den Schulen auch für die Angehörige­n freigegebe­n, Schüler können ihre Familie mitnehmen.

STANDARD: Zuletzt wurden in Wien 870 Schülerinn­en und Schüler von der

Schule abgemeldet – auch aufgrund der Corona-Maßnahmen. Wie viele sind mittlerwei­le wieder zurück an der Schule?

Wiederkehr: Die Zahl ist problemati­sch und besorgnise­rregend. Nicht alle Eltern, die ihre Kinder von der Schule abmelden, haben die Fähigkeit, ihre Kinder von zu Hause aus zu unterricht­en. Wir haben darum aktiv mit den Eltern Kontakt aufgenomme­n. Viele wissen etwa nicht, dass das Bilden von Lerngruppe­n in Österreich verboten ist. Dieser Prozess hat dazu geführt, dass sehr viele – rund 400 – Kinder wieder an der Schule sind.

 ?? ?? Christoph Wiederkehr ist seit einem Jahr Vizebürger­meister in Wien. Im aktuellen Lockdown liegen ihm vor allem die offenen Schulen besonders am Herzen.
Christoph Wiederkehr ist seit einem Jahr Vizebürger­meister in Wien. Im aktuellen Lockdown liegen ihm vor allem die offenen Schulen besonders am Herzen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria